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01.09.2002

Diener zweier Herren in Johannesburg

Rückblick auf die Entwicklungen seit dem Umweltgipfel in Rio

Veröffentlicht im „Goetheanum“ vom 13.9.2002 (Nr. 38) unter dem Titel „Ein unabhängiger Wille tut not“.

Der Verlauf von „Rio+10“ zeigte deutlich, daß es große Aufgaben zu bearbeiten gibt, um das Leben auf der Erde und zwischen den Menschen gerechter oder überhaupt erst lebenswert zu gestalten. Die Lösung der Probleme ist dabei kaum kurzfristig umsetzbar. Auch wird es Jahre brauchen, bis sich negative Auswirkungen bisheriger Entwicklungen auflösen lassen. Dies liegt nicht zuletzt auch an den unterschiedlichen Positionen der USA, der EU und der Entwicklungsländer, die durchaus in einer Linie mit Entwicklungen seit dem Umweltgipfel in Rio liegen. 


Jeder fünfte Mensch auf der Erde – das sind 1,3 Milliarden – lebt ohne Zugang zu sauberem Wasser. Jährlich sterben über zwei Millionen an den Folgen, vor allem Kinder. 800.000 Menschen hungern mehr oder weniger. All diese Zahlen sollten bis 2015 halbiert werden, versprach man bereits auf dem Millenium-Gipfel 2000 in New York.

Liberalisierter Handel statt Nachhaltigkeit

Ein wesentliches Thema der Rio-Konferenz 1992 war der Klimaschutz. Wie wichtig diese Frage ist, zeigten unmittelbar vor dem jetzigen Gipfel die dramatischen Überschwemmungen in der Tschechischen Republik, in Österreich und Ostdeutschland, aber auch in China und Vietnam.

Seit 1992 stiegen die Kohlendioxid-Emissionen weltweit um rund zehn Prozent, in den USA sogar um 18 Prozent. 1997 vereinbarten die Staaten das Kioto-Protokoll, wonach die Industrieländer bis 2012 ihre Treibhausgase im Vergleich zu 1990 um 5,2 Prozent senken sollen; erst 2001 wurde in Bonn und Marrakesch ein konkreteres Regelwerk vereinbart, dessen Ratifizierung erst jetzt weitere wichtige Länder wie Australien, China, Kanada und Rußland in Aussicht gestellt haben. Bereits im April 2001 war US-Präsident George W. Bush aus der Vereinbarung ausgestiegen. Allein ein Drittel des Kohlendioxid entfällt auf die USA, die 27 Prozent der globalen Erdölproduktion verbrauchen, obwohl hier nur 5 Prozent der Weltbevölkerung leben.

Auch die Zerstörung des Regenwaldes setzte sich beschleunigt fort. Noch im Jahr 1992 wurde die UN-Kommission zu transnationalen Konzernen aufgelöst, die seit den 70er Jahren versucht hatte, weltweit bindende Regeln für Arbeitssicherheit, Einhaltung von Gesetzen und Umweltschutz aufzustellen. Zwei Jahre nach Rio, Ende 1994, wurde die Welthandelsorganisation (WTO) gegründet, die komplett außerhalb der Uno steht und eine Politik des „Freihandels über alles“ vertritt. In Wirklichkeit schuf nicht der Wunsch nach Rettung des Planeten durch Nachhaltigkeit Tatsachen, sondern der Wille zu wirtschaftlichen Vorteilen durch liberalisierten Handel. Eine differenzierte Behandlung von Handelsgütern je nach Nachhaltigkeit der Erzeugung ist plötzlich als Handelshemmnis oder Wettbewerbsnachteil verboten. Die gleichen Regierungen, die in Rio erklärten, daß das bisherige Entwicklungsmodell keine Zukunft habe, schrieben es mit den WTO-Verträgen als allgemein verbindlich fest.

„Global Players“ als Umweltschützer?

Der für Johannesburg vorbereitete Text ging dann sogar selbstverständlich davon aus, daß ein „freier Handel“ auch zu umweltfreundlicher Entwicklung führt. Schon in Rio wurde dafür der Grundstein gelegt, denn in der „Agenda 21“ wird empfohlen, «nachhaltige Entwicklung durch Liberalisierung des Handels zu fördern, [...] damit sich Handel und Umwelt gegenseitig unterstützen» (Artikel 3). Schon damals hatten Wirtschaftslobbies dafür gesorgt, daß die bedingungslose Marktfreiheit von Unternehmen als Teil der Lösung und nicht als Teil des Problems betrachtet wurde.

Der 163 Konzerne umfassende „World Business Council for Sustainable Development“ (WBCSD) war maßgeblich bei der Ausarbeitung der Tagesordnung und des Abschlußdokuments von Rio beteiligt. Seitdem wurden „freiwillige Selbstverpflichtungen“ propagiert, bei deren Nichteinhaltung keine Konsequenzen drohen. In Johannesburg waren die Konzerne noch mehr eingebunden. Der Sandton Square, an dem das Konferenzzentrum lag, wurde zum Beispiel von einer aufgeblasenen blauen Kuppel des Autokonzerns BMW dominiert, in der dieser unter anderem eine Edelkarosse mit Wasserstoffantrieb vorstellte.

Die Internationale Handelskammer (ICC) und der WBCSD bildeten speziell für die Vorbereitung von Johannesburg die „Business Action for Sustainable Development“ (BASD), zu deren Mitgliedern unter anderem große Öl-, Auto-, Chemie-, Energie- und Biotech-Konzerne wie BP, „DaimlerChrysler“, „DuPont“, BASF, „Monsanto“ und „Bayer“ gehören. Die Lobbyarbeit der ICC hatte früher zum Beispiel das Kioto-Protokoll, die Biodiversitätskonvention und die Basel-Konvention gegen den Giftmüllhandel als wirtschaftsfeindlich gegeißelt und verwässert.

Der „Architekt“ des Johannesburg-Gipfels, Nitin Desai, seit 1992 Untergeneralsekretär für Wirtschaft und Soziales, setzte auf ein breites Verhandlungsspektrum. Dazu gehören auch Partnerschaften mit Umweltverbänden und Unternehmen (sogenannte „type-II-agreements“).

Schon im Jahr 2000 initiierte Kofi Annan den „Global Compact“, ein Abkommen zwischen der Uno und inzwischen rund 100 Konzernen. Diese bekennen sich zu neun Grundsätzen in den Bereichen Umweltschutz, Arbeitssicherheit und Menschenrechte und verpflichten sich zu Musterprojekten. Partner sind wiederum BP, „DaimlerChrysler“, „Aventis“, BASF, „Bayer“, „Nike“, „Deutsche Bank“ und andere. Die ICC setzte die völlige Unverbindlichkeit der „Prinzipien“ durch. Es gibt keinerlei Überprüfung der Konzerne, doch fast alle rühmen ihr Engagement im Rahmen des „Global Compact“ auf ihren Websites und in Werbebroschüren. UN-Offizielle äußern, daß keines der eingebrachten Musterprojekte die Kriterien eines Fallbeispiels erfüllt.

„Bayer“ ist neben vielem anderen weltweit größter Hersteller hochgiftiger Insektizide. Für „Global Compact“ wirbt „Bayer“ mit finanzieller Unterstützung für die brasilianische „Abrinq-Stiftung“ (gegen Kinderarbeit) und einer Medikamentenspende an die Weltgesundheitsorganisation für ein Programm gegen Schlafkrankheit. Kritische Anfragen beantwortet „Bayer“ seit 2001 routinemäßig mit einem Verweis auf den „Global Compact“... „DaimlerChrysler“ wurde immerhin gerade für sein umfassendes Aids-Betreuungsprogramm für die eigene Belegschaft in Südafrika ausgezeichnet und fördert mit der Deutschen Umwelthilfe den Schutz von Feuchtgebieten am Kap. VW investiert wie viele andere Konzerne in Schulprojekte und Umwelterziehung.

Kehrtwende innerhalb der Weltbank?

Der Harvard-Professor John Ruggie, der für Annan den „Global Compact“ entwarf, verteidigt das Prinzip freiwilliger Vereinbarungen als allemal besser als ergebnislose politische Verhandlungen. Sogar Firmen wie „Shell“ und „Nike“ würden allmählich merken, daß sich umweltfreundliches Verhalten lohnen kann. Dies sei kein Ersatz für Gesetze: „Wenn die Regierungen ihre Arbeit machen und im Sinne ihrer Gesellschaft handeln würden, hätten wir viele der globalen Probleme nicht“, sagte er in einem Interview gegenüber der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“ (Nr. 35/2002).

Dagegen scheint ausgerechnet innerhalb der Weltbank eine erstaunliche Wandlung zu vollziehen. Schon ihr früherer Chefökonom Joseph Stiglitz übt in seinem kürzlich im Münchener Siedler Verlag erschienenen Buch „Die Schatten der Globalisierung“ heftige Kritik am Internationalen Währungsfonds. Nun erschien wenige Tage vor dem Gipfel der Weltentwicklungsbericht 2003, in dem die Weltbank auf schwere Fehler und Versäumnisse in der Vergangenheit hinweist und ein radikales globales Umsteuern in der Umwelt- und Wirtschaftspolitik fordert, um die weltweite Armut zu bekämpfen.

Heute subventionieren die Industrieländer  allein ihre Landwirtschaft mit rund 350 Milliarden Dollar jährlich - das ist siebenmal soviel, wie die „Entwicklungshilfe“ ausmacht. So wird diese real zu einem Almosen, während die Güter des Nordens die Märkte in der Dritten Welt überschwemmen und zerstören. Zusätzlich schützen die reichen Länder ihre Märkte immer noch durch Zollschranken gegenüber wichtigen Gütern des Südens.

Orientierung an den Bedürfnissen der Menschen

Niemand kann zwei Herren dienen. Er wird sich dem einen zuneigen und den anderen verachten (Mt 6,24). Auch Regierungsvertreter können nicht zugleich Umweltschutz und Nachhaltigkeit einerseits und „nationalen“ wirtschaftlichen Interessen und rücksichtslosem Freihandel andererseits dienen. Nachhaltigkeit hieße, Ökologie und Fairness der wirtschaftlichen Effizienz überzuordnen: nicht freier, sondern fairer Handel. Das Vorsorgeprinzip müßte wichtiger werden als das Akkumulationsprinzip.

Eine dem Menschen gemäße Setzung der Prioritäten wäre ernsthaft erst möglich, wenn das wahre Interesse am Menschen da wäre: an allen und jedem einzelnen. Wenn das Bewußtsein wirklich wäre, daß das an Darminfektion sterbende afrikanische Kind genauso einzigartig und wichtig ist wie der Wähler im Heimatbezirk. Dann aber würde sich mit einem wandelnden menschlichen Bewußtsein die gesamte Welt ändern. Wirtschaft wäre nicht mehr orientiert am Profit, sondern an den Bedürfnissen der Menschen, zuallererst der Schwächsten. Der Mensch würde dem Menschen und der Erde dienen, weil er sie liebt.

Südfrikas Präsident Mbeki sagte in seiner Eröffnungsrede: „Es scheint, als seien wir entschlossen, uns auf die primitivste, animalische Lebensform zurückzuentwickeln, dorthin, wo nur noch die Stärksten überleben. Als würden wir den menschlichen Intellekt verschmähen, der uns sagt, daß das Überleben der Stärksten das Vorzeichen für die Zerstörung der Menschheit ist.“ Das letzte Jahrzehnt zeigt ganz klar die wahre Natur des modernen Intellekts. Er eignet sich hervorragend, um sich in den Dienst egoistischer Willensimpulse zu stellen. Abstrakte Ahnungen, was „eigentlich getan werden müsste“, sind jenen niederen Impulsen dagegen hoffnungslos unterlegen. Es muß erst ein anderer Wille erwachen, der aus dem wahren Wesen des Menschen geboren werden muß: in ureigenster Tat, ohne beziehungsweise gegen den Einfluß jeglicher Lobby-Verbände.