15.05.2011

Zusammenstellung der Reaktionen auf Helmut Zander

Reaktionen auf Helmut Zander und seine Werke „Anthroposophie in Deutschland“ (2007) und „Die Biografie“ (2011). | Hervorhebungen meist H.N.

"Der Intellektualismus verstrickt sich, kommt zu allerlei Gedankennetzen, deren Verstricktheit, deren Verworrenheit, deren chaotische Beschaffenheit er nicht durchschaut. Er wird einfach nicht darauf aufmerksam."
Rudolf Steiner, 25.12.1921, GA 303, S. 51.

Übersicht und zugleich Literaturverzeichnis

Ralph Boes gibt auf seiner Internetseite eine ausführliche Übersicht über Beiträge zu Zander. Hier auf dieser Seite berücksichtige ich chronologisch alles, was ich an wesentlichem finden konnte. Der Datum-Link führt zu den weiter unten zitierten Auszügen, der Link am Ende zum Originalartikel.

  • 09/2007 | Neider, Andreas: Koloss auf tönernen Füßen – Helmut Zanders opus magnum. Im Gespräch mit Lorenzo Ravagli. Mitteilungen..., Sept. 2007. [o]
  • 10/2007 | Meyer, Thomas: Helmut Zander und sein dilettantischer Wissenschaftsbegriff. Der Europäer, Oktober 2007. [o]
  • 10/2007 | Röschert, Günter: Anthroposophie aus skeptizistischer Sicht I. Zu Helmut Zanders Darstellung ihrer Entstehung. Die Drei, 10/2007. [o]
  • 10/2007 | Uhlenhoff, Rahel: Kampf der Wissenschaftskulturen. Helmut Zander im Kontext der Historikerzunft und Zeitgeschichte. Info3, 10/2007. [o]
  • 11/2007 | Swassjan, Karen: Aufgearbeitete Anthroposophie. Bilanz einer Geisterfahrt. Verlag am Goetheanum, November 2007, 190 S. [o]
  • 11/2007 | Schmidt, Robin: Rezension zu: Zander, Helmut: Anthroposophie in Deutschland. H-Soz-u-Kult, 06.11.2007. [o]
  • 11/2007 | Schmidt, Robin: Zanders Gegenblick. Medienstelle Anthroposophie, o.D. [o]
  • 11/2007 | Buchholz, Hans-Henning: Begleitende Gedanken zur Auseinandersetzung mit Zanders Buch. November 2007 bis Februar 2008. [o]
  • 11/2007 | Selg, Peter: Helmut Zander und seine Geschichte der anthroposophischen Medizin. Der Europäer, November 2007. [o]
  • 12/2007 | Röschert, Günter: Anthroposophie aus skeptizistischer Sicht II. Hat sich Helmut Zander Verdienste erworben? Die Drei, 12/2007. [o]
  • 12/2007 | Strawe, Christoph: Helmut Zanders Missverstehen der sozialen Dreigliederung. Sozialimpulse, 4/2007. [o]
  • 12/2007 | Niederhausen, Holger: „Wenn Ahriman die Anthroposophie zertrümmern will...“ 7.12.2007.
  • 12/2007 | Hellmich, Achim: Johannes Kiersch kontra Helmut Zander. Zum Streitgespräch über Anthroposophie. Themen der Zeit, 7.12.2007 (?). [o]
  • 12/2007 | Enachescu, Sorin: „Streitschrift“ zum „Streitgespräch“ am 05.12.07 in der R.S Schule B-Kreuzberg: Kiersch versus Zander. 13.12.2007. [o]
  • 12/2007 | Ewertowski, Jörg: Der bestrittene geschichtliche Sinn. Anthroposophie, Weihnachten 2007. [o]
  • 12/2007 | Halfen, Roland: Close-Reading-Rezension [zu fünf Seiten aus dem Architektur-Kapitel]. Dornach, Dezember 2007. [o]
  • 12/2007 | Unger-Leistner, C. / Voegele, W.: Anthroposophie in der Öffentlichkeit: Zander-Werk gibt eine harte Nuss zu knacken. NNA, 28.12.2007. [o]
  • 01/2008 | Swassjan, Karen: Helmut Zander als Spiegel anthroposophischer Kinderkrankheiten. Januar 2008. [o]
  • 01/2008 | Swassjan, Karen: Buchbesprechung von „Anthroposophie in Deutschland“. Historische Zeitschrift, Band 287 (2008), S. 795. [o]
  • 03/2008 | Sünner, Rüdiger: Heilsame Verunsicherung. Eine Begegnung mit dem Historiker Helmut Zander. info3, März 2008. [o] vgl. auch [o]
  • 04/2008 | Dehmelt, Anna-Katharina: Vom sinnvollen Umgang mit Helmut Zanders Quellenfunden. Die Drei, 4/2008. [o]
  • 09/2008 | Keuler, Rüdiger: Helmut Zander. Pelagius, 11.9.2008. [o]
  • 03/2009 | Ravagli, Lorenzo: Zanders Erzählungen: Eine kritische Analyse... Berliner Wissenschaftsverlag, März 2009, 440 S. [o]
  • 04/2009 | Vögele, Wolfgang: Zanders Erzählungen II. Themen der Zeit, 9.4.2009. [o]
  • 12/2009 | Brotbeck, Stefan: Zur Phänomenologie des Unverständnisses. Über Lorenzo Ravagli: „Zanders Erzählungen“. Gegenwart, 4/2009. [o]
  • 01/2011 | Eggert, Michael: Helmut Zander fordert eine Anthroposophie-Forschung für die Zeit nach Steiners Tod. Egoistenblog, 14.1.2011. [o]
  • 01/2011 | Neider, Andreas: Abgeschmackt und unter jeglichem diskussionswürdigen Niveau. Amazon, 8.1.2011. [o]
  • 01/2011 | Vögele, Wolfgang: Zander-Biographie: Leben von Rudolf Steiner als Doku-Soap. NNA, 24.1.2011. [o]
  • 02/2011 | Amazon: Persiflage und Demontage. Zwei Rezensionen, 14. und 18.2.2011.
  • 05/2011 | Niederhausen, Holger: Helmut Zander und seine fest verschweißte Steiner-Brille. 13.5.2011. [o]
  • 05/2011 | Niederhausen, Holger: Zusammenstellung der Reaktionen auf Helmut Zander. 15.5.2011. [hier]
  • 05/2011 | Niederhausen, Holger: Zander über den Wissenschaftsbegriff Rudolf Steiners. Eine Widerlegung. 16.5.2011. [o]
  • 05/2011 | Niederhausen, Holger: Zanders Entmachtung der Wissenschaft. Eine Entlarvung von Zanders Methode. 16.5.2011. [o
  • 05/2011 | Niederhausen, Holger: Zanders gebrochenes Verhältnis zu Erkenntnis und Autorität. Eine Analyse. 17.5.2011.  [o]
  • 05/2011 | Niederhausen, Holger: Das Ende von Zanders Biografie. Klärung des Kontext-, Fakten-, Analogie- und Übersinnlichkeitsproblems. 18.5.2011. [o]
  • 05/2011 | Niederhausen, Holger: Zander und wie er die Welt (bzw. Steiner) sah. Zitate aus "Die Biografie".19.5.2011. [o]
  • 05/2011 | Niederhausen, Holger: Die Steiner-Hitler-Connection oder: Zanders gewaltsame Umdeutung der Dreigliederungsidee. 20.5.2011. [o]
  • 05/2011 | Niederhausen, Holger: Zanders grundsätzliche Irrwege. 21.5.2011. [o]
  • 05/2011 | Niederhausen, Holger: Zanders Irrtümer und Entstellungen – in kleiner Auswahl. 22.5.2011. [o]
  • 05/2011 | Niederhausen, Holger: Deutungsmacht und Erkenntnisgrenzen. Helmut Zander – Psychogramm eines Historikers. 23.5.2011. [o]
  • 05/2011 | Niederhausen, Holger: Gnade und Selbsterlösung - das Grundgeheimnis des Christentums. Steiners „Selbsterlösung“ und Zanders naive Vorstellungen dazu. 24.5.2011.  [o]
  • 05/2011 | Niederhausen, Holger: Zander entschleiert. Oder: Das Unfassbare denken. [o]
  • 05/2011 | Niederhausen, Holger: „Anthroposophie in Deutschland“ (2018). Zander im Kontext. [o]

Zander und die Mainstream-Medien

Eine Auswahl:

  • Hahnemann, Andy: Theosophische Luftschlösser. Tagesspiegel.de, 26.6.2007. [o]
  • Rühle, Alex: Hat er abgeschrieben? Süddeutsche.de, 17.7.2007. [o]
  • Grote, Tom: Kosmische Wirkkräfte. Interview mit Helmut Zander. Deutschlandradio Kultur, 8.8.2007. [o]
  • Nüsse, Britte: Steiners Lehre. Helmut Zander im Gespräch über Anthroposophie in Deutschland. Kulturzeit, 14.8.2007. [o] | Youtube-Video v.a. zu Waldorfschulen (9min): [o].
  • Weickmann, Dorion: Attila denkt organisch. DIE ZEIT, 4.10.2007. [o]
  • Sternstunde Philosophie: Mysterium Anthroposophie. Der Historiker Helmut Zander im Gespräch mit Norbert Bischofberger. Schweizer Fernsehen, 15.2.2009 (57min). [o]
  • Reif, Adelbert: „Den Nerv der Zeit getroffen“. Der Standard, 15./16.1.2011. [o]
  • Billerbeck, Liane von: Auf dem rassistischen Auge fast unbelehrbar“. Interview mit Helmut Zander. Deutschlandradio, 25.2.2011. [o]
  • Stocker, Viola: Schaut mir in die Augen! Titel kulturmagazin, 25.2.2011. [o]
  • Zander, Helmut: Autorität und Erlösung. Rudolf Steiner - einige Bausteine zu einem Psychogramm. NZZ, 26.2.2011. [o]
  • Strebel, Etienne: Rudolf Steiner: Universalgenie? – Universal-Dilettant? Interview mit Helmut Zander. swissinfo.ch, 13.3.2011. [o]

Zanders Erzählungen I

Neider, Andreas: Koloss auf tönernen Füßen – Helmut Zanders opus magnum. Im Gespräch mit Lorenzo Ravagli. Mitteilungen aus der anthroposophischen Arbeit in Deutschland, September 2007. [o]


Schon im September 2007 bespricht Andreas Neider die Befunde von Lorenzo Ravagli,
dessen 440 Seiten starke Auseinandersetzung mit Zanders Werk dann im März 2009 im Berliner Wissenschafts-Verlag erschien: Zanders Erzählungen: Eine kritische Analyse des Werkes „Anthroposophie in Deutschland“ [o]. In Neiders Aufsatz heißt es [o]:

[Zitat] >" Man sollte vielleicht zunächst daran erinnern, dass Zander seine Auseinandersetzung mit der Anthroposophie bereits 1993 in seiner Dissertation über „Reinkarnation und Christentum“ an der katholischen Fakultät Bonn eröffnete. Damals arbeitete er den gesamten katholischen Dogmenkatalog an der Anthroposophie ab und kam in allen Punkten zum Ergebnis „unvereinbar“. Die katholische Dogmatik ist in seinem neuen Konvolut völlig in den Hintergrund getreten, geriert sich Zander doch jetzt als „Historiker“ und „Philologe“, nicht aber die damalige Grundhaltung, das originäre, überragende Phänomen Anthroposophie an normativ gesetzten Inhalten oder Methoden zu messen, auch wenn diese nicht immer explizit benannt werden.

Die zentrale These Zanders besteht ja darin, dass Rudolf Steiner nichts anderes als Plagiate theosophischer und anderer esoterischer Lehren hauptsächlich des 19. Jahrhunderts veröffentlicht habe. Diese These läuft darauf hinaus nachzuweisen, dass Steiner keinerlei übersinnliche Forschung betrieben habe. Sie setzt überdies voraus, dass es eine solche Forschung gar nicht geben könne. Der Nachweis einer solchen Plagiierung gelingt aber nicht, da Zanders philologische Untersuchungen sich nur auf Äußerlichkeiten, wie die verwendete Terminologie oder einzelne gedankliche Motive beziehen, die meist willkürlich auf irgendwelche theosophische Quellenliteratur bezogen werden, deren nähere Prüfung zeigt, dass sie etwas völlig anderes beinhalten als das, was Steiner angeblich aus ihnen geschöpft habe. Wo Zander keine scheinbaren Quellen findet, erfindet er einfach welche. Darüber hinaus, so bemerkt Ravagli weiter, leiden seine Textinterpretationen an schwerwiegenden hermeneutischen Mängeln: Sie sind selektiv, defizitär und greifen an Inhalten stets nur auf, was die vorausgesetzten Interpretationshypothesen bestätigt. Zander bietet schlechte Philologie und schlechte Hermeneutik. Seine Fixierung auf Brüche und Widersprüche in Steiners Werkentwicklung lässt ihn die Kontinuitäten ignorieren und verleitet zu abstrusen Fehlinterpretationen bereits seiner philosophischen Werke.

Das Merkwürdige an Zander ist, dass er bei seinen öffentlichen Auftritten und Artikeln in den Medien eine scheinbare Anerkennung der Anthroposophie demonstriert, indem er immer wieder auf ihre beachtenswerten Leistungen in praktischer Hinsicht verweist. In Wirklichkeit aber – und das zeigt die Studie Ravaglis mit aller Deutlichkeit – hat Zander nichts anderes im Sinn als eine totale Demontage Rudolf Steiners, indem er diesem verheimlichte persönliche Motive wie Machttrieb, Geltungssucht usw. unterstellt, die ihn im Rahmen seiner theosophischen Wirksamkeit zu einem „Cagliostro“ des 20. Jahrhunderts haben werden lassen – ein Vorwurf übrigens, den schon Dietrich Eckart, der Mentor Adolf Hitlers, gegen Steiner erhoben hat. "< [Zitat Ende]

Zander und sein dilettantischer Wissenschaftsbegriff

Meyer, Thomas: Helmut Zander und sein dilettantischer Wissenschaftsbegriff. Der Europäer, Oktober 2007. [o]


Thomas Meyer, Herausgeber des „Europäer“, stellt seinem Aufsatz "Helmut Zander und sein dilettantischer Wissenschaftsbegriff" [o] als Motto Worte voran,
die Mephisto im Studierzimmer zu Faust spricht – und die auch wiedergeben, wie Zander vorgeht: „Im Ganzen – haltet euch an Worte! [...] Denn eben, wo Begriffe fehlen, | Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.“ Und dann heißt es unter anderem:

[Zitat] >" Die Anthroposophie soll „eine spezifisch deutsche Form der Theosophie“ sein. Aber worin diese „spezifisch deutsche Form“ liegt, erfahren wir nicht im Konkreten.

Die Wissenschaftlichkeit der von Rudolf Steiner entwickelten und vertretenen, Theosophie (und später Anthroposophie) genannten Geistesrichtung ist deren methodischer Kern, der sie von der sonstigen Theosophie wie von allen bis heute vorhandenen „esoterischen“ oder „spiritistischen“ Strömungen unterscheidet.

Die „entscheidenden wissenschaftstheoretischen Fragen“?

Über den theosophischen „Wissenschaftsanspruch“ macht nun Zander in der Einleitung mit Hinweis auf das Kap. 9 seines Buches („Wissenschaft“) folgende Feststellungen: (S. 7):

„Ein weiteres Charakteristikum der Theosophie war ihr Wissenschaftsanspruch (Kap. 9), vermittels dessen sie hermeneutische Gewissheit durch empirisches Wissen zu ersetzen suchte, um sich als ‹moderne› Weltanschauung im Sinne naturwissenschaftlicher Verfahren und ihrer objektivierbaren Ergebnisse zu etablieren. Die Theosophie beanspruchte, den Mehrwert einer ‹objektiven› ‹übersinnlichen› Dimension dem naturwissenschaftlichen Materialismus entgegenzusetzen und ihn so überbieten zu können. Im Rahmen dieser Dialektik von Unterwerfung unter die naturwissenschaftliche Methodologie bei gleichzeitigem Anspruch auf inhaltliche Überbietung sind die entscheidenden wissenschaftstheoretischen Fragen zu stellen: nach dem Verhältnis zur religiös imprägnierten ‹romantischen› Naturphilosophie und zum religiösen Empirismus des Spiritismus.“ [...]

Es zeigt sich der denkenden Betrachtung, dass Zander im oben zitierten Absatz eine ganze Reihe von Voraussetzungen macht, deren Haltbarkeit geprüft werden muss. Sind sie ein Ergebnis von empirischer Beobachtung und klarem Denken?

1. Wollte die theosophische Wissenschaft wirklich den Materialismus „überbieten“, dann müsste sie ja einen noch größeren Materialismus erzeugen wollen! Hat Zander das beobachtet? Was für eine gedankenlose Formulierung! Es kann sich in Steiners Sinne nie darum handeln, naturwissenschaftliche Resultate zu „überbieten“, sondern sie durch geisteswissenschaftliche zu ergänzen. Zanders Begriff des Überbietens suggeriert außerdem einen Konkurrenzkampf, während Steiner das Verhältnis zwischen Natur- und Geisteswissenschaft als ein komplementäres betrachtete. Andererseits soll sich die gleiche Geisteswissenschaft der Naturwissenschaft „unterordnen“ (siehe Punkt 3) – ein drolliger Widerspruch, der Zander gar nicht auffällt. [...]

Zander spricht also schon in der Einleitung der Wissenschaftlichkeit der Theosophie/Anthroposophie a priori eine ernstzunehmende Geltung ab und assoziiert die für ihn nicht vorhandene Geisteswissenschaft dafür mit „romantischer Naturphilosophie“ oder „spiritistischem Empirismus“. [...]

Werfen wir also einen Blick auf das von ihm in dieser Einleitung angeführte Kapitel 9 von Bd. 1, das „Wissenschaft“ heißt. [...]

Jetzt erfahren wir also – im Kapitel „Wissenschaft“! –, warum Steiner solchen Wert auf die „Wissenschaftlichkeit“ der Theosophie/Anthroposophie legte. Das liegt an seinem schwärmerischen Grundgefühl gegenüber der Naturwissenschaft, „das ihn bis an sein Lebensende begleitet hat“!

Zander sieht in der zitierten Vortragspassage offenbar einen Beweis dafür, dass Steiner gar keinen Unterschied zwischen Wissenschaft, Natur- und Geisteswissenschaft macht, nur weil er in diesen Ausführungen Naturwissenschaft mit der Wissenschaft überhaupt gleichzusetzen scheint. Ja, wer nur Worte liest, kann begrifflich nie ins Klare kommen.

Helmut Zanders Einleitung wie auch der Anfang des Kapitels „Wissenschaft“ sind exemplarisch für das psychologisierende Grundgefühl, mit dem Zander wichtigste Erkenntnisfragen behandelt – oder eben, statt sie zu behandeln, in dilettantischster Weise abfertigt.

Wir ersparen uns und unseren Lesern weitere Erörterungen Zanders zu der ihm offenbar wichtigen Frage der Wissenschaftlichkeit der Anthroposophie. Er hat zu dieser Frage einfach nichts Ernstzunehmendes zu sagen. Zu einem reellen, allgemeinen Wissenschaftsbegriff kann er sich nicht aufschwingen. [...]

Helmut Zander spricht also der Anthroposophie Rudolf Steiners ihren Wissenschaftscharakter auf eine pseudo-wissenschaftliche Weise ab. [...]

An Zanders Fleißwerk zeigt sich einmal mehr etwas vom Profil der neueren Gegnerschaft gegen die Anthroposophie, wie sie sich in den letzten Jahrzehnten verstärkt herausgebildet hat: Man lässt einzelne Forschungsergebnisse und praktische Auswirkungen durchaus gelten, betont aber gleichzeitig den unwissenschaftlichen oder subjektiv-mystischen Charakter der geisteswissenschaftlichen „Forschung“.3 Ob Zander dies bewusst oder unbewusst anstrebt, mögen andere untersuchen. Faktum bleibt, dass er es tut. [...]

Die Anthroposophie hat nun auch ihre „Wagner“-Auslegung erfahren. Zanders Vielwisserei ist ein gutes Beispiel für die vollständige Untauglichkeit eines Berges von historischen, soziologischen und psychologischen Informationen und Erwägungen, den Erkenntnisblick in das Land der Wirklichkeit zu leiten. [...]

In einem Interview in der Wochenschrift Das Goetheanum verlautbarte Helmut Zander: „Ich halte objektive Erkenntnis für eine philosophische Utopie.“4 Ernst genommen kann auch dieser Satz natürlich keinen objektiven Erkenntniswert beanspruchen! Aber auf Zander selbst und sein eigenes Werk ist er restlos anwendbar: Objektive Erkenntnis der Anthroposophie und ihrer historischen Entwicklung bei Helmut Zander zu suchen – ist utopisch. "< [Zitat Ende]

In einem gesonderten Kasten untersucht Meyer Zanders Vorwurf, Steiner hätte „deutschnational“ usw. gedacht:

[Zitat] >" Im Folgenden bringen wir noch zwei kommentierte Einzelbeispiele für die Vorgehensweise von Zander. Sie könnten beliebig vermehrt und ausgetauscht werden.

1. Rudolf Steiner und die Politik

Wo Zander über Steiners Verhältnis zur Politik und zu den Zeitereignissen schreibt, zeigt sich sein von Vorurteilen und sonstigen persönlichen Elementen beherrschtes Halb-Denken besonders krass. Vor allem, wo es um den Ersten Weltkrieg geht. Zander bringt es fertig, ein entsprechendes Unterkapitel (Bd. 2, S. 1253) stracks „Die Politisierung Steiners im Ersten Weltkrieg“ zu nennen und schreibt im ersten Satz: „Steiners deutschnationaler Kulturimperialismus war nur eine der möglichen theosophischen Haltungen zum Ersten Weltkrieg.“

Hat Steiner jemals einen deutschnationalen Kulturimperialismus vertreten? Wenn schon im Zusammenhang mit ihm das Wort „deutsch“ verwendet werden soll, dann müsste man sagen: Steiner versuchte gerade aufzuzeigen, dass das wahre deutsche Element in einem auf geistig-kultureller Ebene liegenden Deutsch-Universalen liegt, nicht in einem Deutschnationalen! Das Deutschnationale ist nichts als die Karikatur, die infolge des Abrückens vom deutsch-universalen Element, das zum Beispiel in der Goethezeit noch erlebte Realität war, mehr und mehr in Erscheinung getreten ist. Diese Gefahr, die mit der Reichsbildung 1871 zunahm, hatte Nietzsche in prägnanter Weise als die Gefahr der „Extirpation des deutschen Geistes zugunsten des deutschen Reiches“ bezeichnet.

Aber Zander hält es für ausgemacht, dass Steiner „deutschnationale“ Interessen hatte! [...]

Und die „Politisierung“ Steiners? Diese Bezeichnung erweckt den Eindruck, dass Steiner durch den Ersten Weltkrieg Objekt eines in ihm ablaufenden Prozesses geworden sei – eben der Politisierung –, und dass er die Welt nunmehr anfing, durch die Brille dieser mit ihm eingetretenen Politisierung zu betrachten.

Steiner ging es, wie überall, so auch in Bezug auf die zeitgeschichtlichen Vorgänge, um Erkenntnisbildung. Aber was Erkenntnis ist, davon hat Zander, wie schon im Hauptartikel gezeigt wurde, gar keinen Begriff. [...] "< [Zitat Ende]

Anthroposophie aus skeptizistischer Sicht I

Röschert, Günter: Anthroposophie aus skeptizistischer Sicht I. Zu Helmut Zanders Darstellung ihrer Entstehung. Die Drei, 10/2007. [o]


Günter Röschert schreibt in "Anthroposophie aus skeptizistischer Sicht I" (Die Drei 10/2007) [o]:

[Zitat] >" Gewiss unbeabsichtigt erweist Helmut Zander der Anthroposophischen Gesellschaft einen Dienst, denn eine derart umfangreiche Untersuchung ihrer Ursprünge wäre von der Gesellschaft kaum zu finanzieren gewesen, und auch Zander und der Verlag hatten Mühe, die Kosten über ein Habilitationsstipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft und mit Unterstützung der Fritz-Thyssen-Stiftung zu decken. Über seine Forschungsanliegen informiert Zander an verschiedenen Stellen des ersten Bandes. Für eine kritische Betrachtung ergeben sich fünf Schwerpunkte, die nachfolgend besprochen werden sollen:

- „Kontextualisierung“ von Steiners Werk durch die zeitgenössische, insbesondere die theosophische Literatur,
- Theosophie und Historismus,
- Geisterkenntnis und historisch-kritische Forschung,
- Kontinuität oder Diskontinuität in Steiners Werdegang,
- Rudolf Steiners Christus-Auffassung. [...]

Soweit der Autor [Steiner] Aussagen aus der vorliegenden theosophischen Literatur übernommen hat, ist davon auszugehen, dass er diese Aussagen für wahr, hinsichtlich des Erkenntnisweges für geeignet gehalten hat. [...] In einem Vortrag, den Steiner bei Gelegenheit des Theosophischen Kongresses 1909 in Budapest hielt, erwähnte er ein Gesetz der spirituellen Brüderlichkeit, welches den Geistesforscher verpflichtet, an Vorgänger anzuknüpfen. Einmal erforschte Vorgänge der geistigen Welt lassen sich ohne Anknüpfung nicht ein zweites Mal erforschen. Diese Vortragsstelle – die Zander nicht erwähnt – ist geeignet, das Problem der Übernahme theosophischer Lehren in ein ganz neues Licht zu rücken. [...]

Selbstverständlich geben längst nicht alle Aussagen Steiners Ergebnisse eigener Geistesforschung wieder; gerade die Tausende von Vorträgen beruhen in breitem Umfange auch auf Übernahmen aus der esoterischen Tradition, der allgemeinen Literatur und auf dem vernunftgemäßen Denken.

Zander glaubt Steiner mangelnde Originalität vorwerfen zu können und eine durchgehende Abhängigkeit von theosophischen Quellen. Zu diesen Überzeugungen konnte er gelangen, weil seine Aufmerksamkeit nicht auf die originalen Beiträge Steiners gerichtet war. So entging ihm – als Beispiel – die zentrale Bedeutung des Begriffes der Bewusstseinsseele für die geisteswissenschaftliche Anthropologie. Dieser im Buch Theosophie erstmals eingeführte Begriff hat keinerlei theosophisches Gegenstück. [...]

Zander findet die Hermetic Brotherhood of Luxor des 19. Jahrhunderts, die bereits einige theosophische Gepflogenheiten aufgewiesen haben soll (89, 668 Anm. 465). Hier zeigt sich deutlich die Unergiebigkeit des ganzen Ansatzes. Zanders Analyse von Schriften Steiners sind weithin von ähnlicher Belanglosigkeit, da die Analyse nicht immanent-kritisch auf die Semantik und die strukturellen Besonderheiten dieser Schriften abzielt. Die von Zander überall behaupteten Abhängigkeiten beruhen außerdem oftmals auf Vermutungen. In salvatorischer Absicht formuliert Zander immerhin: „Welche eigenen ‚Erlebnisse’ darin (in den angeblich übernommen Aussagen G.R.) aufgegangen sein könnten, ist wohl nicht mehr zu klären“ (572). Die Wesensgliederlehre des Buches Theosophie (GA 9) von 1904 (570 ff.) befindet sich – entgegen einer Behauptung Zanders – in völliger Übereinstimmung mit dem trichotomischen Bild vom Menschen und darüber hinaus in dialektischem Einklang mit der Idee der einheitlichen Menschennatur. [...]

Er nimmt Anstoß an den wiederholten Überarbeitungen durch den Autor, die sich aber unschwer aus dem Fortgang der Geistesforschung (von Zander apostrophiert) erklären lassen. Auch [...] Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten (GA 10) ebenfalls von 1904 (581 ff.) hält Zander für ein abhängiges Werk. Er ist aber nicht in der Lage, außer Hinweisen auf freimaurerische Traditionen (bei den drei „Proben“) und auf den achtgliederigen Pfad Buddhas weitere Quellen plausibel zu machen (588 ff., 607). Die Gestalt des „Hüters der Schwelle“ soll Steiner Bulwer-Lyttons Roman Zanoni entnommen haben. Die von Steiner genannten Bedingungen der Schulung, wurden, auf den westlichen Menschen abgestimmt, bis in das Jahr 1924 ständig erweitert. Ihre Anwendung konnten die Schüler nach individuellem Bedarf und Entschluss aufgreifen. Es ist völlig abwegig, Steiners Hinweis auf die Bedeutung der Devotion als Seelenstimmung quer zum Text als ein Gebot zur Stärkung von Steiners persönlicher Autorität hinzustellen (610 f.). Die Schulungsanweisungen, die Zander als „psychoinvasiv“ bezeichnet, sind nicht freiheitsbeschränkend. An anderer Stelle hat Steiner gerade den Entschluss zur Meditation als eine der wenigen wirklich freien Handlungen des Menschen bezeichnet. [...]

Ohne selbst eine Erklärung (Definition) des Historismus zu bieten, bezeichnet es Zander als ein „Herzstück“ seiner Arbeit, Steiner als Gegner des Historismus nachzuweisen, und zwar durch dessen Behauptung der Verfügbarkeit transhistorischer, geistiger (also ewiger) Erkenntnisse aus der „Akasha-Chronik“ (686, 727 ff., 741, 749). Zander will glauben machen, es gäbe ein Theorem Steiners über die Existenz subjektunabhängiger, kulturinvarianter objektiver Erkenntnisse (749). Die wichtigsten Vertreter des Historismus haben das Besondere der geschichtlichen Phänomene, deren „Individualität“, nicht als in einem Widerspruch stehend zu übergreifenden geschichtlichen Strukturen betrachtet. Friedrich Meinicke sprach in diesem Zusammenhang von einer vertikalen und einer horizontalen Auffassung der Geschichte. Einer der bekanntesten Leitsätze des Historismus ist das Wort Leopold von Rankes: „Jede Epoche ist unmittelbar zu Gott, und ihr Wert beruht gar nicht auf dem, was aus ihr hervorgeht, sondern in ihrer Existenz selbst.“ Der von Droysen, Ranke, Jacob Burckhardt, Dilthey, Meinicke und anderen vertretene Historismus ist dem Programm der Geisterkenntnis keineswegs unvereinbar entgegengesetzt, wie Zander meint. Steiners Werk ist Geistesforschung, nicht Verkündigung abgeschlossener Wahrheiten. Schon Steiners 1891 in seiner Dissertationsschrift geäußerte Auffassung von der Wahrheit als Freiheitstat, gleichbedeutend mit der fortschreitenden Individualisierung des Geistes, erweist die anthroposophische Geisteswissenschaft als notwendig zukunftsoffen. [...]

Helmut Zander bezweifelt die Möglichkeit geisteswissenschaftlicher Erkenntnisse dem Grunde nach, vermeidet es aber, Rudolf Steiner als Hochstapler oder Lügner zu bezeichnen. Er apostrophiert konsequent die Worte „höhere Erkenntnis“, „Offenbarung“, „geistige Welt“, „übersinnlich“, „geistig“ überhaupt, „Geisteswissenschaft“. Auf Hunderten von Buchseiten beweist er, dass er keinen belastbaren Geistbegriff besitzt, was für einen katholischen Theologen doch etwas seltsam erscheint. [...]

Zander ist mit sich selbst nicht einig, ob er Steiners Forschungsergebnisse als reine Erfindungen (Assoziationen) betrachten oder wenigstens teilweise anerkennen möchte. Da er sich mit Steiners Theorie der höheren Erkenntnisarten nicht näher beschäftigt hat (676 ff.), glaubt er, dass Steiners Mitteilungen auf „Visionen“ beruhen (499). An anderer Stelle unterstellt er erneut und wiederholt, dass Steiner bloßes Bildungswissen nachträglich als übersinnliche Erkenntnisse eingestuft habe (549). Bereits ab dem ersten Kapitel seiner Autobiographie schildert Steiner die Entwicklung der in ihm schicksalsgemäß veranlagten Geistanschauung. Im XXII. Kapitel berichtet er über seinen Weg zur Meditation und über deren Intensivierung ab dem 35. Lebensjahr (1896). Darauf geht Zander, dem diese Fundstellen nicht entgangen sein können, nicht ein. [...] Zander aber sieht „fehlende Indizien“ dafür, dass Steiner überhaupt selber meditiert habe. Die in den Anfangsjahren seines theosophischen Engagements an Schüler gegebenen Meditationstexte seien „Produkte eines selbsternannten Lehrers ohne praktische Erfahrung“ gewesen (705). [...]

Die „christologische Thematik kam bei Steiner signifikanterweise erst in dem Augenblick zum Durchbruch, als sich seine Selbständigkeitsbestrebungen mit den Interessen der Führung in Adyar unter Annie Besant immer stärker kreuzten ...“ Mit diesen Überlegungen greift Zander die vor Jahren von Klaus von Stieglitz eingeführte Rüge auf, Steiners christologische Aussagen seien stets „anlaßbezogen“ (785). Zander übernimmt damit von Stieglitz' Verdacht, Steiners Christologie sei entweder anlaßgebunden frei assoziiert oder – schlimmer noch – echte Christuserkenntnisse seien machtpolitisch instrumentalisiert worden (340). Unterstellungen von dieser Massivität berühren die moralische Integrität des Verdächtigten. Die einschränkende Bemerkung Zanders, Steiners „persönliche Entwicklung wäre ... ein eigenes Kapitel und bleibt, da ich keine Biografie schreibe, weitgehend ausgespart“ (781), muß daher als untauglicher Entlastungsversuch eingestuft werden. [in „Die Biografie“ von 2011 kehren dieselben Unterstellungen unverändert wieder! H.N.] [...]

Steiner war nicht christlicher Dogmatiker – das waren Jakob Böhme und Angelus Silesius auch nicht – und mußte sich darauf beschränken, seine Ergebnisse zu formulieren, mitzuteilen und auf eine spätere Zusammenführung zu hoffen. Der Ausbau christologischer Lehren Steiners in teilweise raschem Fortgang ist so eindeutig von inneren Vorgängen bestimmt, dass selbst der Skeptiker Zander für das Jahr 1906 einräumt, es lägen „momentan keine schlüssigen externen Motive für den Christologisierungsprozeß im Denken Steiners vor“ und fährt fort: „Man kommt meines Erachtens nicht ohne die Annahme aus, dass Steiner ‚den Christus’ – aus welchen Motiven auch immer – als eine innere Erfahrung deutete“ (796) – aufgrund dieser inneren Erfahrung, möchte man gerne hinzufügen. [...]

Mehr und mehr schwankend in seiner Bewertung, hält Zander die ätherische Wiederkunft Christi für eine Erfindung (812) und befindet ausgerechnet im Zusammenhang mit den gut dokumentierten Vorträgen über das „Fünfte Evangelium“ von 1913 (GA 148), Steiner habe sich als „Geistergriffener“ selbst inszeniert (825), trotz der glaubwürdigen Berichte von Assja Tugenieff und Andrej Belyi. Wie problematisch es ist, Steiner auf dogmatische theologische Lehrsätze festlegen zu wollen, zeigt das Problem der sog. Selbsterlösung. Zander beharrt im Gegensatz zu anderen theologischen Autoren darauf, dass Steiner im Zusammenhang des Karma-Gedankens die Möglichkeit – mehr noch – den Zwang zur Selbsterlösung gelehrt habe. Dem steht folgende eindeutige Aussage Steiners von 1911 gegenüber: „Wenn der Mensch glaubt, dass er das höchste menschliche Ideal, wie es für die Erdenentwicklung angemessen ist, erreichen kann auf einem bloßen inneren Seelenwege, durch eine Art Selbsterlösung, dann ist eine Beziehung zu dem objektiven Christus nicht möglich. Man könnte auch sagen: Sobald der Erlösungsgedanke für den Menschen etwas ist, was sich auf psychologischem Wege beantworten lässt, gibt es keine Beziehung zu dem Christus.“ Dieses Beispiel zeigt mit Deutlichkeit, dass Widersprüche dieser und vergleichbarer Art Gegenstände dialektischen (intuitiven) Denkens werden müssen, weil andernfalls nur Ratlosigkeit oder bedauerliche Verdächtigungen entstehen können. [...]

Noch im letzten Abschnitt des Kapitels unter der Überschrift „Steiners Christologie zwischen historisch-kritischer Forschung und übersinnlicher Erkenntnis“ bleibt Zanders eigene Position unklar. Nachdem Zander mehrfach Steiner der Unwahrhaftigkeit geziehen hatte, vermerkt er, soweit Steiners „persönliche Spiritualität“ berührt sei, sei „Respekt vor Steiners forum internum“ geboten. [...] "< [Zitat Ende]

Kampf der Wissenschaftskulturen

Uhlenhoff, Rahel: Kampf der Wissenschaftskulturen. Helmut Zander im Kontext der Historikerzunft und Zeitgeschichte. Info3, 10/2007. [o]


Die Info3-Autorin Rahel Uhlenhoff schreibt im Aufsatz „Kampf der Wissenschaftskulturen“ [o]:

[Zitat] >" Seit Helmut Zanders Monumentalstudie über die Anthroposophie in Deutschland im Frühjahr 2007 erschien, ist eine Debatte in Fahrt gekommen, in der Zander zwar in den Medien befragt und zitiert wird, die Anthroposophen aber selbst nicht auf gleicher Augenhöhe in die Deutung miteinbezogen sind. Das hat seinen Grund. [...]

Da sie [...] selbst einen Wissenschaftsanspruch anmeldet, der gar noch auf „höhere“ denn die akademische Erkenntnis abzielt, wird sie der akademischen Wissenschaft zum Konkurrenten auf ihrem eigenen Feld. So kommt es zu einem asymmetrischen Kampf zweier Wissenschaftskulturen. [...]

Zander leugnet nicht die Originäriät von Steiners Wirken und Werk, sondern die Originalität von Steiners hellsichtiger Forschung. Diese hält er für problematisch, weil unter Uneingeweihten indiskutabel und folglich autoritär. Aber selbst diese Leugnung leugnet er noch mit dem legitimatorischen Hinweis auf die Regeln der Historikerzunft: „Die Geschichtswissenschaft befasst sich nicht mit religiösen Erfahrungen, sondern mit Äußerungen von Menschen über diese Erfahrungen.“ []

Helmut Zander rekonstruiert in seinem voluminösen Werk die Vereinsgeschichte der Theosophischen und später Anthroposophischen Gesellschaft mit stark biographischem Zuschnitt auf die Gründungs- und Leitungsfiguren. Dabei bewertet er die beiden Damen, Helena Blavatsky und Annie Besant, eher positiv, den Herren in der Führungsriege, Rudolf Steiner, hingegen eher negativ. [...] Zander gesteht freimütig, ein Faible für ambivalente, obskure und wagemutige Frauen zu haben. [...] Und wenn man(n) unter dem Deckmantel moderner Ritterlichkeit dann auch noch seine eigene Deutung auf dem historiographischen Turnierplatz der pluralen Paradigmen, Methoden und Forschungsergebnisse profilieren kann, so kann das dem wissenschaftlichen Ruhme auch nicht schaden. [...]

Er speist seine Ablehnung [von Steiners „Dreigliederung“ u.a.] aus zweierlei Richtungen: Zum einen stellt er Steiners Begriff des sozialen Organismus´ in die Traditionslinie organologischer Politiktheorie, die von der Romantik bis zum Rechtsextremismus, von Fichtes Geschlossenem Handelsstaat bis zu Hitlers autarkem Führerstaat reicht. Und zum anderen unterstellt er Steiner, dass die eingeweihten Philosophenkönige das Geistesleben regieren sollten, und weil diese als Kopf den Gliedern die entscheidenden Impulse geben, so regieren die Eingeweihten konsequenterweise durch ihr Geheimwissen anstatt durch unseren öffentlich demokratischen Diskurs auch den ganzen Staat. Beides zusammengenommen ergäbe dann eine Art Diktatur der eingeweihten Philosophenkönige. Zander grenzt sich damit als deutscher Zeitgenosse und Historiker [...] im Grunde genommen weniger gegenüber Steiners Dreigliederung, als vielmehr gegenüber der Negativfolie des Nationalsozialismus ab. Mit dieser Missinterpretation nimmt er zumindest auch in Kauf, die Idee der sozialen Dreigliederung selbst in Misskredit zu bringen. [...]

Als Zander [...] die Anthroposophie als Habilitationsthema anmelden wollte, erteilten ihm, wie er ihm Nachwort erst im Nachhinein erzählt, die ersten drei Universitäten wegen des „weichen“ Kulturthemas, das „harten“ Wissenschaftsfakten nicht genüge, eine Absage. Gemeinsam mit einigen Kollegen konnte er der „Esoterikforschung in Deutschland nur deshalb zur Akzeptanz verhelfen, weil sie sich hardcore an die wissenschaftlichen Standards“ hielten. [...]

Das „Entrebillet in die scientific community“ bestand daher, wie Zander sagt, in dem „programmatischen Versuch, Fakten und Deutung zu trennen.“ Das Problem besteht im Hinblick auf die Anthroposophie allerdings darin [...]. Wer nur ihre gedanklichen Ausflüsse in Steiners Gesamtausgabe studiert, aber nicht nach der Quelle dieser Gedanken: Rudolf Steiners hellsichtiger Forschung in der „geistigen Welt“ fragt oder fragen darf, der bleibt strukturblind im Vorhof des zentralen Deutungshofes stehen, da Deutung sich nie von außen, sondern nur von innen her in Tiefengraden erschließen lässt. Die wissenschaftstheoretische Frage, welchen Wahrheitsstatus Steiners Erkenntnisse aus der „geistigen Welt“ haben, wiegelt Zander mit den Worten ab: „Die Wissenschaft bestimmt weder über Wahrheit oder Unwahrheit noch über Sinn oder Wahn einer Erkenntnis.“ [...] Und dann zeigt er im Gespräch die Konsequenzen auf: „Wer diesen Preis nicht bezahlt, der hat zu 99 Prozent keine Chance ins akademische Milieu unter Gleichberechtigte zu kommen, Gehör zu finden und sich an den Deutungsauseinandersetzungen über Steiners Werk zu beteiligen.“

Wer diesen Preis aber bezahlt, der hat zu 99 Prozent keine Chance, Rudolf Steiners Werk, die Anthroposophie, aus ihren eigenen Deutungsbedingungen heraus zu verstehen. Umgekehrt ausgedrückt: wer sich für das „höhere Ich“ im Menschen und die „höheren Erkenntnisse“ aus der „geistigen Welt“ methodenbewusst borniert, der kann an ihrer statt im Allgemeinen nur „niedere Triebe“ im Menschen und in der Geschichte am Werke sehen und im besonderen Steiner politisch als „kühlen Machiavellisten“ mit pseudowissenschaftlich „esoterischem Überbau“ verstehen. Helmut Zander hat die Anthroposophie fünfzehn Jahre erforscht und bleibt dabei konsequent im Vorhof des anthroposophischen Deutungshofes stehen. [...] Soviel Arbeitskraft und Akribie für sowenig Sinnstiftung und Selbstverwirklichung ist eine einzige Hommage an die Historikerzunft, im weiteren Sinne an das im „existentiellen Sinne sinnlose Unternehmen“ Wissenschaft und im weitesten Sinne an die protestantische Arbeitsethik unserer (Post-)Moderne. [...]

„Steiner sitzt da, wie eine Spinne in einem Netz von sozialen Kontakten, die er nutzt und deren Informationen er verarbeitet“, meint er. Zander sucht durch akribische Kontextualisierung nachzuweisen, „dass Steiner zeitgenössisches Wissen benutzt hat und keine anderen Quellen brauchte, als die, die seinen Zeitgenossen auch zur Verfügung standen.“ [...]

Zander [...] wolle keine neue Theorie der Theorie konstruieren, sondern „versuchen klarzumachen, wie Steiner Baustein auf Baustein setzt.“ [...] Dass er mit seiner Darstellungsstrategie durch die Hintertür doch wieder eine bestimmte, nun eben sehr fragmentierte Theorie einführe, sei nicht seine Absicht. Es ist aber die unliebsame Konsequenz des unmöglichen Versuchs, Deutungen abzuschütteln. Denn wer ihnen nicht ins Angesicht schaut, den überfallen sie von hinten. [...] Denn auf ihn trifft zu, was Goethe dem Geist, der sich im Laufe des Faust als Mephistopheles erweist, in den Mund legte: „Du gleichst dem Geist, den du begreifst. Nicht mir.“ []

Zanders Wertschätzung der Frauenemanzipation, der Demokratie und des zivilgesellschaftlichen Engagements und die Abwertung von Steiners sozialer Dreigliederung durch seine arkan-faschistische Lesart stellen ihn in die Wertegemeinschaft der deutschen Zeitgeschichte hinein. Der heuristische Wert, Fakten und Deutungen trennen und die „geistige Welt“ programmatisch nicht er- und folglich auch nicht anerkennen zu können, stellt ihn in die Wertegemeinschaft der Wissenschaftsgemeinschaft hinein. Und die Wertschätzung von Steiners „hochinnovativer Handarbeit“ und die Geringschätzung von Kopf- genauer: ganzheitlicher Erkenntnisarbeit entspricht Zanders ganz persönlicher Sicht- und Wertungsweise. Aber darf ein Wissenschaftler überhaupt Werturteile fällen? Darf er überhaupt Werte in seine Analyse hineintragen? [...]

Es entbehrt kaum einer gewissen Ironie, dass Zander, der mit philologisch-kritischer Akribie die Vorworte verschiedener Auflagen von Steiners Schriften miteinander verglich, genau da einen blinden Fleck aufweist, wo Steiner die Wissenschaft a priori hinwies hinzuschauen: auf die eigenen Voraussetzungen und Wertannahmen. [...]

Die Historiographie als Forschungssubjekt kann sich über die Anthroposophie als Forschungsobjekt beugen, sie kann die Ausflüsse dokumentieren und die Zuflüsse rekonstruieren, allein die Quellen, Steiners Forschung in der „geistigen Welt“, aus der die Anthroposophie erflossen ist, darf sie nicht in den Blick nehmen. Ihre methodische Selbstbeschränktheit verbietet ihr, der zentralsten Selbstdeutung der Anthroposophie ins Auge zu blicken. Denn sie würde in der Konsequenz die Selbstleugnung ihrer eigenen geistigen Quellen nicht mehr verleugnen können. [...]

Die deutsche Geschichtswissenschaft setzte im 19. Jahrhundert mit der Herausbildung der philologisch-kritischen Methode Wissenschaftsstandards und besaß durch den Historismus Weltruhm. Die französische Historikerschule der Annales d´histoire économique et sociale bereitet die methodische Pluralisierung durch die interdisziplinäre Anverwandlung von Ökonomie, Soziologie, Ethnologie und Psychologie vor, die heute weltweit vorherrscht. Jeder Historiker darf sich mittlerweile auf dem Markt der Methoden diejenigen aussuchen, die der Struktur und dem Wesen seines Forschungsgegenstandes und nicht zuletzt seinem subjektiven Denkstil am besten entsprechen.

Helmut Zander bedient sich unter anderem der angelsächsischen intellectual history und Max Webers Charisma-Konzepts zur biographischen Einkreisung Steiners. [...] Mit der Sensibilität einer Kratzbürste stellt er dabei Steiner als autoritären Übervater selbst ins Zentrum seiner Analyse und entgeht dadurch kaum der Personalisierungsfalle. Dem hätten die Methoden der von der Annales-Tradition entwickelten Mentalitätsgeschichte ebenso subtil wie klärend entgegenwirken können. [...] Dann würde sich, wie oben anhand der Werteanalyse gezeigt, auch klären, dass Helmut Zander Rudolf Steiner zwar faktisch im 19. Jahrhundert kontextualisiert, aber hermeneutisch aus seiner Sozialisation des späten 20. Jahrhunderts heraus deutet. [...]

Zum Schluss des Gesprächs und längst off the records gibt Zander mir für die Anthroposophen vielleicht den wichtigsten Hinweis mit auf den Weg: Wenn sich die Anthroposophen für die Wissenschaft öffnen, dann laufen sie Gefahr, ihre eigene Identität zu verlieren. Das jedenfalls könnten sie aus der Geschichte der katholischen Theologie lernen, die ihr vornehmstes Forschungsgebiet auf dem Altar des „methodischen Atheismus“ opferte: die geistige Welt. "< [Zitat Ende]

Die letzte Bemerkung ist interessant. Das Problem ist, dass weder Zander noch die heutigen Anthroposophen die Anthroposophie und ihre Wissenschaftlichkeit verstehen... Daher kann Zander die Anthroposophie als unwissenschaftlich belächeln (in Bezug auf die Nachfolger Rudolf Steiners durchaus mit Recht), während die Anthroposophen in ihrer Sehnsucht nach Anschluss sich sehr wohl der Wissenschaft zu öffnen versuchen, ohne die Geistes-Wissenschaft auch nur annähernd verwirklicht zu haben.

Der heimliche Traum eines jeden Historikers

Schmidt, Robin: Rezension zu: Zander, Helmut: Anthroposophie in Deutschland. H-Soz-u-Kult, 06.11.2007. [o]


Robin Schmidt schreibt in einer Buchbesprechung [o]:

[Zitat] >" Aber auch die rein historische Kritik [...] deckt auf, dass nicht alles, was Steiner geschrieben oder vorgetragen hat, im historischen Vakuum übersinnlicher Erkenntnis, sondern auch in und mit seiner damaligen Gegenwart entstanden oder – wie Helmut Zander zu beweisen versucht – lediglich Produkt der populären Bildung seiner Zeit ist. So zielt seine historische Analyse auch auf solche Anthroposophen von heute, die jedes Wort Steiners ungeprüft für reine Offenbarung nehmen. [...]

Durchgehend dagegen ist der methodische Griff, die wohlwollende Akzeptanz, ja oft hagiographische Behandlung des Themas Anthroposophie antithetisch zu konstruieren. Als Beispiel sei Zanders zentrale These genannt, dass Anthroposophie eigentlich Theosophie unter anderem Namen sei. [...] Zanders Methode bringt dadurch zwar eine wenig wahrgenommene Seite ans Licht, nämlich das oft unterschätzte Erbe der Anthroposophie an der Theosophie. Historisch legitim scheint mir diese Blickweise allerdings kaum: das wäre – zumindest für das Binnenverständnis – gerade so, als ob Deutschland heute als Kaiserreich unter anderem Namen deklariert, darauf reduziert und dann vollständig daraus erklärt werden sollte. [...]

Da die historische Kontextualisierung im Vordergrund steht, sticht manchmal die mangelnde Kontextualisierung innerhalb Steiners Werk selbst ins Auge. Helmut Zander beschränkt sich bei der Analyse der Texte Steiners meist auf Kritik auf der Wortebene. Inhaltliche Kontinuitäten unter anderer Terminologie bleiben dadurch unbemerkt und reduzieren die Komplexität. Das [...] hätte den Einstieg in werkimmanente Interpretationen gefordert. "< [Zitat Ende]

In einer inhaltlich sehr ähnlichen Besprechung „Zanders Gegenblick“ schreibt Schmidt [o]:

[Zitat] >" Mit seinem Mitte Juni 2007 erschienenen Werk geht für Helmut Zander vielleicht der heimliche Traum eines jeden Historikers in Erfüllung: mit einem Mal ein gänzlich unbearbeitetes Gebiet mit bisher unterschätzter Gegenwartsrelevanz für die Forschung zugleich zu erschließen, vollständig zu umfassen, kritisch zu beleuchten und dadurch auch noch einem marginalisierten Forschungsbereich auf die Sprünge zu verhelfen. Das ist hoch gegriffen und, um es vorweg zu sagen, ob sich der Traum verwirklicht, hängt vielleicht nicht einmal von dem Buch selbst, sondern von dessen künftiger Rezeption ab. Jedenfalls wird diese Publikation ein zentraler Bezugspunkt sein, wenn künftig über die Geschichte der organisierten Theosophie und Anthroposophie in Deutschland geforscht wird.

Der Autor hat viel investiert und biographisch riskiert. Einerseits sind in sein Forschungsthema nicht nur seine Promotionen und seine Habilitation, sondern auch die forschungsbiographisch wichtigen darauffolgenden Jahre eingeflossen, so dass mehr als 15 Jahre Auseinandersetzung mit dem Thema das persönliche Kapital dieses Buches bilden. Andererseits betritt der Autor ein Gebiet, das in Deutschland noch immer unterkühlt oder überhitzt behandelt wird: die Erforschung der Geschichte der Esoterik in Europa. Ein Thema, mit dem man sich in academia nicht gerne schmückt und kaum Lorbeeren zu erwarten hat, denn noch immer besteht sofort Ideologieverdacht, noch immer werden akademische Arbeiten in diesem Gebiet oft in polemischer Absicht publiziert, um den Gegenstand zu delegitimieren, zu „entlarven“ oder als Kontrastmittel für die eigenen Intentionen zu verwenden. [Und Zander selbst? Wohlwollend muss man wohl mit Uhlenhoff sagen: Er ist Opfer seiner eigenen Deutungen und unbewussten Antriebe. H.N.] [...]

Äußerlich tritt das Buch als eine solche Deutungsmacht auf, fast 2000 Seiten in zwei Bänden, das ganze Spektrum erschließend, von einem Historiker an der Berliner Humboldt-Uni geschrieben, der sich seit über 15 Jahren mit dem Thema beschäftigt, in einem anerkannten Wissenschaftsverlag erschienen. Man fühlt sich vielleicht gereizt, sich dazu sogar allzu gerne abweichend zu verhalten. Ich glaube jedoch, dass sich Macht durch Gespräch bricht. Gespräch auf akademischem Feld heißt Diskurs. So meine ich, dass das Buch seinen größten Gewinn vielleicht erst noch erzeugen muss – nicht nur durch ein bisschen Diskussion im Feuilleton, sondern indem es den Diskurs darüber weckt. Dann darf sich der Autor wirklich glücklich schätzen, denn dann ist der Historiker-Traum einmal wirklich geworden. "< [Zitat Ende]

Die etablierten Anthroposophen sind damit ebenfalls auf der Diskurs-Ebene angekommen... Wie illusionär Schmidts „Glaube“ ist, dass sich „Macht durch Gespräch bricht“, zeigt das Gespräch zwischen Zander und Kiersch Ende 2007. Ein Gespräch war eigentlich nicht möglich, der „Vertreter der Anthroposophie“ wurde im Grunde von Zanders Argumenten „überrollt“ (mehr dazu weiter unten) – und in der allgemeinen Öffentlichkeit hat Zander ohnehin das überragende Deutungsmonopol.

Glaubt Schmidt denn, jemand wie Zander würde seine Meinung auch nur ansatzweise ändern? Für ein echtes Gespräch müsste die Anthroposophie erst einmal ernst genommen werden – das wird sie aber nicht, so sehr ihre Vertreter auch „das Gespräch suchen“. Auch sie müssten die Anthroposophie übrigens erst einmal ernst nehmen. Denn wenn man über Anthroposophie spricht, ohne sie überhaupt selbst wahrhaft zu verstehen und zu erstreben, verweigern die anderen mit Recht das Gespräch und befürchten bloße Mystik, Ideologie und Dogmatik...

Was aber Menschen wie Zander betrifft, so verweist Thomas Meyer (siehe oben) mit Recht auf Karl Heyer,

[...] der in seiner Schrift Wie man gegen Rudolf Steiner kämpft (Stuttgart 1932) in Bezug auf solche Gegner meint: „Aber es handelt sich nicht um eine Auseinandersetzung mit ihnen, sondern um eine solche über sie. Ich wende mich in keiner Weise an diese Gegner. Ich wende mich vielmehr und ausschließlich an solche Menschen – und die leben auch heute in großer Zahl –, die Sinn für Sauberkeit haben und die Wahrheit suchen. Diesen ist man es schuldig, ihnen die Möglichkeit zu geben, sich über das Wesen gewisser Gegnerschaften aufzuklären. Darum handelt es sich.“

Ausführliche Widerlegung in 29 Punkten

Buchholz, Hans-Henning: Begleitende Gedanken zur Auseinandersetzung mit Zanders Buch. November 2007 bis Februar 2008. [o]


Die „Begleitende Gedanken zur Auseinandersetzung mit Zanders Buch“ von Hans-Henning Buchholz sind so ausführlich,
dass ihre Zusammenfassung an anderer Stelle erfolgt und hier nur die Überschriften wiedergegeben werden:

01. Einschätzung des Wissens bei Steiner über evangelische Theorien und katholische Praxis
02. Umgang mit unterschiedlichen menschlichen Meinungen
03. Vorwurf der Rassendiskriminierung
04. Erkenntnis-Wille der Kritiker der Anthroposophie
05. Angeblich fehlende systematische Darstellung der Waldorf-Pädagogik durch Steiner
06. Beurteilung Steiners der Montessori-Pädagogik
07. Behauptung, die Waldorfpädagogik sei eine theosophische Reformpädagogik
08. Behauptung, die Waldorfschule wäre seit je ein hierarchisches, bzw. autoritäres System
09. Kritik an der Darstellung Steiners, wie den Jugendlichen Moralempfinden beizubringen ist
10. Bekenntnis von seinem begrenzten Verständnis der Anthroposophie gegenüber
11. Einschätzung des bei Steiner entwickelten Verständnisses der Fragen anderer Menschen
12. Auswertung der Sekundärliteratur für Waldorf-Pädagogik
13. Kritik an der „Versteinerung“ der Waldorfpädagogik gegenüber der Staatsschule.
14. Der Schularzt an der Waldorfschule und Steiners Zehren von bereits vorhandenen Anschauungen
15. Einbeziehung der Karma-Erkenntnis in das Erziehungskonzept der Waldorfpädagogik
16. Behauptung, Anthroposophie stamme aus der Quelle der Theosophie oder aus der Akasha-Chronik
17. Behauptung, Anni Besant sei die „hoch verehrte Lehrerin Steiners“ gewesen.
18. Steiners Veränderungen und Korrekturen an seinen Texten
19. Angebliche Häufigkeit der Erwähnung der Theosophischen Gesellschaft bei Steiner
20. Angebliche Probleme Steiners, sein Verhältnis zu anderen mit Bedacht bestimmen zu können
21. Abhängigkeit Steiners von der Theosophie
22. Angeblicher zeitweiser Atheimsus Steiners
23. Behauptung, Anthroposophie sei Religion
24. Statistische Verknüpfung der Theosophischen mit der Anthroposophischen Gesellschaft
25. Verhältnis der großen Fleißarbeit zu der Tiefe der Erkenntnis der Anthroposophie
26. Von Rudolf Steiner vorgesehener Buchtitel des Fragment gebliebenen „Anthroposophie“
27. Annahme, Rudolf Steiner sei ein machtorientierter und autoritärer Mensch gewesen
28. Sicht des Begriffes „Mystische Tatsache“
29. Schilderung der christologischen Erkenntnisentwicklung bei Rudolf Steiner

Zanders Geschichte der anthroposophischen Medizin

Selg, Peter: Helmut Zander und seine Geschichte der anthroposophischen Medizin. Der Europäer, November 2007. [o]


Peter Selg schreibt im „Europäer“ vom November 2007 [o]:

[Zitat] >" [In seinem Buch] schreibt Helmut Zander unter anderem über anthroposophische Medizin – auf über 120 Seiten und in einem Kapitel, das den Anspruch erhebt, Rudolf Steiners „medizinische Vorstellungen“ zu „rekonstruieren“ und in ihren zeitgeschichtlichen Kontext zu stellen, mithin einen zentralen Beitrag zur Geschichtsschreibung der anthroposophischen Medizin zu leisten. Zander räumt zwar ein, dass seine „fehlende medizinische Kompetenz“ die Qualität seiner Analyse limitiere (S. 1456/1555), gibt sich jedoch im übrigen selbstsicher und zeichnet eine spezifische und scharf konturierte Karikatur dessen, was zu Beginn des 20. Jahrhunderts als geisteswissenschaftliche Erweiterung der Medizin in Dornach und Arlesheim konkret begonnen worden ist. In Helmut Zanders Arbeit, deren umfängliche (und doch außerordentlich selektive) Literaturbasis bereits an vielen Orten positiv hervorgehoben wurde, wirkt – unschwer übersehbar – ein besonderes Interesse und ein gerichteter Wille. Dennoch findet seine Kritik an der „inneren Kanonisierung von Steiners Werk“ (S. 1577) und an der „Binnenperspektive“ nahezu der gesamten anthroposophischen Sekundärliteratur – als weitertradiertem Ausdruck einer „semantischen Isolation“ und „binnenplausiblen Konstruktionslogik von Steiners Oeuvre“ (S. 1571) – auch in anthroposophischen Kreisen offene Ohren und wohlwollende Rezipienten; die berechtigte Frage nach einem zeitgemäßen Umgang mit Rudolf Steiners Werk droht hier ganz offensichtlich aus dem aufmerksamen Blick zu verlieren, welch eigentümlich aggressive und destruktive, hämische und höhnische Linie Zanders Ausarbeitung über weite Strecken eigen ist. Übersinnliche Erkenntnisse, ja Erkenntnisse überhaupt – deren Möglichkeit von ihm a priori in Abrede gestellt wird – hatte Rudolf Steiner nach Zander in keiner Weise und in keinem Bereich; Steiner rezipierte vielmehr in eklektizistischem Habitus Vorstellungen des 19. Jahrhunderts und drängte in der theosophischen Subkultur gezielt zur Macht, was ihm aufgrund taktischer Fähigkeiten, moralisch dubioser Praktiken und einer eigentümlich-autoritären Ausstrahlung auch gelang. Einer dieser Eroberungsbereiche war, so Zander, die Medizin. [...] "< [Zitat Ende]

Im weiteren weist Selg die Zanderschen Falschbehauptungen an verschiedenen Punkten detailliert nach. Ich zitiere ihn wegen der Ausführlichkeit an anderer Stelle. Hier nur die von mir formulierten Überschriften:

1. Falschbehauptungen zur Misteltherapie
2. Zanders Karma-Erotik
3. Zanders „ganz unsystematische“ Verdrehung von Zitaten
4. Eine weitere völlig gegensätzliche Verdrehung
5. Das Herz ist keine Pumpe
6. Bezug zur Naturheilbewegung?
7. Ita Wegman und Meditationen für Ärzte
8. Ein hoffnungsloses Unterfangen
9. Absolute Blindheit und Missbrauch jeder „kontextuellen Betrachtung“

Anthroposophie aus skeptizistischer Sicht II

Röschert, Günter: Anthroposophie aus skeptizistischer Sicht II. Hat sich Helmut Zander Verdienste erworben? Die Drei, 12/2007. [o]


In dem zweiten Teil seiner Betrachtungen schreibt Günter Röschert im Dezemberheft 2007 von „Die Drei“ [o]:

[Zitat] >" Die von Zander in Anschlag gebrachten analytischen Methoden erwiesen sich als unzureichend, um Rudolf Steiners Werk immanent-kritisch, d.h. nach den werksinternen Bedingungen und Eigentümlichkeiten, zu begreifen. Über die Merkmale des Studiums der Anthroposophie liegt eine ganze Anzahl von Untersuchungen vor, die Zander nicht berücksichtigt hat. Er bezweifelt die Originalität von Steiners Werk, die Möglichkeit der Geistesschau, die Widerspruchsfreiheit von Steiners Werdegang und die Erfahrungsgrundlage seiner Christologie. [...]

Zanders energische Betonung des europäischen Historismus des 19. und 20. Jahrhunderts ist nur die halbe Wahrheit. Sein eigener Skeptizismus, Agnostizismus und Anti-Spiritualismus ist ebenso partikular und hat daher keinen anderen Realitätsstatus als das Werk Steiners, das er kritisiert. [...]

Das Geisterleben in den Ideen ist der Kern des Kontinuitätsfaktors und damit der Originalität in Steiners Lebensgang und Lebenswerk, den Zander nicht zu finden vermochte (1686 f.). [...] Zander, der dies nicht zuzugestehen vermag, versucht stattdessen, Steiner eine geheime Abhängigkeit von spiritistischen Machinationen nachzuweisen, aufgrund einer Sehnsucht nach „Erfahrung“ (78, 86, 120, 340f., 861, 928-936). [...]

Trifft es zu, dass Rudolf Steiner selbst für die Inhalte seiner Geistesforschung, insbesondere auf den Gebieten der Menschenkunde, der Weltentwicklung und der Christologie absolute Wahrheit beansprucht hat? [...] Irrtums- und Täuschungsmöglichkeiten auf der Bahn der Forschung hat Steiner eingeräumt, was Zander bekannt ist (612, 848f.). Die sogenannte Akasha-Chronik darf nicht als Reservoire abrufbereiter, vollständig ausgebildeter höherer Wahrheiten mißverstanden werden. Daraus folgt, dass der Anthroposophie in keinem Stadium ihrer Entwicklung und für keinen ihrer Inhalte absolute Wahrheit zugeschrieben werden kann. Steiners Werk orientiert sich allerdings an der ewigen Wahrheit des Logos, strebt nach ihr, begründet sich aus ihr, wenn auch die Fassungskraft menschlicher Bewusstseine und der Sprache die Epiphanie des Logos niemals vollständig durchzutragen vermag. [...]

[Fußnote 24: R. Steiner 1899: „Davon haben heute wenige Menschen eine Ahnung: Dass etwas wahr sein kann, auch wenn das Gegenteil davon mit nicht geringerem Rechte behauptet werden kann. Unbedingte Wahrheiten gibt es nicht.“ in: Methodische Grundlagen der Anthroposophie (GA 30, S. 394).]

Rudolf Steiner selbst hat innerhalb eines seiner bedeutendsten Vortragszyklen davon gesprochen, dass manches von ihm nur als halbe Wahrheit „angedeutet“ werden konnte. Es war ihm selbstverständlich, dass die kommenden Kulturepochen immer neue und tiefere Einsichten vor allem über das Mysterium von Golgatha ermöglichen werden. [...]

Helmut Zanders Bekundung, er halte objektive Erkenntnisse für eine philosophische Utopie, wird von ihm historistisch zu begründen versucht. Es gebe keine Erkenntnis außerhalb anthropologischer und sozialer Bedingungen. [...]

Die Ermöglichung menschlicher Freiheit ist heilsgeschichtlich ein vom Scheitern bedrohtes Unternehmen Gottes, weshalb der „Weltenplan“ nur ein Entwurf ist und kein deterministisches Ungetüm. Der Gesamtverlauf des kosmischen Werdens in Evolution und Involution ist strukturiert durch die Vorstufen und die Folgewirkungen des Mysteriums von Golgatha. Die Inkarnation des Logos bedeutet das Eintauchen in den Bereich der Kontingenz und ist zugleich ein normatives Geschehen auf der höchsten Stufe. Die „konstitutive Bindung des Christentums an die Geschichte“ (751) war Steiner deshalb nicht „suspekt“, sondern er betonte sie bei jeder Gelegenheit. In der 2. Auflage des Buches „Das Christentum als mystische Tatsache und die Mysterien des Altertums findet sich folgender Fundamentalsatz: „Vereinigung der Seele mit ihren höchsten Kräften ist zugleich Vereinigung mit dem geschichtlichen Christus.“ Diesen Satz von der doppelten Vereinigung hat Zander nicht diskutiert; seinem Buch ist auch nicht zu entnehmen, dass er sich der durchgreifenden Realdialektik von Freiheit und Weltentwicklung bewusst geworden ist. [...]

Hinsichtlich der anthroposophischen Christologie im Verhältnis zur Gotteslehre ist Zander im Ergebnis ratlos: „Ob Steiner einen regelrechten Pantheismus oder nur einen Panentheismus oder nur einen Hylozoismus vertrat, ist ein umstrittenes Thema ...“ (766) Dabei hat Zander die wirklichen christologischen Probleme bei Steiner kaum berührt. [...]

Zander – und mit ihm auch andere Kritiker der letzten 100 Jahre – halten für ausgeschlossen, zumindest für höchst unwahrscheinlich, dass Rudolf Steiner Zugang zu einer Erkenntnisquelle außerhalb von (sinnlicher) Wahrnehmung und Denken hatte, der übersinnlichen, mit einem höheren Gewissheitspotential ausgestatteten Schau. Daraus ergeben sich mit einer gewissen Folgerichtigkeit der Plagiatsvorwurf, die Ablehnung objektiver Erkenntnisse überhaupt, das Historismusargument und die Behauptung schwerwiegender Richtungsänderungen in Rudolf Steiners Werdegang. Die übersinnliche Begegnung Steiners mit dem Mysterium von Golgatha als Erfindung zu bezeichnen, hat Zander nicht gewagt, er meint wohl, es handle sich um eine Vision (499). "< [Zitat Ende]

Zanders Missverstehen der sozialen Dreigliederung

Strawe, Christoph: Helmut Zanders Missverstehen der sozialen Dreigliederung. Sozialimpulse, 4/2007. [o]


Auch dieser grundlegende Aufsatz von Christoph Strawe sei wegen der Ausführlichkeit der Zitate an anderer Stelle wiedergegeben.
Hier zunächst nur einige der wesentlichen Abschnitte [o]:

[Zitat] >" Zanders Missverstehen der sozialen Dreigliederung kulminiert, wie bereits angedeutet wurde, in der Fehldeutung des Begriffs des „freien Geisteslebens“. Diese wiederum wurzelt in seiner Rezeption der Philosophie der Freiheit in Band 1 seines Werkes. Zander hat Steiners philosophische Kritik der Wahlfreiheit als der gängigen Begründung der Willensfreiheit und seinen Ansatz, die Freiheitsfrage auf die Ebene der bewusst gewordenen und aus individueller Einsicht geschöpften Motive des Handelns zu verlagern, offenbar schlicht nicht verstanden. In Band 2 führt ihn das zu der Aussage: „Zur Freiheit als Voraussetzung politischen Handelns hatte Steiner ein gebrochenes Verhältnis, weil es in der diesseitigen Welt keinen freien Willen gebe.“ (S. 1250) Das unterlegt er mit einem Zitat, welches aber nur beweist, dass als frei nur Handeln aus Erkenntnis bezeichnet werden kann, Erkenntnis aber – als Synthese von Wahrnehmung und Begriff – hat mit der aktiven Teilhabe an der geistigen Welt der Ideen zu tun. Zanders Schlussfolgerung, frei und fähig zur Gesellschaftsgestaltung sei also nur der Esoteriker, ist schlicht bizarr. Steiner geht es mit der Idee des freien Geisteslebens um die Durchlässigkeit des Sozialgefüges für den ethischen Individualismus – das erkenntnisgeleitete, durch die individuelle Vernunft gesteuerte und auf individueller Kompetenz beruhende Handeln des einzelnen Menschen. Bei Zander hingegen liest es sich so: „In Steiners Konzeption drängte [...] die Hegemonie des autoritären Geisteslebens die demokratischen Werte und Regeln in Randbereiche ab. Mit der Struktur der Dreigliederung hielt Steiner nach dem Untergang des Kaiserreichs an einer Art konstitutioneller Monarchie fest, in der nun die ‚Eingeweihten‘ und ‚Hellsichtigen‘ die Oligarchen stellten und demokratische Entscheidungen an ihr Placet banden“ (S. 1354)

Wie kann man die Idee, dass Schulen, Universitäten und alle anderen Einrichtungen des geistig-kulturellen Lebens autonom und selbstverwaltet sind, also in jeder Hinsicht geistig miteinander in Wettbewerb treten – auf dem Boden der Anerkennung der Menschenrechte – als „hegemonistischen Übergriff des Geisteslebens in Recht und Wirtschaft“ (S. 1314) missverstehen, durch den eine demokratischer Legitimation entzogene Geistesaristokratie von außen die Politik und die Ökonomie steuert?

Was könnte denn pluralistischer sein als ein freies geistiges Leben? [...] Innerhalb desselben wäre doch jeder Hegemonieanspruch – sofern das Selbstverwaltungsprinzip intakt bleibt – undurchsetzbar. [...] Indem das Geistesleben sich als selbständige Sphäre der Gesellschaft frei entwickeln kann, kann es seine Kraft und damit, wenn man so will, auch Macht entfalten. Aber es handelt sich dabei eben nicht um politische Macht, sondern um „cultural power“ (Nicanor Perlas), der alle Instrumente hoheitlicher Gewalt ebenso fehlen wie jegliches ökonomische Druckmittel. – Auf S. 1347 wird das Steiner sogar angekreidet, als „naiver Glaube an die Kraft der besseren Argumente“. [...]

Die soziale Dreigliederung ist kein inhaltliches Programm, sondern eine Beschreibung von Strukturen, die es Menschen ermöglichen, ihre Verhältnisse selbst zu ordnen. [...] Wesentlich ist die Methode, die hilft, Antworten auf die Fragen der Gegenwart zu finden. Dieses Potenzial der Dreigliederung in den großen Auseinandersetzungen der heutigen Zeit wird aus dem Blickwinkel Zanders nicht erkennbar. Aus diesem Blickwinkel ist es auch unmöglich, Dreigliederung als Versuch einer Antwort auf die Fragen zu behandeln, die sich aus der Individualisierung einerseits, der Globalisierung andererseits ergeben und deren Beantwortung unter anderem auch ein neues Rollenverständnis des Staates notwendig macht. Zander entgehen die verborgenen Dreigliederungsmotive in den großen zivilgesellschaftlichen Bewegungen der letzten Jahrzehnte gänzlich. "< [Zitat Ende]

„Wenn Ahriman die Anthroposophie zertrümmern will...“

Niederhausen, Holger: „Wenn Ahriman die Anthroposophie zertrümmern will...“ 7.12.2007.


Am 5.12.2007 fand in der Waldorfschule Berlin-Kreuzberg ein Streitgespräch zwischen Zander und Kiersch statt.
Bevor ich die Gedanken von Achim Hellmich und Sorin Enachescu dazu wiedergebe, tue ich dies zunächst mit meinen eigenen, denn ich war an diesem Abend dabei und hatte meine Gedanken danach niedergeschrieben:

Ich erlebte es als geradezu planvoll, wie er Steiner „verteidigte“, wie er mehrfach wiederholte „Steiner wollte mehr“ – um diesen Steiner dann um so effektiver zerschlagen zu können. Wie nämlich in diesem „wollte“ implizit und in seinen Darstellungen ganz explizit der versuchte Nachweis steckte, dass das ein nur vorgetäuschter Anspruch war und dass Steiner alles, was er schilderte, nicht aus seiner Geistesforschung hatte, sondern aus anderen, äußeren Quellen und dazu noch (zwangsläufig) zeit- und kulturgeprägt. Ich kann mich natürlich täuschen, aber insgesamt bekam ich den erschreckenden Eindruck eines bewussten, jesuitischen Vorgehens, um die Geisteswissenschaft insgesamt durch und durch unglaubwürdig zu machen.

Dazu trug dann auch der starke Schwerpunkt der Rassenfrage bei – Zander verneint nicht nur Rassenentwicklung, sondern zugleich jegliche Bewusstseinsgeschichte und -entwicklung, d.h. die Evolution des Geistes im Menschen. Dagegen stellt er die platte, katholisch-humanistische Vorstellung, dass alle Menschen von Gott geschaffen sind, natürlich gleich, der Ägypter wie der heutige Mensch mit (demselben) Ich-Bewusstsein begabt. (Die Sehnsucht und Ahnung der Gleichheit aller Menschen wird luziferisch, indem das Ich zugleich als ewig-gleich gedacht wird) Was soll man dagegen sagen? Man erscheint ja fast schon als Rassist, wenn man diese Unterschiede in der zeitlich auseinandergelegten Menschheitsgeschichte bejaht! Du verneinst das Ich-Bewusstsein des Ägypters? Überleg mal was du tust! Solche Vorstellungen führten geradewegs in den Nationalsozialismus! Im Grunde liegt das in Zanders Worten.

Es ist eine höchst komplizierte Frage. Aber was ich erlebte, war die Leugnung des Geistes, die Leugnung des Wesens der Anthroposophie. Steiner war nichts weiter als ein genialer Komponist, der das, was immer schon da war, neu zusammensetzte, um den Menschen eine grandiose Sinnperspektive zu geben (die natürlich konstruiert ist) – und der eben auch äußerst fragwürdige Diskurse und Rassenideen aufgriff und außerdem (das kam im Streitgespräch allerdings nicht heraus) ein allzu menschlicher Mensch war, dem es auch sehr um Machtansprüche ging. Ich habe wirklich gedacht: Wenn Ahriman die Anthroposophie zertrümmern will, dann müsste er es so geschickt machen...

Ich kann nicht wirklich sicher sagen, wie viel Bewusstsein und welches Gemisch von Motiven bei Zander in diesem Vorgehen lag und liegt [ich hatte damals z.B. auch noch nichts aus seinem Buch gelesen, H.N.]. Aber ich bin mir sehr sicher in bezug auf die Impulse, die dahinterstehen und als geistige Wesenheiten über dieses gelungene Werk und auch den gelungenen Auftritt am Mittwoch „frohlocken“. Man kann ja sogar als Wissenschaftler die größte subjektive Wahrhaftigkeit (und Wissenschaftlichkeit) empfinden und trotzdem den Widersachermächten dienen – ohne es auch nur im Ansatz zu merken.

Dennoch hat das Ganze natürlich auch Gutes. Wohl getreu dem Wort Goethes über die Kraft, die stets das Böse will und doch das Gute schafft. Steiner wollte ja nicht verehrt, sondern eben verstanden werden. Dabei geht es ganz zentral auch um die Frage nach der „Entwicklung“ des Menschheitsführers Rudolf Steiners, seiner Erkenntnisse und Erkenntnisfähigkeiten. Wie kann man hier zu einem eigenen, der Wahrheit verpflichteten Urteil kommen? Wo spricht Steiner aus wirklich irrtums-unabhängigen Intuitionen, die frei sind von allen Einflüssen seiner Zeit? Und wie sollten sich dann die wahrhaftigen Anthroposophen zu solchen Stellen im Gesamtwerk stellen, von denen man das Gefühl hat, Steiner selbst würde das heute nicht mehr sagen? Der Versuch, Steiner zu einem ganz normalen, „nur genialen“ Menschen zu machen (ähnlich wie Jesus Christus zum „schlichten Mann aus Nazareth“), kann immer auch der stärkste Aufruf an die Anthroposophen sein, selbst aktiv zu werden.

Es geht nicht darum, ein „hehres“ Bild von Steiner zu erhalten, sondern sich intensiv auf den Weg zu machen und ihm zu folgen – selbst den Weg zum Geist zu gehen! Das Problem bei den angeblichen Anthroposophen ist, dass immer die Gefahr besteht, dass bei dem leisesten begründeten Zweifel an Steiners Aussagen gleich das ganze Gebäude zusammenzustürzen droht. Der Zweifel, einmal gesät, breitet sich wie ein Schwelbrand aus. Das zeigt aber nur, dass man zu bequem ist, wirklich kraftvoll selbst den Geist zu suchen! Man will bei der Verehrung stehen bleiben. Scheinheiligkeit, Bequemlichkeit, Lauheit, das Kultivieren der eigenen Geistes-Schwäche.

Insofern gilt: Zander oder auch die dahinter stehenden geistigen Impulse scheiden die Spreu vom Weizen. Im Grunde leugnet Zander das Wesen der Anthroposophie, weil er es nicht erkennt, zumindest de facto leugnet er es, weil es in seinem Werk nicht vorkommt, vom Ansatz gar nicht vorkommen kann. Gerade dadurch aber könnten sich die Anthroposophen wahrhaft bewusst werden, wo dieses Wesen liegt.

Johannes Kiersch kontra Helmut Zander

Hellmich, Achim: Johannes Kiersch kontra Helmut Zander. Zum Streitgespräch über Anthroposophie. Themen der Zeit, 7.12.2007 (?). [o]


Achim Hellmich berichtet von dem Streitgespräch folgendes [o]:

[Zitat] >" Für Zander, als „hard-core Wissenschaftler“, wie er sich selbst einmal bezeichnete [wir verstehen dies jetzt noch besser, siehe den Artikel von R. Uhlenhoff, H.N.], der die Anthroposophie von „außen analysiert“ und Rudolf Steiner lediglich als herausragenden Eklektiker ansieht, der an seinen kulturspezifischen Kontext gebunden ist, sind alle geisteswissenschaftlichen Aussagen Steiners, um es verkürzt zu sagen, ideologischer Überbau mit dogmatischem Charakter.

Johannes Kiersch betrachtet die Anthroposophie dagegen von innen, aus den Prozessen der Entwicklung und Erneuerung heraus. Erkenntnisse werden von Steiner u.a. durch Imaginationen gewonnen, die Ebene der Intuition ist der Bereich, der zu letzten Wahrheiten führt. Kiersch gebraucht für die Intuition das Bild des „Verschmelzens mit dem Dingen, dem Sein, der Wahrheit“, und er spricht von den „unterschiedlichen Schleiern, die die Wahrheit umhüllen und entsprechend schwer zu durchdringen sind“. Insofern müsste man die Frage nach der „absoluten Wahrheit“ bei Steiner differenzieren. Folgt man Steiner auf dieser Stufe der Intuition, so sind diese Wahrheiten erkennbar und damit überprüfbar. [Kann man die hilflose Abstraktheit dieser Ausführungen erleben? H.N.]

Wer nun geglaubt hatte, in Helmut Zander einen wilden Streiter gegen die Anthroposophie zu erleben, war überrascht. Zander hat eine sympathische Ausstrahlung, er argumentiert abgewogen, hört hellwach zu, geht auf sein Gegenüber in sachlicher Argumentation ein, wirkt geistig beweglich und ist an der Anthroposophie, so scheint es zumindest, vorurteilslos interessiert. [Ja, der Schein war und ist wirklich außerordentlich raffiniert. Zander kann diese „sympathische Ausstrahlung“ gefahrlos kultivieren, rhetorisch ist er auf der von ihm vertretenen Ebene nahezu unüberwindbar und kann die Pfeile seiner vergifteten Argumentation so jederzeit ungehindert und vollständig anbringen, H.N.].

Beide kämpften, um es bildlich zu sagen, nicht mit Säbel, sondern mit Florett. Zander versuchte Kiersch auf Steiners „absolute Wahrheiten“ und „Unfehlkeit“ festzulegen, doch Kiersch hatte Rudolf Steiner als Ikone längst vom Sockel gestoßen, Steiner ist für Kiersch ein Mensch und als solcher nicht ohne Fehler und Irrtümer, aber darüber hinaus mit der entwickelten Fähigkeit zur Intuition, aus der das geistige Schauen gewonnen wird. [...]

Auf Publikumsfragen, die insbesondere an ihn [Zander] gerichtet waren, ging er sehr verständnisvoll und konzentriert ein. Alles in allem ein hervorragender Vertreter seiner Sache. Helmut Zander ist zweifelsohne ein Sympathieträger und kein verkopfter Professor. [Das ist die Gefahr: Auch auf diese Weise vereinnahmt Zander, während das schwache Denken seine Angriffe gar nicht tief genug erfasst, ihnen jedenfalls wehrlos gegenübersteht, H.N.].

Kiersch gewann durch seine selbstkritischen Äußerungen [!! H.N.] an Überzeugungskraft und Aufmerksamkeit. Und wenn er sagte, Anthroposophie müsse immer wieder neu geschaffen und gestaltet werden [?? H.N.] und ein sinnerfüllter Unterricht an der Waldorfschule gebe den Kindern seelisch-geistige Nahrung [...], dann spürte man wie nachhaltig seine Argumente, nicht nur beim Publikum, sondern auch bei Zander wirkten. [Das ist die bewährte Taktik: Im einzelnen Erfolge zugeben oder sogar bewundern, aber dennoch die Grundlage vollkommen in Zweifel ziehen, und so resümiert Hellmich am Ende dann auch folgerichtig, H.N.] [...]

Auf Helmut Zander bezogen, bleibt allerdings fraglich, ob er auch nur einen Bruchteil seines akademischen Fleißes, den er mit seinen Büchern nachweist, aufwenden würde, um eine Innensicht der Anthroposophie zu bekommen. Denn nur dadurch könnte er sich methodisch dem annähern, verstehen und erleben, was Anthroposophie bedeutet. "< [Zitat Ende]

Streitschrift zum Streitgespräch

Enachescu, Sorin: „Streitschrift“ zum „Streitgespräch“ am 05.12.07 in der R.S Schule B-Kreuzberg: Kiersch versus Zander. 13.12.2007. [o]


Wesentlich deutlichere Worte findet Sorin Enachescu, Professor an der Berliner Universität der Künste [o].
Er stellt seinen Ausführungen das folgende Zitat Rudolf Steiners voran (Auszug etwas geändert, H.N.):

Es ist unsinnig, zu glauben, man könne sich mit solchen Leuten verständigen; denn die wollen es nicht. Worauf es ankommt, ist, die übrige Menschheit aufzuklären über diese Menschen. Man hat zu der übrigen Menschheit über diese Menschen zu sprechen. Damit sie sich mit uns verständigen können, dazu ist ja wahrhaftig alles geschehen. Sie brauchten nur vorurteilslos zu lesen, was da ist, sich in das zu vertiefen, was da ist. [...]
Wenn nur nicht leider gerade innerhalb unserer Kreise oftmals das Bestreben bestünde, in dieser Beziehung Kompromisse zu schließen, in dieser Beziehung sich nicht unbedingt zum Mute der Wahrheit zu bekennen! Es ist gar nicht nötig, dass wir uns jemals der Illusion hingeben, eine Verständigung mit dem oder jenem herbeizuführen, der sich ja gar nicht mit uns verständigen will. Hülfe es uns etwas? Was für uns notwendig ist, das ist: mutvoll eintreten für die Wahrheit, soviel wir können. Und das scheint mir insbesondere aus der Auffassung dessen hervorzugehen, was mit der Entwicklung der Menschheit verbunden ist.
28.12.1919, GA 195, S. 57f.


Im Sinne dieses Mutes zur Wahrheit schreibt er dann [o]:

[Zitat] >" Wäre der Organisation dieses vermeintlichen „Streitgesprächs“ am 05.12.07  in der Aula der Waldorfschule in B-Kreuzberg diese Aussage R.S. bewusst, hätte diese über dreistündige Farce nicht stattgefunden. Demnach kann ich nur kopfschüttelnd sagen: arme Anthroposophie, das geistige Erbe R. Steiners, in welche Hände geraten?! [...]

Die Katze war ziemlich schnell aus dem Sack; spätestens nach den Verkündigungen von Herrn Dr. Zander: „Anthroposophie sei eine Religion“, „R. Steiner sei ein genialer Eklektiker“, etc., eingebettet in Endlosketten von apodiktischen Behauptungen und Trugschlüssen, die vom Plenum brav hingenommen wurden, war es schnell klar woher und wohin alles soll. 

Nun zur Wissenschaftlichkeit des Buches: ich habe vorher das Buch nicht gelesen, und natürlich verspüre ich jetzt noch weniger das Bedürfnis dazu, nachdem der Verfasser auf die Frage hin, ob er bestimmte Schriften Steiners gelesen hätte, expressis verbis sagt, ihm wäre die Sekundarliteratur über die Anthroposophie sympathischer... Auf solchen Fundamenten ist das Haus entsprechend wackelig. Als „Akademiker“ sind mir oft wissenschaftliche Arbeiten begegnet, die auf  bequeme Denkgewohnheiten wie Postulate, Medienveröffentlichungen und publizierten Aussagen  basierend, Dinge in die Welt hinstellen, die das Ungewöhnliche, Unwägbare, Unbequeme, an „Ethos und Gewissen Appellierende“  relativieren, ins Banale herabstilisieren, um das „déjà vu“ (schon gehabt) zu suggerieren. Oder eben nur bestimmte Beweise suchen, die Bestimmtes beweisen sollen!

Wer den  Steinerschen Schriften entnommenen esoterischen Inhalte eine immanente innere Logik abspricht [...] oder diese gar im „Einheitsbrei“ zeitgenössischer Überlieferungen lokalisieren oder verbannen will, hat etwas anderes als redliche wissenschaftliche Erkenntnisabsicht vor…oder ist der Sache nicht gewachsen. [...]

Der Erkenntnis und der Wahrheit hat dieser Abend ganz zentrifugal entgegenwirkt. Warum übersieht die Organisation, noch dazu als eine Vertretung von Bund der Waldorfschulen diese Tatsache?

Dr. Zander verschweigt oder taxiert als bloßes „make the best of it“ - alle sozialen, anthroposophisch inspirierten Einrichtungen z.B., die Schulen ohne Gewalterscheinungen  und eine menschenwürdige, ethosgetragene Medizin; ebenso verkennt er das anthroposophische „Menschenbild“, das dem Menschen ein „Ich“„zumutet“, diesem eine überzeitliche Entwicklungsnotwendigkeit „unterstellt“ und ihn so (eigentlich logisch nachvollziehbar!) aus der Unverbindlichkeit eines „Massendaseins“ befreit. Damit übersieht er als Kulturhistoriker die „unverwechselbare“ Individualität im Menschen, die durch Eigenverantwortung in der sozialen und gesellschaftlichen Entwickelung im Gang der Menschheitsgeschichte, eine kontinuierliche Aktivrolle notwendig und erstrebenswert macht.

Dies entspricht wohl seiner Auffassung nicht und ist sein gutes Recht, somit selbst die Kategorie „Entwicklung“ zu ignorieren. Diese wesentlichen Pfeiler der Anthroposophie aber tendenziös anders öffentlich darstellen wollen, zeigt die Parteilichkeit des Vorhabens [...].

Zur Motivation des Werkes: wenn der Verfasser auf die Frage hin, wie er zum Entschluss kam, das 15 Jährige stattlich finanzierte Forschungsprojekt zu verwirklichen, die Antworten gibt, er hätte zum genannten Projekt an der Uni Bamberg gesagt, sollte sich niemand anderer finden, würde er sich anbieten, kann man schwer in seinem Vorhaben eine völlige Unparteilichkeit, Überpersönlichkeit oder gar „Wahrheitsliebe“ erkennen und  als für glaubwürdig akzeptieren, was auch immer „aufs Spiel setzen der eigenen Karriere“ heißen mag…  

Zur Organisation: was heißt es nun, „Streitgespräch“? [...] Streiter vertreten oder verteidigen etwas. Hier wurde nur elegant die Anthroposophie herabgewürdigt, mit oft höflichem Abnicken oder Schweigen der „Gegenseite“, bestenfalls mit ein Paar kritischen Bemerkungen zum Zanderschen Werkinhalt am Ende des Abends. Zu spät, da die Worthülsen und die Begriffsverstellungen den Saal und die Wahrnehmung des Publikums schon aufgefüllt und betäubt hatten. Nein, ich stelle mir etwas anderes unter „Streitgespräch“ vor: so etwas wie „mutvoll auftreten für die Wahrheit, soviel wir können“ (s.o.g. Zitat von R.S.) [...]

Wer ist aber der Nutznießer des Abends, wenn es ihn gibt? Für jüngere, unbefangene Menschen, eine vollkommene Benebelung, durch Begriffsvermengung (am Ende des Abends wurde nur so mit Begriffe wie „die Wissenschaft“ und „ich glaube“ von Herrn Zander in seinen Statements jongliert). Meine Wenigkeit ist nach über 37-jähriger Beschäftigung mit der Anthroposophie der „Primärliteratur“ etwas weniger anfällig... [...]

R. Steiners Anfangszitat passt am besten auch zum Ende. Davor aber noch eine Bemerkung, bezüglich des Interviews von Dr. Zander in der FAZ am 10.06.07 (im Internet zu lesen!) Er ist sicherlich ein Kind seiner Zeit, als er z.B. u. A. moniert, „… Wenn man keine Dogmen eingesteht, kann man auch nicht über Lehrinhalte streiten. Mit dem Postulat höherer Erkenntnis haben sie (die Anthroposophen, n. S.E) ein autoritäres Verhältnis zur Wahrheit. Man stößt bei überzeugten Anthroposophen zu schnell auf Dinge, die nicht verhandelbar sind. Das ist in unserer Gesellschaft, in der alles diskutierbar ist, eine schwierige Position.

Es wäre  die Sache eines „brainstorming“ unter den  Anthroposophen, die sich dazu berufen fühlen, das Erbe Rudolf Steiners der öffentlichen Wahrnehmung (vor allem den jüngeren Generationen) in dem Licht zu präsentieren, aus dem sich ethisch und sozialpolitisch positive, gedanklich kohärent – schlüssige und gesellschaftlich-freiheitliche Impulse für eine humanere Menschheitsentwicklung ergeben können – denn das wollte Rudolf Steiner !!! 

Mein Fazit. In einer Zeit, wo händeringend nach Alternativen und Lösungen auf allen gesellschaftlichen Menschheitsebenen für die  globalisierten Problemverhältnissen gesucht wird, diese umfassende, sozialpolitische, kulturstiftende und humanismusfördernde Geisteswissenschaft und die Erkenntnistiefe der Steinerschen Anthroposophie tatenlos einer pseudowissenschaftlichen Missdeutung zu überlassen, würde auf Dauer – mutatis mutandis – einer „Gefährdung des sozialen Friedens“ (Otto Schily) gleichkommen. Das kann mir als bloße Behauptung angehängt werden. Ich möchte jedoch hierzu keine Beweise liefern müssen; denn manches ist nur dann erkennbar, wenn es bereits geschehen ist – somit zu spät! – und dann nützen auch die Beweise nicht mehr! "< [Zitat Ende]

Der bestrittene geschichtliche Sinn

Ewertowski, Jörg: Der bestrittene geschichtliche Sinn. Anthroposophie, Weihnachten 2007. [o]


In einem hervorragenden, wirklich wegweisenden Aufsatz arbeitet Jörg Ewertowski die originäre Polarität von Zanders Historismus
und den durch die Anthroposophie neu in die Weltgeschichte eingetretenen Ideen heraus. Auch diesen Text gebe ich wegen der Länge der Auszüge an anderer Stelle wieder. Hier nur der ganz wesentliche Schlussteil [o]:

[Zitat] >" Die Anthroposophie ist zwar tatsächlich als Minderheitenströmung im Raum der Geisteswissenschaften ein denkbar schutzloser, andererseits aber womöglich doch gar kein so ganz ungefährlicher „Gegner“ für den radikalen Historismus. Zum einen manifestiert keine andere geistige Strömung ihre Wahrheit durch eine solche Praxis-Wirksamkeit, und zum anderen finden sich auf ihrem Gebiet eine ganze Reihe geistesgeschichtlich neuer Ideen, die als solche dazu geeignet sind, als geistige Tatsachen die Wirklichkeit von Entwicklung im Felde der Ideengeschichte zu demonstrieren. Ganz besonders brisant wird es nun für den Historismus deshalb, weil darunter auch eine Idee ist, die das Ausgangs-Problem des Historismus in ein völlig neues Licht stellt und schließlich aufhebt.

Wir stehen am Ende des 19. Jahrhunderts vor einem äußerst bemerkenswerten Zusammenhang: [...] Um den Sinn des Individuums völlig herausarbeiten zu können, musste also der menschheitsgeschichtliche Sinn-Entwurf des deutschen Idealismus erst zurückgenommen werden. In der Folge wurde aber deutlich, dass sich der Sinn der einzelnen Individualität wiederum ohne einen menschheitlichen und menschheitsgeschichtlichen Sinn auch nicht aufrechterhalten lässt. Dieses Dilemma ist die echt erlittene geistesgeschichtliche Aporie, in deren Folge erst der Historismus die Bedeutung erlangen konnte, die er erlangt hat. Damit wird uns die wichtige geistesgeschichtliche Bedeutung der Anthroposophie klar. Denn die Idee, die die Kraft besitzt, dieses Dilemma  zu lösen, ist einer ihrer ganz zentralen Inhalte: Menschheitsgeschichte und Reinkarnation gehören unauflöslich zusammen. Die einzelnen Menschen vollziehen als selbständige Individualitäten den Geschichtsweg der Menschheit auf dem Reinkarnationsweg vollständig mit. Richtig durchdacht, kann dieser Sachverhalt das Ausgangs-Dilemma des Historismus auflösen.

Lessing hat die Idee von jener „Erziehung des Menschengeschlechts“, die sich auf dem Reinkarnationsweg vollzieht, als Keim in die Bewusstseinsgeschichte des Abendlandes getragen, aber dieser Keim konnte sich zunächst noch nicht entfalten, weil der Sinn für die Bedeutung der einzelnen menschlichen Individualität erst noch vollständig ausreifen musste. Die Anthroposophie hat erstmals die Bedeutung des Individuums und die der Menschheitsgeschichte gleichgewichtig zu realisieren vermocht. Sie zeigt, wie die Individualisierung, die den Menschen aus den nationalen und familiären alten Gruppenbindungen herauslöst, sich auf der Grundlage des Mysteriums von Golgatha mit einer Einbindung in das Menschheitliche verschwistern kann. Das ist im Wesen, wenn auch in anderem Gedankenkleid, genau jener Sinn des Christentums, den schon Ernst Troeltsch gegen die Relativierung des Historismus zu setzen gesucht hat, den er aber doch nur (eben ohne Reinkarnationsgedanken) auf der Glaubensebene behaupten, nicht aber auf der Ideenebene zur Erkenntnis gestalten konnte.

Mit all dem haben wir jetzt die wahre Beziehung zwischen der Anthroposophie und dem Historismus begriffen. Die Anthroposophie ist keine reaktive Anti-Bewegung gegen den Historismus, die die Wahrheiten, die jener geschichtlich überholt hat, erschrocken restaurieren will. Sie ist vielmehr eine diskussionswürdige Lösungsmöglichkeit des historistischen Dilemmas, eine Lösungsmöglichkeit, die ganz unabhängig davon, wie man sie in Zukunft noch bewerten wird, allein schon durch die Tatsache, dass sie in die Welt gekommen ist, echten geistesgeschichtlichen Fortgang auf dem Gestaltniveau von Grundideen bezeugt.

Der Weg, den Zander in seinen Büchern beschritten hat, ist nur zu konsequent, wenn auch tief erschütternd in seiner tragisch-symptomatischen Bedeutung: Zuerst hat er sich in seiner Dissertation als katholischer Theologe mit dem Thema Christentum und Reinkarnation beschäftigt und hier den Reinkarnationsgedanken abgewiesen, da er sich seiner Auffassung nach mit dem christlichen Menschenbild und abendländischen Personbegriff nicht vereinbaren lässt. Anschließend ist er in seiner ersten historischen Studie dem Reinkarnationsgedanken in der abendländischen Geistesgeschichte skeptisch-ablehnend nachgegangen. Und zuletzt sucht er, ausgerechnet anhand einer „Geschichte der Anthroposophie in Deutschland“, jene radikal-historistische Position zur bleibenden Wahrheit zu erhärten, die jede Möglichkeit der Sinnbehauptung, auch die der Individualität, in Frage stellt. Aber im Gegenbild zeigt er damit ungewollt genau das, worum es geht. "< [Zitat Ende]

Zanders „Johannesbau“

Halfen, Roland: Close-Reading-Rezension [zu fünf Seiten aus dem Architektur-Kapitel]. Dornach, Dezember 2007. [o]


Im Dezember 2007 veröffentlichte Roland Halfen vom Rudolf Steiner Archiv in Dornach eine Untersuchung von fünf Seiten des Architektur-Kapitels von Zanders Buch. Er schreibt [o]:

[Zitat] >" Im Unterschied zu einer Reihe bisher erschienener Rezensionen [...] wird hier ein einzelnes Kapitel exemplarisch herausgegriffen, Absatz für Absatz durchgegangen und zunächst vor allem das rein Faktische richtiggestellt. Der Leser kann sich dadurch selbst ein Urteil darüber bilden, inwieweit es sich bei den Beispielen der bisherigen Rezensionen um bedauerliche Einzelfälle handelt oder um die folgerichtigen Ergebnisse einer intentional geleiteten Selektion zur Bestätigung einer vorgefaßten These. In diesem Falle: Alles dasjenige, was die Anthroposophen naiverweise dem Genius ihrer Leitfigur Steiner zuschreiben, sei von diesem lediglich aus den verschiedensten äußeren Quellen zusammengetragen oder rühre letztlich von seinen Mitarbeitern her. Insofern handelt es sich bei diesem Werk nicht um eine rein historisch orientierte Kontextualisierung von Steiners Werk zur bloßen Bereicherung der bisherigen Erkenntnisse, sondern um die Durchführung einer präzise formulierbaren These mit Hilfe aller dafür dienlichen Materialien und Methoden. "< [Zitat Ende]

So schreibt Zander zum Beispiel:

Aus dem architektonischen Formenreservoir der ihn umgebenden „Kolonie“ von Mitgliederbauten (Abschn. 12.5) entstand nach dem Brand des Johannesbaus 1922 die Architektur des noch stehenden und die anthroposophische Architektur bis heute normativ prägenden Goetheanum (Abschn. 12.6).


Abgesehen davon, dass schon das erste Goetheanum „Goetheanum“ hieß, korrigiert Halfen:

Falsch und irreführend. Nach dem Brand des Goetheanum, d.h. 1923 gab es kein einziges unabhängig von Steiner entworfenes bzw. realisiertes Gebäude in der „Kolonie der Mitgliederbauten“, das einen Einfluß auf die Gestaltung des Modells hätte nehmen können, und Zander bleibt dementsprechend auch jeglichen Beleg für seine These in Abschn. 12.6. schuldig. Steiner selbst hat hinsichtlich der konkreten Anknüpfungspunkte für einen zweiten Goetheanumbau explizit und eindeutig auf den „Eckenstil“ des Eurythmie-Anbaus des Hauses Brodbeck hingewiesen (31. Dezember 1923, GA 260, S. 216) und dies entspricht auch dem anschaulichen Befund. Der tiefere Grund für diese These Zanders wird erst auf  S. 1064 genannt.


In „Die Biografie“ korrigiert Zander sich übrigens stillschweigend und schreibt dort sehr anders (S. 423):

Doch nach dem Brand dauerte es länger als ein Jahr, ehe Steiner zu einer neuen Konzeption des Goetheanum fand. Er nahm sich Zeit für eine Innovation.


Dann entlarvt Halfen Zanders Motiv, bei der Benennung „Johannesbau“ zu bleiben: Zanders Hauptthese ist, das Goetheanum sei letztlich für Freimaurer-Kulte (Johannes-Freimaurerei) gebaut worden, und Steiner habe den Namen nur verändert, um davon abzulenken. Noch in „Die Biografie“ schreibt Zander unter Hinweis auf die Thronsessel (S. 321): „In ihnen hätte er als Meister vom Stuhl gesessen und mit seinem Hammerschlag die Zeremonie gelenkt [...]“

Halfen jedoch weist darauf hin, dass der Name „Johannesbau“ von Anfang an zusammenhing

[...] mit der Figur des Johannes Thomasius aus Steiners Mysteriendramen, für deren Aufführung der Münchner und der Dornacher Bau allen bekannten Äußerungen Steiners zufolge gebaut wurde.


Zander jedoch behauptet schon in einem englischen Aufsatz den angeblichen Zusammenhang mit der Freimaurerei:

When Steiner renamed the Johannesbau in 1918, he wanted to divert away from this connection, as he had already admitted indirectly in 1917.


Was hat Steiner 1917 „indirekt zugegeben”? Hier sieht man wieder, wie Zander bedenkenlos angebliche Quellen nennt, die in Wirklichkeit das Gegenteil aussagen! Er zitiert Steiner: „...eine große Anzahl von Menschen [denkt] bei dem Namen „Johannesbau“ an die Johannes-Freimaurerei“. Der Kontext [!] bleibt schwer zugänglich, da die Stelle in der GA noch nicht veröffentlicht ist. Es handelt sich um die 5. ordentliche Generalversammlung des Johannesbauvereins am 21.10.1917. Steiner verweist eindeutig auf die Notwendigkeit der Umbenennung durch die Verwechslungsgefahr! Er sagt:

Schwierigkeiten sind verbunden damit, dass wir den Namen „Johannesbau“ ändern, Schwierigkeiten sind damit verbunden, dass wir ihn behalten [...] weil es in der nächsten Zeit unter Umständen sehr wichtig sein kann, wirklich auch vor der Öffentlichkeit einen Namen, der keine Missverständnisse hervorruft, zu haben. [...] vor allen Dingen – es denken eine große Anzahl von Menschen bei dem Namen „Johannesbau“ an die Johannes-Freimaurerei. Und dass wir uns von der Johannes-Freimaurerei unterscheiden, dass wir nichts mit ihr zu tun haben, das [...] kann etwas sein, was für die nächste Zeit, gerade auch für die jetzigen Verhältnisse, eine große Bedeutung hat. [...] Da können sich natürlich manche Schwierigkeiten ergeben, wenn immer wieder und wiederum das Missverständnis obwaltet, dass hier irgend ein Ableger der „Johannes-Maurerei“ auf diesem Dornacher Hügel sich aufgebaut hat, was nach der ganzen Natur und Sache unserer Bewegung eben nicht der Fall ist.
Rudolf Steiner, 21.10.1917.

Missachtung der Mitarbeiter?

Weitere Worte Rudolf Steiners auf dieser Mitgliederversammlung entziehen Zanders übergeordneter Hauptthese nun jegliche Grundlage. Zander behauptet, Steiner hätte bei jeder Gelegenheit kopiert und vereinnahmt. Insbesondere wäre er autoritär aufgetreten und hätte so oft wie möglich die Rolle seiner Mitarbeiter verschwiegen usw. – Man empfinde nun aber einmal wirklich sehr tief nach, was Rudolf Steiner an diesem Abend ausspricht und wie sehr dies seinem Wesen entspricht:

Was ich sagen will, verehrte Freunde, das ist nicht irgendwie so aufzufassen, als wollte ich die Berichte der verehrten Vorsitzenden irgendwie ergänzen oder lückenhaft finden, sondern ich möchte nur eine Anregung geben über etwas, was mir aufgefallen ist schon seit langer Zeit. Wer bekannt ist mit der späteren Forschung, die angestellt wird über dasjenige, was auf solchen Gebieten geschehen ist, wie z. B. unser Bau ist, der weiß, wie groß die Schwierigkeiten sind für die späteren Analysten, wie groß die Schwierigkeiten sind, manches herauszubekommen, die Historie richtig zu stellen. Ich betone z. B., dass man heute noch nicht mit vollständiger Gewissenhaftigkeit angeben kann, wann Raphael von Florenz nach Rom gezogen ist. In solchen Dingen kann man aber der Zukunft ein wenig zu Hilfe kommen, und das würde nur auch gewissermaßen die Objektivität erfordern.
Ich möchte die Anregung geben, dass in den Berichten, die so in unseren Generalversammlungen gegeben werden, und die doch die Grundlage für die Geschichte der Baubewegung werden, wirklich verzeichnet werden neben der Bewegung der Geldmittel, neben anderen Dingen, auch verzeichnet werden die Namen unserer treuen Mitarbeiter, und wirklich im einzelnen. Wer weiß, wie unendlich viel Arbeitskraft hineingeflossen ist in die ganze Bauarbeit, der wird es eigentlich als etwas Selbstverständliches betrachten, dass in den Berichten in erster Linie all die treuen Mitarbeiter, auch mit Bezeichnung ihrer Arbeit usw. auftauchen.
Es wird vielleicht dies auch sonst gerade unter den gegenwärtigen Verhältnissen von außerordentlicher Bedeutung und Wichtigkeit sein, ganz abgesehen davon, daß – wie ich meine – die objektive Berichterstattung die Dankesschuld dadurch abzutragen hat an diejenigen, die eben eine wirklich nicht hoch genug zu schätzende, gar nicht zu bemessende Fülle und Summe von Arbeit zur Fertigstellung der Gruppe und unseres Baues geleistet haben. Wenn z.B. betont worden ist, wie an der Gruppe gearbeitet worden ist, so möchte ich durchaus hervorheben, dass man dabei z.B. auch ins Auge zu fassen hat, dass diese Gruppe ohne die treue Mitarbeiterschaft derjenigen, die eben ihre Arbeitskraft der Sache widmen, nicht hätte zustande kommen können, absolut nicht hätte zustande kommen können, und unter den gegenwärtigen Zeitverhältnissen am allerwenigsten, wenn Sie bedenken, wieviel ich verhindert bin, hier an Ort und Stelle zu sein, und wie viel hat gearbeitet werden müssen, ohne dass ich irgendwie dabei habe sein können.“
Rudolf Steiner, 21.10.1917.


Noch verwirrender wird es, wenn man sieht, wie verantwortungslos Zander selbst mit den Mitarbeitern „umgeht“ – auch sie sind für ihn nur Schachfiguren in dem Spiel, Steiner zu „demontieren“:

Der Architekt Schmid-Curtius beanspruchte ebenfalls, aufgrund von vagen Angaben Steiners für die Planung verantwortlich zu sein; vgl. Kemper: Der Bau, 187. Die Frage der Rolle einzelner Theosophen für die Planung ist wohl nicht mehr zu klären.


Halfen kommentiert dazu:

Von einem „Anspruch auf die Planungsverantwortung aufgrund von vagen Angaben Steiners“ ist an der angegebenen Stelle und auch sonst nirgendwo die Rede. Es geht dort vielmehr um die Entstehung und Entwicklung des Doppelkreis-Grundrisses ab 1908. Die Herausgeber referieren eine Erinnerung von Alexander Strakosch (Lebenswege mit Rudolf Steiner, S. 141), welcher zufolge der Ingenieur im Sommer 1911 nach der Gründung des Johannesbauvereins Dr. Steiner um erste konkrete Hinweise für den Grundriß des geplanten Johannesbaus bat und daraufhin eine elementares geometrisches Konzept mit der Aufgabe erhielt, die konkreten Proportionsverhältnisse selbst auszuarbeiten. Schmidt-Curtius wird dagegen nur mit einer Notiz zitiert, in welcher er berichtet, daß die Elementarangabe Steiners zum Grundriß „auf ihn überkommen“ sei, und Steiner ihm später den Abstand der beiden Kreismittelpunkte mit 21 m angegeben hat.
Die dort wiedergegebenen Äußerungen sind wichtige Fakten für die Frage der Zusammenarbeit Steiners mit seinen Kollegen im Kontext der Bauplanung, und es ist eigenartig, warum Zander auch hier wiederum nur oberflächlich und noch einmal sachlich falsch referiert, um unmittelbar dann summarisch zu behaupten, die „Rolle einzelner Theosophen für die Planung“ sei „wohl nicht mehr zu klären“. Vor dem Hintergrund seines angeblichen Anliegens (S. 1065), das Verhältnis zwischen Steiner und seinen Mitarbeitern besser als bisherige Studien darzustellen, verwundern diese Mängel.


Ein weiteres Beispiel dafür, wie es gerade Zander ist, der Menschen geringschätzt, ist das folgende:

Möglicherweise aus diesem Umfeld oder von Wiesberger (siehe Anm. 14) könnte auch Ohlenschlägers Behauptung, Stinde sei die „eifrigste Betreiberin des Bauansinnens“ für den Münchener Bau gewesen, stammen; dies ist zumindest übertrieben.


Halfen stellt richtig:

Während Zander andere Bewertungen der Arbeit Stindes leichtfertig kritisiert, gibt er an dieser Stelle keinen Beleg für seine eigene Sichtweise und bleibt damit auf der Stufe bloßer Behauptungen. Sophie Stinde war Mitbegründerin und 1. Vorsitzende des Johannesbauvereins und ab 1913 des erweiterten Johannesbauvereins Dornach bis zu ihrem Tode im Jahre 1915. Rudolf Steiner betonte auf einer Generalversammlung der deutschen Sektion als Generalsekretär ausdrücklich, daß es sich bei dem Münchner Bau um eine Initiative der Münchner Mitglieder handele, nicht um ein offizielles Projekt der deutschen Sektion, und faßte in seiner Totenansprache am 18. November 1915 (GA 261, S. 151) über Sophie Stinde zusammen: „Für München war sie die Seele unseres ganzen Wirkens“.

Zander-Werk gibt eine harte Nuss zu knacken

Unger-Leistner, Cornelie / Voegele, Wolfgang: Anthroposophie in der Öffentlichkeit: Zander-Werk gibt eine harte Nuss zu knacken. NNA, 28.12.2007. [o]


Die NNA-Korrespondenten Unger-Leistner und Voegele schreiben am 28.12.2007 [o]:

[Zitat] >" Ganz abgesehen von seiner historisch-kritischen Forschungsmethode, die nur die Außenseite der Anthroposophie beschreiben kann, ist für Zander Rudolf Steiners Weltbild nur eine Variante der Adyar-Theosophie. Dass Steiner in einer langen Tradition westlicher Esoterik mit jüdisch-christlichen Wurzeln steht, blendet Zander völlig aus. Auch Steiners Anknüpfung an Goethes Forschungsmethodik interessiert ihn nicht. [...]

Generell tendiert Zander dazu, anthroposophische Autoren zu marginalisieren, da er sie ja aufgrund seiner methodischen Vorgaben als „Binnenliteratur“ oder apologetische Selbstbestätigungsliteratur einordnet. Obwohl er sie gelegentlich zitieren muss, nimmt er sie im Grunde nicht ernst. Dagegen lässt er Verfasser von Anti-Steiner-Pamphleten der letzten 80 Jahre (z.B. den Antisemiten Max Kully) immer wieder zu Wort kommen. So ist seine Darstellung einseitig und alles andere als objektiv. []

Besonders originell ist Zanders Anthroposophiekritik auch nicht. Es sind auffallende Parallelen zwischen ihm und den Steinerkritikern der ersten Kritiker-Generation um 1920 nachweisbar, bis hin zu wörtlichen Übereinstimmungen. [Soviel zu Zanders „Plagiat-Keule“, H.N.]. Es gibt kaum einen wesentlichen Befund Zanders, der nicht schon vor vielen Jahrzehnten von den genannten Kritikern publiziert worden wäre. [...] Er gießt vielfach alten Wein in neue Schläuche, gibt Altbekanntes und längst Widerlegtes als neueste Erkenntnisse aus. [...]

Dabei zeigen sich nicht nur argumentative, sondern auch taktische Parallelen, etwa in den Beschwichtigungsformeln. So beteuert 1918 einer der infamsten Steinergegner, Max Seiling, er wolle Steiner „nicht richten und verurteilen, sondern eben nur feststellen, dass er das nötige Vertrauen zu seinen Offenbarungen nicht beanspruchen kann.“

Zander beschwichtigt im gleichen Ton: „Ich wünsche mir, dass Anthroposophen […] diese Arbeit nicht als Schwert eines Scharfrichters, sondern als wissenschaftliche Analyse lesen.“ (S. 1719). Gleichwohl sitzen beide über Steiner zu Gericht und beider Urteil über den moralischen Charakter Steiners fällt geradezu vernichtend aus. [...]

Ein Novum allerdings, dass Zander gleichsam in Personalunion zwei Mächte vereinigt, die bisher getrennt gegen Steiner vorgingen: katholische Theologie und akademische Wissenschaft. []

Zanders Buch bestätigt einmal mehr: mit historisch-kritischen Methoden allein lassen sich spirituelle Weltanschauungen wie Theosophie und Anthroposophie nicht verstehen, weil gerade das, was das Neue daran ausmacht, mit System ausgeklammert wird. Rudolf Steiners Grundlagenwerk „Die Philosophie der Freiheit“ kommt in Zanders Kompendium überhaupt nicht vor. [...]

Ihre Weltoffenheit, ihre Menschlichkeit, ihre Betonung der geistigen Freiheit des Einzelnen, ihre positive Haltung zum Wissenschaftsbegriff, ihre Neutralität gegenüber allen Religionen, ihre gelebte Toleranz gegenüber den verschiedenen Ethnien, und ihre Innovationsfreudigkeit auf den Gebieten der Kunst und Wissenschaft, ihr Engagement in sozialen und gesellschaftlichen Fragen – all das ist kein Thema für den „objektiven“ Wissenschaftler Zander.

Und so besteht der Schaden, den Zander mit seinem Buch anrichtet, genau darin, der Diskussion über die Notwendigkeit des neuen Denkens in der Öffentlichkeit Steine in den Weg zu legen – ob Zander sich dessen nun bewusst ist oder nicht.

Denn der interessierte Laie wird nicht allein vom Umfang seines neuesten Riesenwerkes überwältigt sein. Er wird ehrfürchtig vor der „ausgewiesenen“ wissenschaftlichen Qualifikation Zanders stehen und allzu rasch geneigt sein, ihm von vornherein zu glauben, vor allem, wenn er wahrnimmt, dass fast jede These, jedes Urteil bis ins kleinste mit Quellenangaben belegt ist. Hochschullehrer und Studenten werden der Auffassung sein, nun auf Generationen hinaus „das“ Standardwerk über Anthroposophie in Händen zu haben und glauben, sich bequem auf Zander berufen können, ohne selbst erst mühsam Quellenstudien treiben zu müssen. [...]

Im Gegensatz zu Deutschland – wo das Thema Esoterik auch durch seine Vereinnahmung in der NS-Zeit belastet ist – sind in den letzten zehn Jahren in anderen europäischen Ländern Lehrstühle zur Erforschung der westlichen esoterischen Tradition entstanden, beispielsweise in Paris, Exeter und Amsterdam.

So vertritt etwa der niederländische Esoterikforscher Wouter Hanegraaff die These, dass die Spaltung von Wissenschaft und Esoterik erst durch eine bestimmte Form von polemischem Diskurs erzeugt wurde. Im 16./17. Jahrhundert sei Esoterik überhaupt nicht getrennt gewesen von naturwissenschaftlichen Fragestellungen zum Beispiel bei Bruno, Kepler, Bacon, Comenius und Newton. In Hanegraaffs „Dictionary of Gnosis and Western Esotericism“ (2006) werden auch Rudolf Steiner und die Anthroposophie in sachlichen Artikeln abgehandelt.

Heute herrscht zwischen Esoterik und akademischer Wissenschaft – und hier ist Helmut Zander mit seinem Buch nur ein Beispiel – in Deutschland durchweg noch ein polemischer und von gegenseitigem Unverständnis geprägter Diskurs, in welchem eine Seite die jeweils andere zu diskreditieren sucht. Dies wird sich erst dann ändern, wenn jede Seite in Wahrhaftigkeit nach echter Erkenntnis strebt und die Integrität der anderen in diesem Bemühen anerkennt, so unterschiedlich die methodischen Ansätze auch sein mögen. "< [Zitat Ende]

Hier wird wiederum deutlich, wie extrem Zander alles ausblendet, was nicht in seine Sichtweise passt. Er blendet sämtliche Grundlagenwerke aus, die auf die Entwicklung einer anderen Erkenntnis hinweisen und die Wege dazu angeben. Er blendet die Früchte dieser Arbeit aus, die sich bis heute entfalten. Er blendet die moralische Essenz dieses „Ansatzes“ und dieser Bewegung aus. Und all das, weil für ihn der Gründer der Anthroposophie kein Esoteriker, sondern ein Hochstapler war!

Man spürt förmlich die „instinktive“ Abwehr Zanders. Gegen was? Gegen den Anspruch Rudolf Steiners! Den Anspruch auf übersinnliche Erkenntnisse, auf Wissenschaftlichkeit der Erkenntnismethode und auf Reproduzierbarkeit bei entsprechender Entwicklung der Methode. Dagegen wehrt sich Zander, es kann nicht sein, es darf nicht sein...

Und weil er sich darauf festgelegt hat, auch nur die Möglichkeit dessen in Betracht zu ziehen, jedenfalls aber selbst eine innere Furcht vor dem Geist hat (siehe oben), muss er das Genannte auch bei Steiner leugnen. Er müsste es nicht, aber er tut es. Und so vollzieht sich unerbittlich das „Karma“ dieser Entscheidung:

So, wie ihm dasjenige unsichtbar bleibt, was er ohnehin abwehrt, so legt sich auch über seine eigenen Erkenntnisvoraussetzungen ein dunkler Schleier. Vielleicht ahnt er  unbewusst, wie sehr Steiner ihm dennoch voraus ist, und zwar real voraus. In jedem Fall dient Steiner ihm als undurchschaute Projektionsfläche – und er legt alles in Steiner hinein, was er (Zander) an ihm „exekutiert“: Zander wirft Steiner Autorität und Macht vor, aber Zander selbst urteilt von einem allüberragenden Machtstandpunkt aus, in Bezug auf den er auch nicht den leisesten Zweifel zulässt.

Zander wirft Steiner „Deutschnationalismus“ und „Rassismus“ vor, aber seine eigene Sprache belegt Seite für Seite, wie bewertend – und zwar in ununterbrochen außerordentlich herablassender Weise – er auf Steiner schaut. Er wirft Steiner Unwahrhaftigkeit vor, aber er verdreht fortwährend den Sinn von „Quellenangaben“. Er wirft Steiner vor, den Beitrag von anderen zu leugnen, aber er verschleiert, dass viele andere vor ihm (Zander) vieles längst genauer recherchiert haben – und er leugnet jene Stellen, die exakt dokumentieren, wie sehr es Steiner ein Anliegen war, dass jeder Einzelne mit seinem Beitrag gewürdigt werde!

Und so könnte man sicher noch lange fortfahren und würde immer neue Aspekte entdecken. Deswegen hat Peter Selg recht, wenn er sagt, hier liege „eine Tragik, auch im Hinblick auf Helmut Zander selbst“.

Zander als Spiegel anthroposophischer Kinderkrankheiten

Swassjan, Karen: Helmut Zander als Spiegel anthroposophischer Kinderkrankheiten. Januar 2008. [o]


Karen Swassjan veröffentlichte schon im November 2007 eine ausführliche Auseinandersetzung mit Zanders Werk: „Aufgearbeitete Anthroposophie. Bilanz einer Geisterfahrt“ [o]. Im Januar folgte dann gewissermaßen als Nachtrag der Aufsatz „Helmut Zander als Spiegel anthroposophischer Kinderkrankheiten“. In bewährt scharfer Analyse zeigt Swassjan, dass die „führende“ Anthroposophenschaft schon seit langem die Richtung auf einen Zander hin genommen hat. Ausführlich möchte ich auch diesen Beitrag an anderer Stelle zitieren. Hier zunächst folgende Passage:

[Zitat] >" Auf Lindenberg geht die Gepflogenheit zurück, unter Steiners Äußerungen jene, die von seinem Hellsehen herrührten, von denen zu unterscheiden, die er als schlichter Mensch („armer Eltern Kind“) getan habe. Im letzteren Fall genießen sie dann selbstverständlich keine okkulte Immunität, unterliegen aber einer um so schärferen Fehlerkontrolle. Lindenberg darf mithin trotz all seinen anthroposophischen Konzessionen und Halbheiten als Bahnbrecher jenes Arbeitsfeldes gelten, auf dem heute Zander seine ultimae rationes abharkt. [...]

B. v. Plato weiter: „Die Menschen haben im allgemeinen die Tendenz, ihren Blick auf große Persönlichkeiten – und die Anthroposophen insbesondere auf Rudolf Steiner – zu richten, denn er war gewiß groß, er ist groß. Und das ist auch gut so [Das ist sogar doppelt gut so. Siehe oben bei Nana Göbel – K. S.] Das ist richtig. Aber dadurch heißt das dann irgendwo, daß man sich selber nicht ernst nimmt.“ [...]

Nach der Logik: So wenig Steiner wie möglich, dafür aber möglichst viel von „uns“. In Info3 (10/07) hebt Wolfgang Held, der „Verantwortliche für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit am Goetheanum, Dornach“, die Notwendigkeit hervor, zu unterscheiden, „wo Rudolf Steiner als Eingeweihter, wo mit Alltagsbewußtsein und damit als Kind seiner Zeit spricht und handelt“. Held: „Wenn Jens Heisterkamp danach fragt, wie die Verantwortlichen Rudolf Steiner schützen können, dann meine ich: durch eine Auseinandersetzung, in der wir lernen, zwischen dem ewigen und dem situativen, dem aus den Höhen inspirierten und dem zeit- oder kontextgebundenen Rudolf Steiner zu differenzieren.“

Also: Da liegt die Gesamtausgabe Rudolf Steiners. Zur Frage steht, wie „die Verantwortlichen“ sie schützen können. Antwort eines solchen Verantwortlichen: dadurch, daß die Spreu (das Zeit- oder Kontextgebundene) vom Weizen (dem Ewigen) gesondert wird. Das Erstaunliche ist dabei, daß Held nicht verrät, wer diese löbliche Aufgabe eigentlich durchführen soll. Bleibt nur, sich auf die Logik zu verlassen: Offensichtlich einer, der dies kann. [...] Denn eines ist eindeutig: Jeder, der dies zu können meint, stellt sich zumindest auf eine Ebene mit Rudolf Steiner und seinen Fähigkeiten, was in adäquaten Termini zu bewerten bereits in weitaus andere Kompetenzen fallen würde als die erwähnte.[16]

  • [16] Merkwürdig ist, dieser obskuren Unterscheidung zwischen „ewig“ und „zeitgebunden“ bei einem anthroposophischen „Verantwortlichen“ zu begegnen. Der Theologe Zander kann mit Fug und Recht darüber schmunzeln, nachdem er das angeblich „Ewige“ bei Steiner als „zeitgebunden“ entlarvt zu haben glaubt. Den Rest der Arbeit, die Entsorgung des „Zeitgebundenen“, werden die Anthroposophen schon selbst leisten können.

Hier ist der Schlüssel zu den „erfreulichen Stimmen“ aus dem Goetheanum zu Zanders Studie zu suchen. Denn Zander hat nichts anderes gemacht, als daß er zu dieser Befreiung von Steiner „auf dem wissenschaftlichen Boden“ (Held) beigetragen hat, von dem der Mitarbeiter der „Forschungsstelle Kulturimpuls“ Robin Schmidt nur schwärmen kann. [...]

Kann man denn anders Anthroposoph werden, als dadurch, daß man diese Kontexte nicht generell, sondern als ahrimanisch oder luziferisch zu erkennen versteht? Lehrreich ist in dieser Hinsicht die Logik, mit der B. v. Plato seine Vision der anthroposophischen Situation und Perspektiven im oben angeführten Beispiel verdeutlicht: Steiner war ein Kritiker seiner Zeit. Er kritisierte ihre Werte und stellte ihnen seine eigenen entgegen. Aber nicht seine Werte, sondern die seiner Zeit haben sich inzwischen durchgesetzt. Und als Anthroposophen müssen wir wirklichkeitsgemäß sein; das heißt: uns nicht mehr an Steiners Werte halten, die es heute nirgends gibt, sondern an die, die heute in unserer Welt bestehen usw. Es ist nur ein einziges Wort, das vom Hersteller dieser Konstruktion verschwiegen wird, weshalb es überhaupt nur möglich ist, sie vor einem anthroposophischen Forum zu vertreten. Das Wort ist: ahrimanisch. Es hätte eigentlich heißen müssen: Nicht Rudolf Steiners Werte, sondern die Ahrimans haben sich durchgesetzt. Wir leben heute in einer Welt, die von ahrimanischen Werten geprägt ist, und wir treffen unsere Wahl: in Erwartung einer weltgeschichtlichen Inkarnation. Heute Anthroposoph sein, heißt mithin: sich von dieser Welt nicht verschlingen lassen und Zeuge der Wahrheit sein. [...]

Der Student der Anthroposophie versteht sich selbst besser, wenn er sich als eine dramatis persona des Buches Theosophie versteht, nämlich als Seele, die in der Mitte zwischen Leib und Geist lebt. Die Seele empfängt den Geist, lebt ihn, während er sich am Leib spiegelt, und dieses Leben steht dann vor zwei Möglichkeiten: Entweder wandelt sie den Leib mit der Kraft des in ihr lebenden Geistes in Geist um. Oder sie fährt sich im Leiblichen fest und vertut die Kraft des Geistes. So steht auch der Student der Anthroposophie zwischen Anthroposophie und Gesellschaft und läßt ein Karma durch sich in Erfüllung gehen, durch welches entweder die Gesellschaft wieder zu Kräften kommt oder die Anthroposophie vergeht. [...] "< [Zitat Ende]

Swassjan in der "Historischen Zeitschrift"

Swassjan, Karen: Buchbesprechung von „Anthroposophie in Deutschland“. Historische Zeitschrift, Band 287 (2008), S. 795. [o]


Auch in dem hochrenommierten Fachblatt „Historische Zeitschrift“ erschien eine Buchbesprechung von Swassjan. Darin schreibt er [o]:

[Zitat] >" Der Auseinandersetzung mit einem „Okkultismus“, der Visionen, Trancepraktiken etc. ablehnt und einen radikalen Empirismus auf absolut rationaler Grundlage für sich in Anspruch nimmt, wäre durch Forschung mit Sicherheit mehr gedient als durch journalistische Kolportage.

Helmut Zander, von Haus aus katholischer Theologe und derzeit Privatdozent für Neuere und Neueste Geschichte an der Berliner Humboldt-Universität, will nun diese Lücke geschlossen haben. In der Tat scheint sein fast 2000seitiges Opus (in Teilen zugleich seine Habilitationsschrift) in der ehrsamen Tradition der deutschen Philologie und Quellenforschung zu stehen. Dieser Eindruck verflüchtigt sich allerdings rasch beim Lesen des Buches, das zwei Eigenschaften vermissen läßt, ohne die keine wissenschaftliche Leistung denkbar ist: Unbefangenheit und Sachkenntnis. Dabei steht Zanders unverhohlene Tendenziosität seiner Unfähigkeit nicht nach, das von ihm mit stupendem Fleiß gesammelte Material zu begreifen.

Diese Defizite sind bereits in der methodisch fragwürdigen Grundhaltung angelegt, über Steiners Werk zu urteilen, ohne sich mit diesem inhaltlich auseinanderzusetzen. Zander positioniert sich als Textkritiker bzw. Quellenforscher, dem es „nicht um eine Verifizierung oder Widerlegung von Steiners Hellsichtigkeit“ geht, „sondern um eine Analyse seiner verschriftlichten Wahrnehmungen“ (S. 619). Daß Texte, bevor sie überhaupt analysiert werden können, allererst verstanden sein müssen, scheint er dabei allerdings zu ignorieren. [...]

Weil sich [...] Begriffe auch bei anderen theosophischen Autoren finden, wird Steiner, dies die idée fixe des Autors, jedwede Originalität aberkannt und sein Werk in toto als alicuius scriptoris imitatio abqualifiziert. Der Vergleich mit einem Physik-Historiker drängt sich auf, der etwa Heisenberg des Plagiats bezichtigt, weil er dessen Begriff „Atom“ bereits bei Demokrit ausfindig gemacht hat.

Fügt man zur Fülle der Fehlinterpretationen und Falsifikationen zahlreiche, teils unglaubliche, Fälle von Zitierweisen hinzu, die den ursprünglichen Sinn absichtsvoll in sein Gegenteil verdrehen, so fällt es schwer zu glauben, daß derlei als akademische Qualifikationsschrift angenommen und in einem angesehenen Verlag veröffentlicht werden konnte. Das Schweigen der scientific community wurde derweil durch Medienberichte konterkariert, die (unter lebhafter Teilnahme des Autors) suggerierten, „die Wissenschaft“ habe ihr letztes Wort über Steiner und die Anthroposophie gesprochen. "< [Zitat Ende]

Heilsame Verunsicherung

Swassjan, Karen: Buchbesprechung von „Anthroposophie in Deutschland“. Historische Zeitschrift, Band 287 (2008), S. 795. [o]


Rüdiger Sünner, der Macher des Films „Abenteuer Anthroposophie“, führte ein Interview mit Zander, seinen Aufsatz darüber veröffentlichte info3 im März 2008.
Sünner selbst kommt mit seinem Film dem Wesen der Anthroposophie in keinster Weise nahe, auch wenn dieser noch so viele überwiegend positive Kritiken bekommen hat [o]. Bemerkenswert ist, dass Info3 zu den größten Belobigern von Sünner zählt – und ihm die „infoseiten anthroposophie“ vom Sommer 2008 widmete. Dort konnte er dann seine Gedanken verbreiten, etwa die folgenden:

Ich selbst halte [...] Esoterik für eine alternative Denkform, in der Themen wie [...] das Denken in Analogien, Symbolen, Imaginationen und Ähnliches behandelt werden. Für den Fall, dass dabei das rationale Denken eingeschaltet bleibt und man bestimmte Mythenbildungen auch kritisch reflektiert, sehe ich in einer solchen Denkform keine grundsätzliche Gefahr. [...] Könnte man nicht einen Film [über Steiner] machen, so dachte ich, der neben berechtigter Kritik an manchen seiner Standpunkte auch das Erstaunliche, Anregende und Faszinierende seiner Weltsicht herausarbeitet? Und zwar in einer anschaulichen Sprache, die dem Zuschauer über Bilder, Musik und Texte wenigstens ansatzweise eine Brücke zu dem baut, was Steiner die „geistige Welt“ nennt?


In seinem Aufsatz „Heilsame Verunsicherung“ schreibt Sünner dann [o]:

[Zitat] >" Für meinen Film „Abenteuer Anthroposophie“ wollte ich natürlich auch den Historiker Helmut Zander interviewen, dessen 1800 Seiten Werk „Anthroposophie in Deutschland“ seit geraumer Zeit bei Steiner-Anhängern und in den Medien für Aufregung sorgt. Nach einem ersten Treffen lehnte Zander ein Interview ab, weil ihm das Medium Film „zu wenig diskursiv“ erschien, aber nach einem weiteren Vorgespräch willigte er dann doch ein. [...]

Er ist ein brillianter Kopf, gleichermassen in Geschichte wie in Theologie bewandert, der einen beim Gespräch mit äusserst wachen, ja fast blitzenden Augen ansieht. Wirkte er beim ersten Kennenlernen noch wie ein kühler Rationalist, der sich selbst als „Hardcore-Wissenschaftler“ bezeichnete, so kamen bei späteren Gesprächen doch auch andere Seiten zum Vorschein.

Immer häufiger betonte Zander, dass er Steiners Ideenwelt durch seine historische Kontextualisierung nicht zerstören, sondern im Durchgang durch kritisches Fragen zum Entstehen einer neuen, „aufgeklärteren“ Anthroposophie beitragen wolle. Zander hat eigentlich ein ambivalentes Verhältnis zur Anthroposophie, was im persönlichen Gespräch noch viel stärker herauskommt als in der Habilitationsschrift oder in seinen Medienauftritten. Dort muss er ein bisschen dem öffentlichen Tenor Genüge tragen, der – zu Recht – nicht nur gereizt auf jeden Rassismusverdacht reagiert, sondern – zu Unrecht – auch eine generelle Aversion gegenüber allem Esoterischen ausserhalb der Weltreligionen hegt. Trotzdem haben mir die Gespräche mit Zander durchaus Spass gemacht und hinterliessen manche Denkanstösse. Auch ich habe zu Steiner ein ambivalentes Verhältnis und kann mir gar nicht vorstellen, wie man ein anderes zu ihm haben kann. In Gesprächen mit hundertprozentigen Anhängern als auch mit erbitterten Gegnern werde ich meist zum advocatus diaboli, der Steiner mal kritisch hinterfragt und mal in Schutz nimmt. Wie soll man auch anders mit einer solchen Rätselfigur umgehen, die beanspruchte, übersinnliche Einsichten in jeden Bereich von Leben, Tod und Kosmos zu besitzen?

Zanders Skepsis gegenüber der von Steiner behaupteten Fähigkeit zur „hellsichtigen Schau“ zeugen für mich erstmal nicht von Respektlosigkeit oder Zerstörungswut, sondern regt an, Argumente dafür zu finden, was Steiner mit seiner „geistigen Schau“ eigentlich gemeint haben könnte. [...] Trotzdem gesteht er Steiner durchaus ein schöpferisches Potential zu, was in der Zander-Kritik bisher kaum erwähnt wurde. Er spricht ausdrücklich von Steiners „Fortschreibung“ älterer, z.B. theosophischer Traditionen und von seiner „kreativen Intelligenz“.

Vielleicht besteht Zanders Hauptproblem daraus, nicht genügend erklärt zu haben, was er eigentlich mit dieser Kreativität meint. Denn bei einer solchen Untersuchung käme man vielleicht auch auf Bereiche, die nicht mehr nur rational zu erklären sind; immerhin spielen in den kreativen Akt Phänomene hinein, die die Sprache nicht umsonst mit spirituellen Begriffen wie „Eingebung“, „Einfall“ oder „Geistesblitz“ zu umschreiben versucht. [...] Waren somit nicht auch Johannes Kepler, Albert Einstein und Werner Heisenberg vorübergehend an die Akasha-Chronik angeschlossen?

Wissenschaftshistoriker wie Thomas Kuhn, Kurt Hübner, Paul Feyerabend oder Ernst-Peter Fischer haben darüber vieles Interessante zusammengetragen. Spricht man Zander auf solche Dinge an, bemerkt man eine Öffnung und eine Bereitschaft, auch über solche Phänomene nachzudenken. Vielleicht will er solche Dinge nur nicht im Raum des blossen Raunens oder Glaubens belassen, sondern in die Tageshelle einer auch wissenschaftlich fundierten Erkenntnis ziehen.

Dasselbe gilt für den Versuch, mithilfe von moderner Mythen- und Metaphernforschung dem spezifischen und oft bildhaften Denken Steiners näherzukommen. [...] In unserem Gespräch war Zander denn auch durchaus geneigt, diesem Weg ein Stück zu folgen, um neue, auch durch Wissenschaft vertiefte Zugänge zu Steiners Denken zu bahnen. Denn in der Anthroposophie wimmelt es ja von grossen Bildern: der alte Saturn, die lebendige Erde, Michael, Luzifer, Ahriman, die Elementargeister der Natur, die Erzengel, der Gral, König Artus' Tafelrunde, Atlantis sind für mich eher Bilder als Begriffe und rekurrieren ja oft genug auf die geistigen Erfahrungen tatsächlicher Mythen. "< [Zitat Ende]

Diese Ausführungen bezeugen wieder dieselbe ungeheure Naivität bzw. das krasse Unverständnis der Anthroposophie, wie Sünner sie schon in den infoseiten im Sommer 2008 offenbart hatte. Man sollte Steiners Geistesforschung nicht von außen, sondern von innen zu nähern versuchen! Man sollte seine Ambivalenz nicht rühmen, sondern den intellektuell-subjektiven Zweifel durch ein echtes Verständnis in Bezug auf das Wesen der Geisteswissenschaft zu überwinden suchen! Davon ist Sünner meilenweit entfernt – und Zander natürlich noch weiter.

Auf das grundlegende Problem Zanders, die grundlegenden Ursachen seiner Herangehensweise, wird dann am Ende von Sünners Text aber plötzlich ein ungeheuer klares Licht geworfen:

[Zitat] >" Ein interessanter Moment mit Zander ergab sich, als wir im Gespräch die Musik Bachs streiften, die er liebt und auch gelegentlich als Sänger in einem Chor praktiziert. Als ich ihn fragte, ob er dabei auch unentwegt an die historisch-kritische Kontextualisierung von Bach denke, zögerte er einen Moment und antwortete dann mit einem schmunzelnden Nein. Er fügte jedoch einschränkend hinzu, dass er gerade beim Singen auch „Angst vor Kontrollverlust“ habe, d.h. davor, in der Hingabe an die Bachschen Klangbewegungen sein auf logisch-begriffliche Arbeit dressiertes Ich zurückstellen zu müssen.

Daraufhin erzählte ich ihm von dem Dirigenten Günther Wand, der einmal von einem weiblichen Fan gefragt wurde, was sie gegen die immer wiederkehrenden Fallträume beim Hören seiner Bruckneraufnahmen tun solle. Lassen sie sich ruhig fallen, antwortete Günther Wand, bei Bruckner können sie immer nur nach oben fallen. In keinem Moment unseres Gespräches habe ich Zander mit einer so spontanen und starken emotionalen Reaktion erlebt wie nach dieser Anekdote. Das sei ja ein toller Satz, rief er begeistert und zeigte eine tiefe Freude über die darin versteckte Weisheit, von der er vielleicht selbst gerne noch mehr in sein Leben integrieren würde.

Was hiesse das in Bezug auf seine Beschäftigung mit der Anthroposophie? Ein Stück mehr Vertrauen in die Ernsthaftigkeit von Steiners lebenslangem Ringen um so etwas wie eine überzeitliche Wahrheit? [...] Mehr Unabhängigkeit vom oft totalitären Geist einer „scientific community“, die jede Abweichung von bestimmten Erkenntnismethoden mit Ausgrenzung bestraft? Vielleicht kehren bei einer Persönlichkeit wie Zander solche Dinge ein, wenn er einmal seine Professur für Esoterikforschung o.ä. besitzt. Dann wünschte man sich dort einen so vielseitig gebildeten und präzisen Denker wie ihn, der gleichwohl auch entspannt genug wäre, neben der herkömmlichen Rationalität auch noch offen gegenüber ganz anderen Bewegungen des Geistes zu sein. "< [Zitat Ende]

Es zeigt sich also mit zutiefst erstaunlicher Deutlichkeit folgendes:

Zander wirft Steiner autoritäres, ja teilweise totalitäres Denken und Handeln vor. Tatsächlich unterliegt Zander aber dem Zwang eines totalitären Geistes – nämlich dem autoritativen Dogma der „scientific community“. So sieht er sich gezwungen, sich immer wieder als „Hardcore-Wissenschaftler“ bezeichnen zu müssen.

Er exekutiert die reduktionistischen Methoden derjenigen Zunft, der er sich untergeordnet hat, an seinem Forschungsobjekt „Steiner“, ist aber selbst Opfer sowohl dieser Methoden, als auch seiner eigenen Persönlichkeit – denn sicher fühlt er sich nur in der logisch-begrifflichen Arbeit, auf die sein „Ich“ dressiert ist. Welch ein Geständnis! Welch ein Geständnis der völligen Unmöglichkeit, sich an das Wesen der Geistesforschung auf diese Weise jemals annähern zu können! Man würde ihm den Mut wünschen, andere Bewegungen des Geistes zu erkunden – und zu entdecken, dass man sich auch in diesen anderen Bewegungen nicht verlieren muss...!

Die Luftfahrzeuge der Atlantier

Dehmelt, Anna-Katharina: Vom sinnvollen Umgang mit Helmut Zanders Quellenfunden. Die Drei, 4/2008. [o]


In dem sehr aufschlussreichen Aufsatz „Vom sinnvollen Umgang mit Helmut Zanders Quellenfunden“
gibt Anna-Katharina Dehmelt in Die Drei 4/2008 Details zu der von Zander aufgeworfenen Frage nach den Luftfahrzeugen der Atlantier.

Im Juli 1904 erschien in der Zeitschrift „Luzifer-Gnosis“ Steiners Aufsatz „Unsere atlantischen Vorfahren“, in dem es heißt:

So wurden die in geringer Höhe über dem Boden schwebenden Fahrzeuge der Atlantier fortbewegt. Diese Fahrzeuge fuhren in einer Höhe, die geringer war als die Höhe der Gebirge der atlantischen Zeit, und sie hatten Steuervorrichtungen, durch die sie sich über diese Gebirge erheben konnten.
GA 11, S. 29.


Zander weist nun darauf hin, dass es in der Schrift „Atlantis nach okkulten Quellen“ von William Scott-Eliott bereits 1896 hieß:

Die Flughöhe belief sich nur auf einige 100 Fuß, so dass, wenn hohe Berge in der Fluglinie lagen, die Richtung gewechselt und der Berg umfahren werden musste, – die verdünntere Luft leistete nicht länger die nötige Stütze. Hügel von etwa 1000 Fuß Höhe waren das Höchste, was überfahren werden konnte.


Zander sieht darin natürlich ein Plagiat, zudem weist Steiner in seinem Aufsatz selbst auf Scott-Eliotts Büchlein hin. Die nur bei Steiner erwähnte Überwindbarkeit der Berge führt er darauf zurück, dass in genau diesen Jahren eine Revolution der Luftschifffahrt stattfand. 1896 gab es nur die „Zigarren-Luftschiffe“, Ende 1903 gelang den Brüdern Wright jedoch der Flug mit einem echten Tragflächenflugzeug mit Höhen- und Seitenruder...

Dehmelt weist nun auf eklatante Unterschiede zwischen Steiner und Scott-Elliot hin. Steiner selbst sagt unmittelbar nach seinem Hinweis auf Scott-Elliot:

Hier sollen Mitteilungen gegeben werden über diese uralte Kultur, welche Ergänzungen bilden zu dem in jenem Buche Gesagten. Während dort mehr die Außenseite, die äußeren Vorgänge bei diesen unseren atlantischen Vorfahren geschildert werden, soll hier einiges verzeichnet werden über ihren seelischen Charakter und über die innere Natur der Verhältnisse, unter denen sie lebten.
GA 11, S. 24.


Tatsächlich schildert Scott-Elliot ausführlich die Bauweise und die maschinellen Vorrichtungen der atlantischen Luftfahrzeuge. Im übrigen sagt er, diese könnten höhere Berge nicht überwinden, weil „die verdünntere Luft nicht länger die nötige Stütze“ leistete. Bei Steiner dagegen heißt es: „Die genannten Fahrzeuge der Atlantier wären in unserer Zeit ganz unbrauchbar. Ihre Verwendbarkeit beruhte darauf, dass in dieser Zeit die Lufthülle, welche die Erde umschließt, viel dichter war als gegenwärtig.“ Nichts davon findet sich bei Scott-Elliot!

Dehmelt weiter:

[Zitat] >" Außerdem dürfte dem Leser aufgefallen sein, wie stark Steiner gleich im ersten Satz betont, dass die Atlantis völlig verschieden von der heutigen Kultur war. Bei Scott-Elliot hatte ihn doch vieles an die eigene Gegenwart erinnert, angefangen von der republikanischen Staatsform über den Übergang von Elementar- zu Hochschulen bis hin zu detailliert beschriebenen Kolonisationen. Insbesondere aber dürfte dem damaligen Leser aufgefallen sein, dass Steiner einen völlig neuen Begriff einführt: „Der logische Verstand ... fehlte den ersten Atlantiern ganz. Dafür hatten sie ein hochentwickeltes Gedächtnis.“ Bei Scott-Elliot war nur ganz allgemein von „psychischen Fähigkeiten“ die Rede gewesen, die er, ebenso diffus, mit Bulwer-Lyttons „Vril“ und dem Keely-Motor in Verbindung brachte. []

Das hochentwickelte Gedächtnis wird nun in Steiners Aufsatz zum Schlüssel, aus dem die ganze atlantische Kultur herausentwickelt und dadurch erst verständlich wird. Bei Scott-Elliot handelt es sich um recht zusammenhanglose Einzelheiten; bei Steiner kommt Zusammenhang in die Details, sie werden erklärbar als Erscheinungsformen einer Kultur, die auf das Gedächtnis gebaut ist. Gemeineigentum, Ahnenkult und Erbfolge der Atlantier werden ebenso verständlich wie die parallel zur zunehmenden Denkkraft zunehmende Gesetzes- und Regeltreue. Insbesondere aber kann Steiner die Beherrschung der Lebens- und Naturkräfte erhellen: „Mit dem Wesen der einen menschlichen Kraft hängen immer andere zusammen. Das Gedächtnis steht der tieferen Naturgrundlage des Menschen näher als die Verstandeskraft, und mit ihm im Zusammenhange waren andere Kräfte entwickelt, die auch noch denjenigen untergeordneter Naturwesen ähnlicher waren als die gegenwärtigen menschlichen Betriebskräfte. So konnten die Atlantier das beherrschen, was man Lebenskraft nennt.“ [...]

Bei Scott-Elliot hatte es dazu geheißen: „Aber die allerinteressanteste Frage dabei ist die nach der Triebkraft. Anfangs scheint persönliches Vril die Triebkraft geliefert zu haben ...; später aber wurde dieses durch eine Kraft ersetzt, welche, obgleich auf eine für uns unbekannte Weise erzeugt, nichtsdestoweniger durch bestimmte maschinelle Vorrichtungen arbeitete. Dieser durch die Wissenschaft noch nicht entdeckten Kraft kommt diejenige, welche sich Keely in Amerika anzuwenden bemüht, näher als die von Maxim benutzte elektrische. Sie war in der Tat von ätherischer Natur; aber, wenn wir auch der Lösung des Problems nicht näher gekommen sind, so kann doch die Methode ihrer Anwendung beschrieben werden.“ Es folgt eine detaillierte, aber nichts erklärende Schilderung der maschinellen Vorrichtungen. [...]

Rudolf Steiners Beitrag ist nicht auf Bildhaftigkeit, Detailreichtum und Sensation gerichtet, sondern auf Nachvollziehbarkeit, innere Stimmigkeit und Verständnis – das wird gerade im Vergleich mit Scott-Elliots Büchlein deutlich. Steiner schöpft aus einer anderen geistigen Sphäre als Scott-Elliot. Dessen Angaben entstammen der Imagination, sie sind in ihrer detailverliebten Zusammenhanglosigkeit geradezu ein Paradebeispiel für Imaginationen, hinter denen keine bewussten Inspirationen und Intuitionen stehen. Rudolf Steiners Beitrag kommt hingegen aus der Sphäre der Intuition. "< [Zitat Ende]

Rudolf Steiner schließt an bereits vorliegende Imaginationen an, aber er tut dies unabhängig und gestaltet seine Imaginationen aus der Intuition, der Wesenserkenntnis der atlantischen Kultur, heraus als einen sich selbst tragenden Zusammenhang inspirativ aus. So werden seine Imaginationen durchsichtig für Inspiration und Intuition. In Bezug auf Zander aber ist zu sagen:

[Zitat] >" [Es] ist gar nicht seine Absicht, Anthroposophie aus sich heraus zu verstehen. Wiederholt betont er, über den geistigen Gehalt von Steiners Werk nicht urteilen zu wollen. Zanders Anliegen ist es, Material für eine historische Einordnung zusammenzutragen und es einer ersten Interpretation zu unterwerfen. Ihm ist wohl im Verlauf seiner Arbeit selbst klar geworden, auf wie dünnem Boden seine ohne wirkliches Verständnis gezogenen Schlussfolgerungen stehen, denn im Nachwort gesteht er mangelndes Verständnis ein und wünscht sich, dass von anthroposophischer Seite mit seinen Funden weitergearbeitet werde. "< [Zitat Ende]

Vom Versagen der „Anthroposophen“

Keuler, Rüdiger: Helmut Zander. Pelagius, 11.9.2008. [o]


Von einer sehr bezeichnenden Veranstaltung mit kirchlichen Vertretern zur Waldorfpädagogik am 11. September 2008
berichtet Rüdiger Keuler, Herausgeber der Pelagius-Hefte [o]:

[Zitat] >" Soeben ging in Bonn eine gemeinsame Veranstaltung des Katholischen Bildungswerkes Bonn und des Evangelischen Forum Bonn zu Ende. Es ging um „Die Quellen der Waldorfpädagogik – Rudolf Steiner und die Reformpädagogik“. Redner waren Prof. Dr. Heinz-Elmar Tenorth und der Privatdozent Dr. Dr. Helmut Zander [...].

Obwohl bei einem Anthroposophen alle Alarmglocken klingeln müßten, wenn Vertreter der konfessionellen Kirchen sich zusammentun, um zu einem Abend über Rudolf Steiner und seine Pädagogik zu laden, waren die anwesenden Vertreter der offiziellen Anthroposophie völlig unbedarft und suchten die angenehmen Seiten einer solchen vermeintlichen Stammtischrunde, denn einer solchen entsprechend verhielten sie sich. Der von anthroposophischer Seite geladene Podiumsgast Gerd Kellermann (Dozent am Lehrerseminar in Witten) wurde von mir 14 Tage vorher telefonisch kontaktiert und auf das Buch von Swassjan hingewiesen, an dem einem die Hintergründe einer solchen Veranstaltung aufgehen können. Ich bekam von ihm zu hören, er hätte keine Zeit dieses Buch zu lesen und er wüßte schon Bescheid. [...]

Der Vortrag von Helmut Zander erging sich in denselben Verleumdungen Rudolf Steiner gegenüber wie sein Buch, in dem er ausschließlich davon spricht, Rudolf Steiner hätte seine Anthroposophie bei anderen abgekupfert, vor allem bei den Theosophen; wenn er dies nicht nachweisen kann, spricht er von Konstruktion, also Steiner hätte sich das ausgedacht. Häufig wurden moralische Verunglimpfungen Rudolf Steiners eingestreut, die unwidersprochen stehen blieben. Anwesend waren „hochkarätige“ und prominente „Anthroposophen“, Rektor Marcelo da Veiga von der Alanus Hochschule in Alfter, Johannes Kiersch, Klassenleser und ehemaliger Leiter des Waldorflehrerseminars in Witten, genannter Kellermann, Ursula Grätz-Panoulas, Geschäftsführerin des Rudolf Steiner Hauses in Bonn, des Hauses, in dem Sebastian Gronbach zu seinen „Ich liebe mich“ Seminaren einlädt, Klassenleser Herbert Seufert, Schwiegervater von Sergej O. Prokofieff, der übrigens, meines Wissens nach, der einzige war, der das Buch von Karen Swassjan kannte, aber nicht einmal den Mund aufmachte, und mehrere Waldorflehrer.

Herr Zander konnte fast ungehindert vom Rassismus Rudolf Steiners sprechen, eine Waldorfpädagogik beschreiben, die die katholische Sicht auf die Waldorfpädagogik darstellte, aber nicht die anthroposophische, was den Vertretern gar nicht oder nur rudimentär auffiel. Niemand, außer der kleinen Gruppe die mit mir dort war, bemerkte, welche massiven Schmutzanwürfe, häufig in Nebensätzen versteckt, auf Rudolf Steiner stattfanden, allerdings nett, freundlich und eloquent verpackt, in harmonisch-schläfriger Atmosphäre, wie bei „Anthroposophen“ so beliebt. Niemand fiel auf, daß dies eine Veranstaltung war, die in moderner Form das fortsetzte, was früher die Hexenverbrennungen der katholischen Kirche waren. Damals wie heute ging es um die Macht der katholischen Kirche, denn wenn die Waldorfpädagogik sich durchsetzen würde, was nicht mehr zu erwarten ist und in diesem Zustand auch nicht gehofft werden sollte, würde das die Machtstellung der Kirchen empfindlich schwächen.

Ja, es hätte ein schöner gemütlicher Abend werde können, wenn ich nicht aus dem Buch von Karen Swassjan zitiert hätte, was ich mit meinem Eindruck, den ich an diesem Abend gewonnen hatte in Zusammenhang brachte, und wenn nicht die beiden Menschen, die mit mir diese Veranstaltung besuchten, auf einige Widersprüche in den Ausführungen hingewiesen hätten. Es wurde dann aber doch noch fast, aber nur fast, ein „bierseliges“ Beisammensein, denn wir drei wurden einfach ausgegrenzt. Wobei sich die Anwesenden ein Urteil erlaubten, ohne zu wissen worum es ging, denn weder kannten sie die Geisteswissenschaft, dem Anschein nach auch nicht die, die sie eigentlich kennen müßten, noch das Werk von Zander, noch das Buch von Swassjan. [...]

Bei Helmut Zander verstärkte sich jedoch bei mir der Eindruck, daß es sich bei seinem Buch um ein Auftragswerk handelt, das zur wissenschaftlichen Grundlage der Angriffe gegen Rudolf Steiner, die Waldorfpädagogik und die Anthroposophie geschaffen wurde und in der Zukunft noch „gute“ Dienste denjenigen leisten wird, die es in Auftrag gegeben haben. Bei den Vorwürfen zum Rassismus und dem Versuch, Rudolf Steiner auf den Index der jugendgefährdenden Schriften zu setzen, fand dies ja schon statt, siehe „Der Spiegel“ Nr. 36/3.9.2007, Seite 161. Zu den anwesenden Anthroposophen, vorneweg Herr Kellermann, muß gesagt werden, daß die Anthroposophie keine Feinde braucht, keinen einzigen, wenn sie solche Repräsentanten ihr eigen nennen muß. Anscheinend ist die Kenntnis der Geisteswissenschaft und das Wissen, oder wenigstens die Ahnung, von ihrer Größe und menschheitsgeschichtlichen Bedeutung, unter den „Anthroposophen“ vollständig verlorengegangen. [...]

Der eigentliche Skandal des Abends war nicht der wissenschaftliche Dilettantismus und die Lügenhaftigkeit eines Herrn Zander, sondern die Verantwortungslosigkeit und das mangelnde geisteswissenschaftliche Bewußtsein der „Anthroposophen“, die davon nicht einmal eine Ahnung haben, da der geistige Gehalt der Mitglieder dieser Glaubensgemeinschaft längst verduftet ist. "< [Zitat Ende]

Zanders Erzählungen II

Vögele, Wolfgang: Zanders Erzählungen II. Themen der Zeit, 9.4.2009. [o]


Im März 2009 erscheint dann Ravaglis Werk „Zanders Erzählungen“ [o].
In  einer Besprechung schreibt NNA-Korrespondent Wolfgang G. Vögele [o]:

[Zitat] >" [...] Zander wird [...] von den Medien immer wieder gerne als Experte zum Thema Anthroposophie herangezogen, zuletzt im Februar im Schweizer Fernsehen und in 3SAT. Auch er selbst möchte sein Buch gerne als „Standardwerk“ dargestellt wissen.

Dem steht allerdings eine wachsende Anzahl von Rezensionen gegenüber, die auf zahlreiche Schwachstellen und Fehler in Zanders Buch hinweisen, meist aus der Feder anthroposophischer Wissenschaftler. Zu diesen Kritiken hat nun der Publizist Lorenzo Ravagli einen weiteren Beitrag hinzugefügt, der die Qualität von Zanders Schrift grundsätzlich in Frage stellt und mit seiner 440 Seiten starken Analyse zu den bisher gründlichsten Auseinandersetzungen mit Zanders Studie gehört. Ravaglis Buch ist im renommierten Berliner Wissenschaftsverlag erschienen.

Bereits im Vorwort begründet Prof. Walter Kugler, Oxford Brookes University, warum Helmut Zander seinem Anspruch, ein Standardwerk zum Thema Anthroposophie zu liefern, in keiner Weise gerecht wird. Heillose Verwirrung beim Gebrauch wesentlicher Begrifflichkeiten, Unterstellungen und Projektionen führten dazu, dass beim Leser „das Vertrauen in die wissenschaftliche Seriosität von Seite zu Seite schwindet“, betont Kugler. Zanders Versuch beispielsweise, die Geschichte der Anthroposophischen Gesellschaft nachzuzeichnen, verlaufe ungefähr so, wie wenn man die Geschichte der Psychoanalyse „aus all den Reaktionen, Polemiken und Ansprüchen, die sich zeitlebens oder postum von verschiedensten Zeiten über sie gelegt haben, erklären will, ohne sich auf ihre ursprünglichen Quellen und ihre inhaltliche Seite einzulassen“, argumentiert Kugler. (S.12)

Autor Ravagli analysiert nun in 16 Kapiteln en Detail, wie genau es Zander mit seinen Quellen nimmt. Wort für Wort sucht er die Stellen im Werk von Rudolf Steiner auf, auf die sich Zander beruft und kann belegen, dass dieser mit Auslassungen und fundamentalen Falschbehauptungen arbeitet. Vor allem aber zitiert er Stellen aus Steiners Gesamtwerk, die Zander nach Ravaglis Auffassung in seiner Analyse bewusst weggelassen hat, weil sie geeignet sind, Zanders zentrale Hypothesen infrage zu stellen.

So weist Ravagli die Kontinuität der spirituellen Motive in Steiners geistiger Biographie nach, indem er zeigt, wie das reine Denken, das Steiner bereits in seinem Frühwerk, der „Philosophie der Freiheit“ ins Zentrum seiner Philosophie stellt, für ihn den Übergang vom reflektiven Bewusstein zu Erkenntnissen übersinnlicher Tatbestände bildet. Zander unterstellt Rudolf Steiner hier einen Bruch in seinem Denken. Auch die Behauptung Zanders, Steiner habe wesentliche Ideen von Nietzsche übernommen, wird von Ravagli dokumentarisch widerlegt (S. 72-80).

Bezüglich der „Philosophie der Freiheit“ stelle Zander unwahre Behauptungen auf, die er nicht belege. [...] Als einen der Hauptmängel in Zanders Untersuchung zeige sich vor allem seine völlige Ignoranz gegenüber dem Bindeglied zwischen Philosophie und Anthroposophie, das im Wissenschafts- und Methodenverständnis Steiners liege.

Wenn Zanders Behandlung der philosophischen Werke Steiners so bereits gravierende Kenntnislücken offenbare, schreibt Ravagli, so werde seine Untersuchung von Rudolf Steiners angeblicher Konversion zur Theosophie in einem Ausmaß defizitär, das kaum mehr nachvollziehbar sei. [...]

Neben der ausführlichen Analyse des Quellenmaterials, auf das Zander sich beruft, stellt Ravagli dessen Werk in den Kontext der zeitgenössischen Esoterikforschung und weist nach, dass es weit hinter die dort erreichten Standards zurückfällt. Wissenschaftler wie Antoine Faivre (Universität Sorbonne, Paris), Wouter Hanegraaf und Kocku von Stuckrad (Universität Amsterdam) untersuchten ideengeschichtliche Traditionen oder Geschichte der Esoterik unvoreingenommen auf der Basis der Diskurstheorie, um so deren Bedeutung für die abendländische Kulturgeschichte herauszuarbeiten. Alternative Denkformen und Begriffe in der Geschichte der Wissenschaft würden von diesen Wissenschaftlern ernst genommen und im wissenschaftlichen Diskurs verstehbar gemacht. [...]

Alles in allem – so die grundsätzliche Bewertung des selbsternannten Standardwerks – komme Zander dann im Endresultat auch in seinen grundlegenden Bewertungen kaum über den Stand der Kritiker von Anthroposophie und Rudolf Steiner aus den zwanziger Jahren hinaus. In diesem Zusammenhang beziehe er sich sogar auf solche fragwürdigen, teilweise antisemitischen Quellen.

Diese Praxis weist das Ravagli-Buch schon für frühere Publikationen von Zander nach. Bereits in einem Beitrag für den Sammelband „Völkische Religion und Krisen der Moderne“ (2001) sei das Muster des voreingenommenen Umgangs mit Quellen aufgetaucht, hier allerdings in noch weit gravierenderer Form. In seinem Beitrag hatte Zander ein Gutachten Alfred Bäumlers angeführt, des Leiters des „Amtes Wissenschaft des Beauftragten des Führers für die Überwachung der geistigen Schulung und Erziehung der NSDAP“, der behauptet habe, es bestehe eine „wesentliche Übereinstimmung“ zwischen dem Menschenbild des Nationalsozialismus und der Menschenkunde Rudolf Steiners. In Wahrheit hatte Bäumler jedoch das Gegenteil geschrieben.

Bis heute, so Ravagli, habe Zander diesen Irrtum – wenn es denn einer gewesen sei – seines Wissens nicht öffentlich korrigiert und dies, obwohl er darauf hingewiesen worden sei und den Fehler eingestanden habe. Stattdessen habe er ausgerechnet Kopien dieses Aufsatzes der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien vorgelegt, die im September 2007 über einen Indizierungsantrag zu zwei Büchern der Rudolf Steiner Gesamtausgabe entscheiden sollte. Deshalb dränge sich die Frage auf, welche Ziele Helmut Zander mit seiner publizistischen Tätigkeit zur Anthroposophie eigentlich verfolge. Ravagli unterstellt dem Historiker und katholischen Theologen hier, einer „verdeckten Agenda“ zu folgen. "< [Zitat Ende]

Zur Phänomenologie des Unverständnisses

Brotbeck, Stefan: Zur Phänomenologie des Unverständnisses. Über Lorenzo Ravagli: „Zanders Erzählungen“. Gegenwart, 4/2009. [o]


Stefan Brotbeck bespricht Ravaglis Buch in seinem gleichnamigen Aufsatz in der „Gegenwart“ 4/2009 folgendermaßen [o]:

[Zitat] >" Eine orientierende Grundlage von Ravaglis Ausführungen bildet der Nachweis, dass eine Auseinandersetzung mit Steiner, welche die philosophischen Grundlagen vernachlässigt, keine Auseinandersetzung mit Steiner ist. Wenn wir die philosophische Substanz des Steinerschen Denkens lediglich zum „Vorhängsel“ der Anthroposophie erklären, haben wir kein Mehr-als-Philosophie, sondern bald einmal ein Weniger-als-Philosophie – und verlieren auch die Anthroposophie aus den Augen. [...]

Ravagli macht deutlich, dass Zanders Interpretationen der Philosophie Steiners so anspruchslos sind, dass sie nicht in der Lage sind, kontrovers zu sein: sie bringen es nicht einmal zur Fragwürdigkeit. Ravagli stellt bitter fest: „Entweder hat er [Zander] die ‹Philosophie der Freiheit› nicht gelesen, oder er hat sie schlicht nicht verstanden, vielleicht, weil er ‹in der Hetze› der Abfassung seines Mammutwerkes Details keine so große Aufmerksamkeit schenken konnte?“ (S. 83) Indem Zander die orientierende, weil selbstkritische Kraft der Philosophie und die jedem Menschen zugängliche Denk- und Erkenntniserfahrung ausklammert, verschafft er sich Freiraum, um sich in von allen philosophischen Anfechtungen freien Verhältnissen seinem Hauptinteresse zu widmen: nämlich Steiners „Anthroposophie“ als eine Art Ausstülpung der Theosophie angloindischer Provenienz zu „verstehen“. Dies ist natürlich keine Erfindung Zanders. Sein originärer Beitrag zu dieser immer wieder geäußerten Behauptung besteht darin, die Einführung der Anthroposophie als eine Art machthungrige und egomanische Abnabelung oder Abspaltung von der theosophischen Gesellschaft darzustellen. Doch auch in diesem Fall dürfte der Preis für diese fatale Behauptung größer sein, als der Nutzen, den Zander daraus zieht: Denn sie gefährdet gerade das von Zander beschworene (wenn auch nicht wirklich wahrgenommene) Kontextualisierungsunternehmen. Indem sie nämlich die Traditionslinien ausdünnt, ja geradezu ausblendet, an die Steiner explizit und nachweislich anschließt. []

Ein wiederkehrendes und in seiner Bedeutung gar nicht hoch genug zu schätzendes Motiv von Ravaglis Arbeit sind die [...] Hinweise auf die abendländisch-europäischen und spezifisch christlich-theosophischen Quellen des Steinerschen Denkens. Sorgfältig gezeigt zu haben, dass der angloindische Schrumpf-Steiner einzig und allein das Produkt von interpretativen Aufblähungen durch Zander ist: dafür verdient Ravagli allergrößte Anerkennung. [...]

Zanders Rückgriff auf orientalisierende, angloindische Kompendienliteratur verdunkelt, was zu erhellen wäre. Es liegt auf der Hand, weshalb Zander auch Steiners Hinweis ignoriert, dass sein Werk Theosophie zu denselben Erkenntnissen führe wie auf einem anderen Weg Die Philosophie der Freiheit: „Wenn diese Wahrheiten durch die ‹Philosophie der Freiheit› auch gefunden werden können, dann ist jede denkbare Herleitung dieser Wahrheiten aus einer Kenntnis angloindischer, ‹theosophischer Wahrheitstraditionen› von Grund auf verbaut, denn nicht einmal Zander dürfte es gelingen, solche ‹Traditionen› in der ‹Philosophie der Freiheit› zu finden.“ (S. 178)

Doch die bittere Ironie ist: Zander, der die Unterschiede banalisiert oder bagatellisiert, auf die es gerade ankommt (nämlich die von Grund auf unterschiedlichen Ansätze bei der angloindischen und bei Steiners Theosophie), ist auch der Zander, der Steiner unterstellt, Unterschiede breitzuwalzen und zu skandalisieren, auf die es sachlich gar nicht angekommen sei: um sein machtpolitisch motiviertes Abgrenzungsbedürfnis von der Theosophischen Gesellschaft zu befriedigen, habe Steiner die „Christologie zu einer bruchfähigen Differenz ausgebaut“. In sachlicher Hinsicht ist dies eine Behauptung, die der ganzen Arbeit Steiners ins Gesicht schlägt: nämlich in Form einer schöpferischen Aneignung des europäisch-abendländischen Erkenntnisringens und in kritischer Auseinandersetzung mit der östlichen Spiritualität und der westlichen Wissenschaft eine spezifisch christliche Spiritualität ins Bewusstsein ihrer existenziellen Bedeutung zu rücken [...].

Zander spielt mit Steiner das Spiel: „Kopf: ich gewinne, Zahl: Sie verlieren.“ Um ihn des angloindisches Mitläufertums zu überführen, nimmt Zander nicht ernst, was Steiner in philosophischer Hinsicht sagt. Und um ihn der Machtallüren zu überführen, nimmt Zander wiederum nicht ernst, was Steiner in theosophiekritischer Hinsicht sagt. [...] Das gleiche erpresserische Muster wendet Zander auf seine Quellenfunde an. Was keine pure Erfindung ist, muss ein Plagiat sein – und was kein Plagiat ist, muss eine pure Erfindung sein. [...]

Gerade mit Blick auf literarische und literarisch zugängliche Quellen kann uns Ravaglis Buch darauf aufmerksam machen: Nicht weniger, sondern mehr Kontextualisierung führt weiter. Der schöpferische Geist ist kein spiritueller Robinson, der alles aus sich selber schöpft – dies wäre nur das selbstsüchtige Zerrbild des freien Geistes. Nein: der freieste Geist ist vielmehr derjenige, der am intimsten mit allem verwoben ist, bis in die stillsten und verwinkelsten Winkel hinein. Unerschöpfliche Selbstmanifestation ist, ihrem Wesen nach, unermessliche Partizipationsfähigkeit. „Wenn wir den Mund aufmachen, reden immer zehntausend Tote mit“, schreibt Hofmannsthal. Wenn Steiner den Mund aufmacht, redet die ganze Weltgeschichte des Denkens mit. Ganz für sich stehen kann nur, wer mit allem zusammenhängt. "< [Zitat Ende]

Abgeschmackt und unter jeglichem Niveau

Neider, Andreas: Abgeschmackt und unter jeglichem diskussionswürdigen Niveau. Amazon, 8.1.2011. [o]


Eine der allerersten Reaktionen auf Zanders "Biografie" ist sicher die Amazon-Rezension von Andreas Neider vom 8.1.2011. Darin schreibt er:

[Zitat] >" Hatte Zander in seiner Studie zur Geschichte der Theosophie, die er dann jedoch mit der Geschichte der Anthroposophie auf haltlose Weise verwechselte, noch wissenschaftliche Absichten eines Theologen und Religionshistorikers vorschützen können, hinter denen sich doch nichts weiter als sein abgrundtiefer Hass auf alles Spirituelle verbarg, so kommt er mit seiner jetzt erschienenen Biographie über den Hauptgegenstand seiner Verachtung, nämlich Rudolf Steiner, vollends auf den Hund. Enttäuscht werden über dieses Elaborat auf dem Niveau einer Bild-Zeitungs-Kolportage vor allem jene sein, die zu Zander als einem wissenschaftlich ernst zu nehmenden Kritiker der Anthroposophie aufblickten. [...]
Man kann sich nur wundern, wie ein namhafter Verlag auf dieses Niveau eines Gossenjournalisten hereinfallen konnte. Denn anders als beispielsweise die jüngst von Heiner Ulrich erschienene Biographie zu Steiner im C.H.Beck-Verlag findet man nirgends auch nur ein sachliches Argument, mit dem man sich auseinandersetzen könnte. Inhaltlich lässt sich Zander auf Steiner an keiner Stelle wirklich ein. Stattdessen mühsame Versuche einer geschichtlichen Kontextualisierung, die sich meistens aber doch damit begnügt, seitenweise Rituale zu beschreiben, die er nicht verstanden hat, Kleidungs- und Schmuckstücke von theosophischen Damen aufzuzählen und Bettgeschichten zum Besten zu geben, die er seiner Nazi-Quelle entnommen hat. "< [Zitat Ende]

Von Originalität, Kontext, Abhängigkeit und Wissenschaft

Eggert, Michael: Helmut Zander fordert eine Anthroposophie-Forschung für die Zeit nach Steiners Tod. Egoistenblog, 14.1.2011. [o]


Am 14.1.2011 stellte Michael Eggert auf seiner Seite „Egoistenblog“
unter der Überschrift „Helmut Zander fordert eine Anthroposophie- Forschung für die Zeit nach Steiners Tod“ kommentarlos Auszüge aus einem Zander-Interview im „Standard“ ein. Danach kommentiert er auf eine Zander-kritische Bemerkung [o]:

[Zitat] >" Niemand behauptet, dass Forschung Originalität messen könnte. Zander leitet A. von ihren Quellen her ab, und er tut dies, weil nur das Gegenstand der Forschung sein kann. Er sieht nur das, was er herleiten, „messen“ kann. Er reduziert auf das, was er sehen kann. Das ist ein wissenschaftliches Prozedere und nichts bösartiges. Ob er dem Gegenstand gerecht wird, ist nun eine ganz andere Frage. Auch wenn sich dem klassischen Anthroposophen dabei die Nackenhaare sträuben: Das intensive Erforschen des Kontextes von A. kann durchaus erhellend sein, auch wenn man den Blickwinkel Zanders nicht teilt. Seid doch mal entspannt, Leute! "< [Zitat Ende]

Das ist gelinde gesagt erstaunlich. Etwa zwanzig fundierte Beiträge hatten bis dahin bereits gezeigt, dass es hier keineswegs um objektive Kontextfragen geht, sondern um weit mehr – und dass Zander entweder sehr wohl Bösartigkeit oder aber wissenschaftlicher Dilettantismus und ein extrem beschränkter und gefärbter Blick bescheinigt werden muss. Und in dem Maße, in dem Forschung unfähig wäre, Originalität zu erkennen, verlöre sie auch vollkommen ihre Berechtigung zu allen Kontextualisierungs-Versuchen.

Das ist gerade das zentrale Manko bei Zander: Er will „kontextualisieren“, aber alles, was er entdeckt, ist bei ihm Kontext. Originalität kann es bei ihm per definitionem nirgendwo geben, wenn auch nur die geringste Ähnlichkeit auffindbar ist. „Ähnlichkeit“ bedeutet bei ihm immer „Kausalität“, das heißt: Abhängigkeit und Plagiat. Nach dem Motto: Im Zweifel gegen Rudolf Steiner...

Wahre Kontextforschung kann zunächst nichts weiter tun als mögliche Verbindungen oder Abhängigkeiten zu entdecken. Den Nachweis über solche kann sie nur führen, wenn sie zugleich Originalität zu erkennen in der Lage ist. Bei Zander aber sind mögliche Abhängigkeiten immer auch reale, er kann oder will nichts anderes denken. Das ist Unwissenschaftlichkeit in Reinform.

Darin liegt gerade die Wissenschaftlichkeit der Anthroposophie: Im bewussten Erkennen. Zander dagegen arbeitet nicht wissenschaftlich, nicht nur, weil er Quellen verdreht, Deutungen aufzwingt usw., sondern auch, weil er sein Forschungsobjekt gar nicht erkennen kann – und ebenso wenig seine eigenen Voraussetzungen und Kontexte.

Leben von Rudolf Steiner als Doku-Soap

Vögele, Wolfgang: Zander-Biographie: Leben von Rudolf Steiner als Doku-Soap. NNA, 24.1.2011. [o]


Die erste Buchbesprechung von „Die Biografie“ veröffentlichte Wolfgang G. Vögele am 24.1.2011.
Im Untertitel heißt es bereits: Irrtümer aus Anthroposophie-Buch übernommen. Und weiter [o]:

[Zitat] >" Das von Zander vermittelte Steinerbild erinnert allzu oft an die Publikationen polemischer Steinerkritiker wie Kully und Hauer aus den 1920er Jahren, fragwürdige Quellen, aus denen sich Zander schon in seiner Anthroposophie-Studie ausgiebig bediente.

So kennt man den Rudolf Steiner, dem man in der Biographie begegnet, schon aus Zanders „Opus magnum“: Ein im bürgerlichen Wissenschaftsbetrieb gescheiterter Akademiker, dessen jahrelange Sinnsuche ihn – verbunden mit notorischer Geldnot – über viele weltanschauliche Etappen schließlich in die Arme der Esoterik trieb. Nationalromantischer Idealismus, Monismus nach Haeckel, Anarchismus und Atheismus sind die Stationen, die Steiner dabei zu durchlaufen hatte. Seine Konversion zur Theosophischen Gesellschaft brachte ihm schließlich einen kometenhaften Aufstieg zum Propheten und Hellseher. Dass es möglich ist, Erkenntnis aus spiritueller Innensicht zu schöpfen, wie Steiner dies in seinen Schriften lebenslang dargestellt hat, nimmt Zander ihm dabei niemals ab. [...]

Zahlreiche vermeidbare Irrtümer wären in einer Neuauflage zu beseitigen [...]. Diese Fehler könnte man Zander angesichts der Fülle des Stoffs als marginal durchgehen lassen, hätte er sie nicht als Stütze grundlegender Thesen benutzt. So wird mit dem falschen Geburtsdatum „25. März“ in sublimer Weise suggeriert, Steiner habe gezielt Personenkultus betrieben, indem er die erste „Opferfeier“ des freichristlichen Religionsunterrichts bewusst auf diesen Tag verlegt habe (S. 450).

Die Theosophische Bibliothek, in der er immerhin Steiners Lebenswende verortet, lokalisiert er zweimal (S. 101 und 145) in der Friedrichstraße statt in der Kaiser-Friedrich-Straße (Charlottenburg), natürlich jedes Mal mit Betonung der unmittelbaren Nähe des Prachtboulevards Unter den Linden inmitten der „Aufsteigermetropole der Belle Epoque“. Die fehlerhafte Adresse erlaubt es Zander, den Aufstieg Steiners in ein Milieu aus Adel und gehobenem Bürgertum zu illustrieren.

Ähnlich verhält es sich mit der Darstellung, Steiner sei nicht dabei gewesen, als Annie Besant am 19. Oktober 1902 vom Bahnhof Friedrichstraße abgeholt wurde (S. 168), weil er angeblich einen Vortrag bei den Kommenden gehalten habe. Bei Robin Schmidt (2010, S. 185) hätte Zander nachlesen können, dass dieser Vortrag erst einen Tag später stattfand. Die Vordatierung ermöglicht es Zander, einen frühen Affront Steiners gegen Besant zu unterstellen, indem er ihrer Begrüßung fern geblieben sei. So wird Zanders bekannte These vom Machtstreben Steiners innerhalb der Theosophischen Gesellschaft mit einem unrichtigen Datum gestützt.

Diese Beispiele könnten leicht vermehrt werden. Sie zeigen: Zander lässt allzu oft die Genauigkeit des Historikers vermissen. Er baut auf Ungenauigkeiten für ihn wichtige Schlussfolgerungen auf. [...]

Der ebenfalls von Robin Schmidt (2010) gelieferte Nachweis, dass Steiner schon vor 1900 einen eigenständigen Esoterikbegriff besessen hat, wird von Zander nicht in Betracht gezogen, weil er seiner These von der theosophischen „Konversion“ Steiners diametral widerspricht.

Steiners Darstellung in seiner Autobiographie, er habe am Ende seiner Weimarer Zeit (1896/97) begonnen, regelmäßig zu meditieren, ja, er habe sogar „auch früher schon ein meditatives Leben geführt“ (GA 28, S. 316 ff., 320, 323, 325 f., 333) verweist Zander in das Reich der Legendenbildung. Steiners „Beschäftigung“ mit meditativen Techniken nach 1902 kann er zwar nicht leugnen, aber er meint damit nur dessen Studieren von Fachliteratur. [...] Die Tatsache, dass Steiner in der Theosophischen Gesellschaft quasi über Nacht als fertiger esoterischer Lehrer auftrat, muss Zander so notwendigerweise irritieren. Er schreibt: Steiner „unternahm den Spagat, sich die Theosophie als Schüler anzueignen und zugleich als Lehrer zu wirken“ (S.170).

Hier verwickelt sich Zander jedoch in erhebliche Widersprüche. Denn andererseits referiert er den bekannten Brief Annie Besants von 1907, worin diese auf die völlig selbständige Schulungsmethode Steiners hinweist und seine Qualitäten als esoterischer Lehrer anerkennt (S. 199). [...]

Die von Steiner selbst in diesem Zusammenhang als zentral für seine innere Entwicklung dargestellte Begegnung mit dem Heilkräutersammler Felix Kogutzki schon zu Studentenzeiten, der ihn mit einer höhergestellten Persönlichkeit aus dem Milieu der Rosenkreuzer in Verbindung gebracht habe, die ihm zum Lehrer geworden sei, spricht Zander jegliche Bedeutung ab. Angesichts des völligen Fehlens weiterer Hinweise auf eine Art „Initiations-Erfahrung“ im Umfeld dieser Begegnung kommt Zander zu dem Ergebnis: Felix Kogutzki war ein normaler Mensch und kein „Meister“ (S.41). Dies hat Steiner auch gar nicht geschrieben. [...]

Zanders Verengung des Esoterikbegriffs war erst kürzlich von Esoterikforschern, die einen diskurstheoretischen Ansatz vertreten, kritisiert worden (Tagung „Aufklärung und Esoterik“ in Halle, 9.-12. März 2010). [...]

Anthroposophie ist für Zander – wie er schon früher feststellte – nur verständlich, wenn man sie als alternative Religion behandelt (2007, S.44).

So wird Steiner als Religionsstifter apostrophiert (S.25), was Zander bereits 2002 in seiner Abhandlung „Anthroposophie – eine Religion?“ getan hatte. Den ersten Hinweis auf die Anthroposophie als religiöses Phänomen, das zur „untergründigen europäischen Religionsgeschichte“ gehört, verdankt Zander seinem Lehrer, den er als den eigentlichen Pionier der Esoterikforschung verehrt, dem katholischen Religionswissenschaftler Karl Hoheisel. [...]

Während seine wissenschaftliche Abhandlungen eher mit Fremdwörtern gespickt sind (Beispiel: „In dem individueller Verfügbarkeit entzogenen, kollektiven Vollzug restituierten sie die ekklesiologischen Funktionen einer institutionellen Stabilisierung der freigesetzten Subjektivität“, S. 533 2007), greift Zander in seiner Steiner-Biographie tief in die Kiste des Boulevardjournalismus. [...]

So ziehen sich allzumenschliche Verstrickungen im weltlichen Getriebe durch fast alle Kapitel von Zanders Biographie von Rudolf Steiner: Machtstreben, Geldgier, Alkoholkonsum, außereheliche Verhältnisse, Ehebrüche, Plagiate und berufliches Scheitern meint er zu entdecken und kolportiert dabei unzählige Gerüchte. Dadurch entsteht die merkwürdige Mischung des neuen Zander-Buchs, in dem der Historiker Details liefert für eine filmreife Kontrastfolie zu den Christologiepassagen, die Theologe Zander herausgearbeitet hat. Alles in allem fühlt man sich an die Doku-soaps des Fernsehens erinnert, die derzeit in Mode sind und bei denen es in den Spielfilmszenen meist eher spekulativ zugeht.

Im Bereich der ausführlich dargestellten Praxisfelder von Steiners Anthroposophie geht Helmut Zander so vor, dass er bei der Kontextualisierung ebenfalls seine einseitige Blickrichtung beibehält, dadurch Verkürzungen aller Art produziert und zahlreiche Irrtümer aus seinem Anthroposophie-Werk übernimmt. [...]

Ein Fazit aus dem Ganzen bleibt Zander dem Leser schuldig. Am Ende steht dann einerseits der selbstkritische Hinweis, jede Biographie beinhalte „Fabel und Faktum“ zugleich (S.473), andererseits wird aber auch der Anspruch formuliert, den bis dato erarbeiteten Wissensstand über Rudolf Steiner zusammengetragen zu haben. [...] Wenn Zanders rhetorisches Feuerwerk abgebrannt ist, herrscht trostlose Dunkelheit. Eine dauerhafte Lichtquelle in Form eines erhellenden, weiterführenden Gedankens hat er in seinem neuen Buch nicht zu bieten. "< [Zitat Ende]

Persiflage und Demontage

Amazon: Persiflage und Demontage. Zwei Rezensionen, 14. und 18.2.2011.


Schließlich sei noch eine Rezension erwähnt, die am 14.2.2011 auf Amazon erschien. Darin heißt es [o]:

[Zitat] >" Nachdem ich nun nicht nur das Buch von Herrn Zander, sondern auch die hier und an anderen Orten publizierten Rezensionen gelesen habe, bewegt mich vor allem eine Frage: Wie kann man den Autor eines solchen Buches noch als Wissenschaftler bezeichnen? [...]

Ich selbst und zahlreiche weitere Leser mussten nach der Lektüre des zanderschen Werkes und der anschließenden Lektüre von Ravaglis Buch konstatieren, dass Ravagli tatsächlich Recht hat, mit dem, was er Herrn Zander vorwirft. Ja, ich war wirklich fassungslos, als ich mir das eingestehen musste, und fragte mich: Wie kann es sein, dass jemand so viel geschrieben und dabei praktisch kein wahres Wort zu Papier gebracht hat und nun 2011 auch noch eine Biographie über Rudolf Steiner veröffentlicht, die sich auf eben dieses Werk von 2007 stützt?

Deshalb kann man das vorliegende Werk auch weder als „Biographie“ noch als „die Biographie“ (was Herr Zander selbst im Nachwort zugibt) und schon gar nicht als eine wissenschaftliche Biographie lesen, die sie jedoch vorgibt zu sein. Ein großer Teil dessen, was Herr Zander behauptet, wird nämlich nicht mit seriösen, sondern äußerst dubiosen Quellen, oder mit aus dem Kontext herausgerissenen Quellen und zum Teil überhaupt nicht belegt. Herr Zander bewegt sich zudem praktisch ständig im Bereich reinster Spekulationen und Vermutungen, die ich hier schon deshalb nicht zitiere, um die Unwahrheiten, die Herr Zander keineswegs unwissentlich, sondern wissentlich niedergeschrieben hat, nicht noch weiter zu verbreiten.

Dennoch ein Beispiel: Herr Zander versucht unter anderem auch den Kern von Rudolf Steiners Anthroposophie, seine Christologie, zu kontextualisieren, indem er in einem fiktiven Gespräch zwischen Rudolf Steiner und seinem Freund Graf Polzer-Hoditz eine Vermutung dazu anbietet: Während eines Freimaurer-Rituals, vermutlich im Herbst 1906 in Stuttgart, habe Steiner die entscheidende Christusvision erlebt. Es habe sich um eine Erhebung in den Meistergrad gehandelt, bei der Grablegung und Auferstehung symbolisch vollzogen wurde. Dass Herr Zander diese Spekulation in ein fiktives Gespräch zwischen Steiner und Polzer-Hoditz verpackt, das er dazu noch in der Akasha-Chronik ansiedelt, die er selbst als pure Konstruktion Steiners bezeichnet, wird von ihm nicht weiter begründet. [...] Denn hier versucht er nun offensichtlich mit diesem Konstrukt, Steiner zu persiflieren, indem er ein Gespräch aus der „Akasha-Chronik“ kolportiert, in der Weise, wie er vermeint, dass Steiner selbst es auch unternommen habe. [...]

Es kommt aber noch schlimmer. Wenn man Zanders eigene Methode der historischen Kontextualisierung nun auf ihn selbst anwendet, dann kommt man zu folgendem Ergebnis: Ich habe vor kurzem ausführlicher den Band 255b der Rudolf Steiner-Gesamtausgabe, „Anthroposophie und ihre Gegner“, studiert, in dem die Angriffe gegen Rudolf Steiner in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg von akademischer, religiöser und völkisch-nationaler Seite ausführlichst dokumentiert sind. Und ich muss wirklich sagen: Wenn man den Stil, aber auch den Inhalt der Angriffe dieser Leute genauer studiert, kann man bemerken, dass das, was Herr Zander in seinem „neuen“ Buch über Rudolf Steiner geschrieben hat, dem Stil und auch den inhaltlichen Aspekten der Angriffe von damals sehr nahe kommt.

Und man stellt dann erstaunt fest, dass nichts von dem, was Zander heute vorbringt, eigentlich sonderlich originell, geschweige denn irgendwie neu ist, wenn man von der Kaminfeuer-Romanze im Schloss von Graf Polzer einmal absieht. Diese Art von Polemik und diese Diffamierungen gegen Rudolf Steiner hat es eigentlich alle zwischen 1917 und 1924 schon gegeben, und Herr Zander steht damit genau in dieser Tradition, ohne dieses jedoch zuzugeben. Stattdessen hat er sich von Anfang an als der innovative, historisch-kritische Forscher inszeniert, der meinte, Steiner demontieren zu können.

Wenn ich das dann mit dem oben Gesagten zusammenhalte, dann stelle ich mir umso mehr die Frage: Wenn er schon keine Wissenschaft betreibt, in was für einer Mission ist Herr Zander eigentlich unterwegs? "< [Zitat Ende]

Und Stefan Grosse vier Tage später [o]:

[Zitat] >" Zander hat eine flüssige Journalistenschreibe und belastet den Leser nicht mit verschachtelter Syntax oder abgelegenen Fachbegriffen. Insofern eignet sich das Werk als Toilettenlektüre: Man kann nebenher noch andere Sachen erledigen. Das Buch hat 536 Seiten und ist damit erkennbar eine Fleißarbeit. Je weiter man sich vorkämpft, desto deutlicher wird einem, dass man sich im intellektuellen Paläolithikum befindet: Da ist ein fleißiger Jäger und Sammler am Werke, der aber keine Kulturtat hinkriegt, weil er alles für den eigenen Metabolismus braucht – es entsteht vor dem Leserauge keine Person. Da will einer ein Mosaik legen, erreicht aber nur ein Sammelsurium von bunten Steinchen, aus denen kein Bild wird; deshalb wird die Lektüre mit der Zeit einfach ermüdend. Was bleibt, ist ein Name – Steiner – der sich im Zeitkolorit spiegelt und auflöst. Da muss mehr gewesen sein. "< [Zitat Ende]