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27.06.2002

Festung Europa

Was tun gegen das Anwachsen von Nationalismus und Unmenschlichkeit?

Dieser Aufsatz wäre im "Goetheanum" veröffentlicht worden, wenn nicht eine Ausgabe mit entsprechendem Leitthema gerade im Druck gewesen wäre.


In diesem Jahr will Spanien die Abwehr „illegaler Einwanderung“ durch einen elektronischen Schutzwall intensivieren. An der Ostküste der Insel Fuerteventura wird das sogenannte Integrierte Elektronische System zur Außenüberwachung (SIVE) installiert. Damit können Boote 25 km vor der Küste geortet werden, Infrarotkameras orten menschliche Körperwärme auf 7,5 km Entfernung. Die Kosten für das System belaufen sich auf 10,5 Millionen Euro. Seit einiger Zeit ist an der Meerenge von Gibraltar bereits ein Prototyp im Einsatz. Bis 2004 soll SIVE dann für etwa 130 Millionen Euro auf die gesamte Küste Andalusiens ausgeweitet werden. Schon im Sommer erklärte ein Kommandant der paramilitärischen Guardia Civil: „Die Staaten am Rande Europas sind verantwortlich für die Sicherheit des Zentrums.“ Mit Hilfe von SIVE könnte „Europa“ selbst kleinste Boote rechtzeitig „jagen“, bevor die Menschen 20 Minuten später an Land gehen würden. SIVE-Direktor Atilano Hinojosa verteidigt die Technik mit ganz anderen Argumenten: „Man will schnelle Hilfe für die Leute in der Nußschale herbeischaffen, um sie vor dem Ertrinken zu retten und an Land zu bringen.“ - Wirklich? Nein, aber auf diese Weise erwartet man, daß für die Installation von SIVE etwa 90 Millionen Euro aus dem EU-Fonds zur Verhinderung von Schiffbruch fließen werden... 

Angesichts der ganzen „Ausländer“-Diskussion kann man nur versuchen, so klar und hörbar wie möglich darauf hinzuweisen, daß diese Diskussion in dramatischer Weise mißbraucht wird, um den „Standort Europa“ (bzw. „Deutschland“ etc.) zu verteidigen und zur Festung zu machen. Der Nationalismus ist - auch wenn er sich als europäischer maskiert - wieder auf dem Vormarsch. Europa legt fest, wer in Europa leben darf. Menschen, die aus wirtschaftlichen oder ökologischen Zwängen ihre Heimat verlassen, werden in Europa nicht geduldet. Menschen, die politisch verfolgt werden, zunehmend weniger. Verfolgt man die Ursachen der menschlichen Schicksale überall in der Welt, findet man immer wieder entscheidende Fäden, die von Europa ausgehen. Die Industrieländer profitieren seit Jahrzehnten von ungerechten Austauschverhältnissen. Sie werden immer mehr die Öffnung der Märkte erzwingen und sich ihre Vorteile zu sichern wissen. Mit den Folgen ihrer Taten konfrontiert, reagieren sie mit Abwehr und eigentlich dem genauen Gegenteil von Globalisierung: Für Waren und Dienstleistungen Grenzen auf (ob ein anderes Land dies will oder nicht), für Menschen Grenzen zu. In diesen Tagen präsentiert EU-Ratspräsident Aznar auf dem EU-Gipfel in Sevilla seinen Aktionsplan, nach dem unter anderem Herkunftsstaaten, die nicht kooperieren, die Entwicklungshilfe gekürzt werden soll. Hier wird der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben, wie überhaupt alle Maßnahmen sich darauf richten, Symptome zu bekämpfen (wodurch die Krankheit eben noch verstärkt wird).

Übrigens nimmt der „Zustrom von Ausländern“ keineswegs zu. Was zunimmt, ist die Illegali­sierung der Kommenden. Die „Illegalität“ liefert dann wieder den Vorwand für eine weitere Verschärfung der „Sicherheits“- und „Verbrechensbekämpfungsgesetze“. Europa bestimmt, welcher Mensch welche Rechte in Europa hat, wenn er nicht eine EU-Nationalität hat. Warum darf eigentlich ein in Deutschland aufgewachsener, arbeitender und Steuern zahlender Türke nicht einmal über die Zusammensetzung seines Kommunalparlaments mitentscheiden, während Leute wie Michael Schumacher, Margarete Schreinemarkers etc., die tatsächlich „Wirtschaftsflüchtlinge“ sind, weder hier leben noch arbeiten und - falls überhaupt - nur in Monaco oder Belgien Steuern zahlen, sogar den Bundestag mitwählen dürfen?