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10.02.2002

Gentechnik und Patente auf Lebewesen – eine Chronik

 

1973

Das europäische Patentübereinkommen EPÜ wird beschlossen. Pflanzensorten und Tierarten sind ausdrücklich von der Patentierung ausgenommen.

1980

Der US-Supreme Court fällt ein Grundsatzurteil, nach der gentechnisch veränderte Lebensformen paten­tier­bar sind. Anlaß ist der Patentantrag der Ölfirma Exxon für einen ölabbauenden Mikroorganismus.

1981

Das europäische Patentamt (EPA) erteilt das erste Patent für einen Mikroorganismus.

1983

Die ersten US-Patente für gentechnisch veränderte Pflanzen werden vergeben.

1987

Calgene Inc. erhält ein Patent für eine Gensequenz der Tomate, die die Haltbarkeit deutlich verlängert.

1988

Die Genetiker Philip Leder und Timothy Stewart erhalten das weltweit erste Patent für ein gentechnisch verändertes Säugetier. Die "Harvard-Krebsmaus" ist besonders anfällig gegenüber bestimmten Brustkrebs-Formen.
Die Firma SyStemix läßt sich eine Maus patentieren, deren Immunsystem durch gentechnische Eingriffe dem menschlichen ähnelt; sie soll in der Aidsforschung eingesetzt werden.  

1990

Die Universität Stanford meldet ihr hundertstes DNA-Patent an. Ein Jahr später hat es bereits 40 Mio $ eingebracht.
Das Human Genome Project beginnt (Projekt zur kompletten Entschlüsselung der menschlichen Erbguts).

Der oberste Gerichtshof in Kalifornien verweigert dem Leukämie-Patienten John Moore die Rechte an seinen erkrank­ten Zellen, die seine Ärzte patentiert hatten (Profit mehrere Mrd $), da Teile des Körpers keine Handelswaren seien.

1991

1.1. Das Deutsche Embryonenschutzgesetz tritt in Kraft.

1992

Das deutsche Patent auf die "Krebsmaus" wird erteilt.

1993

Februar: Einsprüche gegen die "Krebsmaus"; internationales Presseecho; das EPA schließt sich den Einsprüchen an.

September: Einspruch gegen ein Patent der Firma Hoechst auf herbizidresistente Pflanzen.

1994

Die US-Firma Genentech erhält vom EPA ein Patent auf menschliche Organe, die vor der Transplantation mit einem Wachstumsfaktor behandelt werden sollen.

Oktober: Einspruch gegen ein Patent der Firma Grace auf (alle) gentechnisch veränderten Sojabohnen.

Dezember: Das EPA verhandelt einen Einspruch gegen ein Patent auf ein menschliches Gen.

1995

Das Koordinationsbüro berichtet über die erste Patentierung von Säugetieren durch das Deutsche Patentamt.

März: "Richtlinie zum Schutz biotechnologischer Erfindungen" vom Europaparlament nach 7-jähriger Diskussion endgültig abgelehnt. Die Abgeordneten führen dies u.a. auf die große kritische Öffentlichkeit zurück.

Einsprüche gegen die Patente auf "Anti-Matsch-Tomate", "Zelltumormaus" und "Chimärenmaus".

November: 1. öffentliche Verhandlung zu den Einsprüchen gegen die "Krebsmaus", ergebnislos abgebrochen.

Die EU-Kommission legt einen fast unveränderten Richtlinien-Entwurf vor.

Einspruch von Greenpeace gegen ein Patent auf herbizidresistente Pflanzen von Plant Genetic Systems (PGS), die Technische Beschwerdekammer entscheidet, daß Pflanzen und Tiere nicht patentierbar seien. Novartis legt Beschwerde ein, der Fall kommt an die Große Beschwerdekammer (Urteil am 21.12.99).

1996

Eine Forschergruppe sequenziert vollständig das Genom der Hefe Saccharomyces cerevisiae (12 Mio Basenpaare).

1997

Forscher des schottischen Roslin Institutes klonen das Schaf Dolly aus der Euterzelle eines erwachsenen Schafs. Wenig später wird auch Polly geklont, ein Schaf, das ein menschliches Gen trägt.

Februar und März: Einsprüche gegen ein Patent auf Nabelschnur-Blut von Neugeborenen und "round-up" resistente Pflanzen der Firma Monsanto.

Mai: Einspruch gegen ein Patent auf genmanipulierte Schweine mit einem zusätzlichen Wachstumshormon. Veröffentlichung eines Papiers, das die Machenschaften der Industrie zur Abstim­mung der Patent­richtlinie in Brüssel aufdeckt.

1998

Wissenschaftler der Universität Hawaii klonen drei Generationen von Mäusen aus dem Kern einer adulten Ovarienzelle.
Das erste komplette Genom eines Tieres wird entschlüsselt (Fadenwurm Caenorhabditis elegans).

Eine weitere Rohfassung der menschlichen Genkarte wird veröffentlicht. Sie zeigt die Lage von rund 30.000 Genen.

Mai: Die EU-Richtlinie 98/44 über Biopatente wird nach 10-jähriger Diskussion in zweiter Lesung vom EU-Parla­ment angenommen. Artikel 5 (2) schließt eine Patentierung isolierter Teile des menschlichen Körpers nicht aus.

Juli: Die EU-Richtlinie tritt in Kraft und muß bis Juli 2000 in nationales Recht umgesetzt werden.

Oktober: Das Niederländische Parlament legt Klage beim Europäischen Gerichtshof ein (Urteil 9.10.01)

1.11. Wissenschaftler der University of Wisconsin gewinnen die ersten Zellinien aus menschlichen Embryo-Stamm­zellen für die Forschung: James Thomson bringt embryonale Stammzellen zum Wachsen, John Gearhart gelingt eine Kultur embryonaler Zellen aus der Keimbahn abgetriebener Föten.

Dezember: Italien schließt sich der niederländischen Klage an.

1999

Norwegen schließt sich ebenfalls der Klage an.

April: Einspruch gegen ein Patent des israelischen Landwirtschaftsministerium, bei dem Human-Serum-Albumin in der Milch von Säugetieren produziert werden soll.

Mai: 2. Anhörung zum Patent auf Nabelschnur-Blut. Das Patent wird wegen fehlender Neuheit widerrufen.

Der Senat der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) beschließt ein Schwerpunktprogramm "Stammzellen" und re­ser­viert für die erste Förderperiode von 2 Jahren insgesamt 5 Millionen Mark.

Juni: Der Verwaltungsrat des EPA beschließt eine Änderung der Ausführungsordnung gemäß der (für das EPA nicht verbindlichen) EU-Richtlinie: Tiere und Pflanzen werden patentfähige Erfindungen, was dem EPÜ widerspricht.

Der französische Bauernführer José Bové vernichtet zusammen mit indischen Bauern rund 300 genetisch manipulierte Pflanzen des staatlichen Forschungsinstituts CIRAD (im Dezember wird er zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt).

August: Der Bonner Forscher Oliver Brüstle verwandelt embryonale Mausstammzellen in Hirnzellen; mit ihrer Hilfe heilt er nervengeschädigte Tiere.

23.9. Das Europaparlament verabschiedet eine Empfehlung gegen die Patentierung von Leben.

November: Die Initiative "Kein Patent auf Leben!" belegt, daß die Änderung der Ausführungsordnung illegal ist.

8.12. Das EPA erteilt der Uni Edinburgh ein Patent, das die Entnahme tierischer Zellen aus Embryonen, deren gentechnische Veränderung und die Züchtung von Lebewesen umfaßt; ausdrücklich ist der Mensch mitbetroffen. Nutznießer ist Stem Cell Sciences (Australien) durch einen Exklusivvertrag mit der Uni.

21.12. Urteil der Großen Beschwerdekammer des EPA: Pflanzen und Tiere sind patentierbare Erfindungen (Entscheidung Greenpeace-Novartis von 1998, seit dem Moratorium 1995 lagen rund 1200 Anträge auf Eis).

2000

Craig Venter von der US-Firma Celera verkündet die vollständige Entschlüsselung des menschlichen Genoms.
In Deutschland wird über eine nationale Patentrichtlinie beraten, die die Patentierung von Gensequenzen unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt.

21.2. Greenpeace mauert das EPA zu - wegen der Erteilung des Patentes an die Uni Edinburgh für die gentechnische Veränderung menschlicher Embryonen. Das EPA gibt zu, daß die Erteilung ein schwerer Fehler war.

April: Der Einspruch gegen das Monsanto-Patent („round-up“-Resistenz) wird abgelehnt.

17.4. Erster Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU-Richtlinie.

Mai: Der Einspruch gegen Patent auf Bestandteile vom Neem-Baum hat Erfolg, internationales Presseecho.

30.7. Nur Dänemark, Großbritannien, Irland und Finnland haben die EU-Richtlinie fristgemäß umgesetzt.

August: Oliver Brüstle beantragt bei der DFG die Forschung an importierten menschlichen Stammzellen.

18.10. Das Bundeskabinett beschließt, die Richtlinie umzusetzen und dabei eine Revision in Brüssel anzustoßen.

22.11. Das Bundeskabinett billigt das Biopatentgesetz (etwa Mitte 2001 in Kraft) und beschließt auf Druck der Grünen, sich dafür einzusetzen, daß die EU-Regeln für die Patentierung von Genen verschärft werden.

1.12. Der Bundesrat äußert sich kritisch zur Patentierung von Gensequenzen, von Tieren und Pflanzen.

Die Enquete-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin" empfiehlt Ablehnung der Richtlinie.

20.12. Das britische Parlament erlaubt als eines der ersten Länder Forschung und therapeutisches Klonen bei Embryo-Stammzellen, sofern sie nicht älter als 14 Tage sind. - Schröder regt eine parlamentarische Anhörung an. Ende des Jahres spricht er sich mit einem Aufsatz in Die Woche gegen ideologische Scheuklappen und grundsätzliche Verbote aus. Später tritt die gentechnik-kritische Gesundheitsministerin Andrea Fischer zurück.

2001

7.2. Verhandlung um das Hoechst-Patent auf „Basta“-resistente Pflanzen. Der Einspruch wird zurückgewiesen.

8.2. Verhandlung um das Calgene-Patent auf die "Antimatsch-Tomate". Der Einspruch wird zurückgewiesen.

April: Verhandlung um das MHS-Patent der Universität Toronto (ein Gen, das bei Schweinen und Menschen für Stressresistenz verantwortlich sein soll); menschliche Gene werden aus dem Patent ausgenommen.

29.3. FAZ-Artikel von DFG-Präsident Ernst-Ludwig Winnacker: Stammzellen - Verheißung für die Biomedizin.[1]

2.5.: Bundeskanzler Schröder setzt den Nationalen Ethikrat ein.

3.5. Die DFG veröffentlicht neue Leitlinien zur Forschung an Embryo-Stammzellen: Die Arbeit an importierten embry­onalen Stammzellen und an sog. überzähligen Embryonen aus künstlichen Befruchtungen soll gestattet werden. Auf Bitten des Forschungsministeriums (BMF) vertagt sie den Entscheid zu Oliver Brüstles Antrag auf den 3. Juli.

18.5. Bundespräsident Rau warnt in einer Rede, die Forschung an embryonalen Zellen überschreite ethische Grenzen.

31.5. Bundestags-Grundsatzdebatte zur Gentechnik. Schröder spricht für die Forschung an embryonalen Stammzellen.

NRW-Ministerpräsident Clement reist mit den Bonner Forschern Otmar Wiestler und Oliver Brüstle nach Haifa, wo sie den israelischen Forscher Joseph Itskowitz-Eldor treffen, der die Zellen liefern will.

1.6. Ministerpräsident Wolfgang Clement (NRW) sagt Wissenschaftlern der Uni Bonn zu, die Forschung an embryonalen Stammzellen zu ermöglichen und finanzielle Hilfen des Landes zu gewähren. Dies trifft auf breite Kritik.

8.6. Der von Schröder ins Leben gerufene Nationale Ethikrat tritt erstmals zusammen. Das 25-köpfige Gremium soll möglichst rasch eine Empfehlung zum Stammzellimport ausarbeiten. Er bittet die DFG um erneute Verschiebung.

3.7. Die DFG vertagt auf Bitten des Ethikrats die Entscheidung über den Import bis Dezember. Es wird bekannt, daß embyronale Stammzellen bereits in deutschen Labors lagern.

5.7. Der Bundestag spricht sich gegen einen vorläufigen Importstopp für Embryo-Stammzellen aus.

Sommer: Brüstles Institutsleiter Otmar Wiestler legt ein Konzept zur Ausgliederung der Biotech-Bereiche der Uni Bonn in eine GmbH „Life & Brain“ vor, deren laufende Kosten langfristig zu 70% von Uni und Land zu zahlen seien.[2]

9.8. US-Präsident Bush lässt die öffentlich finanzierte Forschung an bestehenden Stammzelllinien zu.

9.10. Der Europäische Gerichtshof weist die Klage gegen die EU-Richtlinie ab.

22.10.Greenpeace stellt einen Patentantrag von Monsanto bei der Weltpatentorganisation in Genf vor. Er betrifft nicht nur einen Genmarker, der einen höheren Ertrag bei Sojapflanzen anzeigt, sondern alle (auch Wild-) Pflanzen, die dieses Gen besitzen. Monsanto entdeckte den Genmarker in Pflanzen aus einer US-Saatgutbank (Herkunft Südchina). Eventuell müssen künftig ostasiatische Bauern Lizenzgebühren an Monsanto zahlen.

12.11. Die Enquete-Kommission stellt zwei Voten zur Debatte: Importverbot und Zulassung unter strenger Kontrolle.

23.11. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse sagt dem DFG-Präsidenten den 30.1. als festen Termin für die zweite Bundestagsdebatte zum Stammzellimport zu.

27.11. Die Enquete-Kommission ist im Zwischenbericht zur Stammzellforschung mehrheitlich (26:12)  gegen Import.

29.11. Der Nationale Ethikrat ist mehrheitlich (15:10) für den Import (für drei Jahre) unter strengen Auflagen.

7.12. Die DFG verschiebt ihre Entscheidung zum Brüstle-Antrag zum dritten Mal - auf den 31. Januar.

2002

Januar: Die französische Nationalversammlung kritisiert mehrheitlich die EU-Richtlinie (v.a. wegen Art. 5).

30.1. Bundestagsdebatte zur Stammzellforschung. Der Kompromißantrag wird mit 340 Stimmen beschlossen.

31.1. Der DFG-Hauptausschuss beschließt die Förderung von Brüstles Projekt mit embryonalen Stammzellen.

Fußnoten

 


[1] Die Deutsche Forschungsgemeinschaft verteilt jährlich rund 1 Mrd € Forschungsgelder. Noch 1999 hat sie die verbrauchende Embryonenforschung abgelehnt. Winnacker erreichte innerhalb von zwei Jahren die Änderung der DFG-Statuten, die auf der Basis von Brüstles „Empfehlungen zur Forschung mit menschlichen Stammzellen“ zurückgehen. Winnacker selbst sitzt im Bayer-Aufsichtsrat, im Nationalen Ethikrat, ist ein Berater von Schröder, ist Gründer des Unternehmens MediGene, im Aufsichtsrat von EleGene AG und Nascacell, Vorstandsmitglied der TVM Techno Venture Management (vergibt Startkapital für Biotech-Firmen), Kurator der Gottlieb-Daimler-, Karl-Benz-Stiftung, Aventis Foundaiton, Evang. Akademie Tutzing, Stiftungsrat der Quandt-Stiftung, Burda-Stiftung, Arthur-Burckhardt-Stiftung, Vizepräsident der Alexander-von-Humboldt-Stiftung.

 

[2] Vier Professoren (darunter Brüstle) sollen für 10.000 € monatlich Abteilungsleiter werden. Offenbar hat Bayer bereits Interesse als Industrie-Partner angemeldet. Auch die Gesellschaft der Freunde und Förderer der Universität Bonn wird seit 1917 stets von einem Bayer-Vorstandsmitglied gelei­tet. - Brüstle und Ministerpräsident Clement (NRW) besuchten gemeinsam die Gentechnik-Labors im Weizman Institut in Haifa (Israel), wo Brüstle die ersten Stammzellen ordern wollte.