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24.08.2002

Globalisierung, Dreigliederung und die Anthroposophen

Die gegenwärtigen Prozesse der Globalisierung offenbaren das Primat des Wirtschaftlichen bzw. allgemein von Macht in dieser Welt. Wie sich im politischen Raum Korruption und Lüge bis in den letzten Winkel ausgedehnt haben und immer mehr alle Lebensbereiche beeinflussen, so unterwirft sich die Macht des Geldes immer weitere Bereiche. Politik und Wirtschaft bestimmen die menschlichen Lebensumstände in höchstem Maße, und immer mehr zeigt sich die reale Unmündigkeit des Einzelnen: Sein alle vier Jahre in Anspruch genommenes Wahlrecht verändert im Grunde nichts. An den machtvoll ablaufenden Prozessen der Globalisierung kann er ebensowenig ändern.

Privatisierung oder nicht - die Wahl zwischen zwei Übeln?

Eine Folge der Globalisierung ist die „Privatisierung“ von Wasser, Energie, Gesundheit bzw. Krankheit und so weiter. Privatisierung heißt Kommerzialisierung, es geht zum Beispiel um den Verkauf der kommunalen Wasserversorgung an einen privaten Konzern. Dahinter steht die Idee, daß die Akteure in der Marktwirtschaft durch ihr Profitinteresse wirtschaftlicher und damit effizienter arbeiten als eine staatliche Institution. Inzwischen haben zahllose Beispiele in aller Welt gezeigt, daß die Prämisse durchaus stimmt, was jedoch nicht die gewünschten Folgen hat: Ein Konzern hat tatsächlich Profitinteresse. Er arbeitet jedoch gerade darum nur dann so effizient, sozial etc., wie er soll, wenn er durch Markt- und andere Gesetze dazu gezwungen wird. Man gebe einem Konzern durch Privatisierung eine Monopolstellung in einem Bereich der Daseinsvorsorge, und es werden Zustände auftreten, die schlimmer sind als die schlimmste staatliche Mißwirtschaft. Ein Monopol verwandelt den „effektiven Dienstleister“ der Marktwirtschaft in einen teuflischen Ausbeuter. Immer wieder müssen vor allem in der dritten Welt Millionen Menschen darunter leiden, daß man schlicht „vergißt“, was Marktwirtschaft erst wirklich ausmacht: Wettbewerb. Wie aber will man bei der Wasserversorgung eines Bezirkes Wettbewerb erreichen - durch drei Wasserhähne über jedem Waschbecken?

Daß selbst Wettbewerb nicht automatisch zu effizienten Dienstleistungen führt, erfährt jeder, der in einem Geschäft oder am Telefon wiederholt Menschen begegnet, die wie ein Beamter höchstens „Dienst nach Vorschrift“ machen. Das ist ein allgemeinmenschliches Problem. Ein Problem der Marktwirtschaft dagegen ist es, daß es sie nicht interessiert, ob Kranke menschlich behandelt werden, Kinder kindgerecht unterrichtet werden und so weiter. Konkurrenz im besten Sinne könnte dies zur Folge haben. Aber auch durch sie kann nicht erreicht werden, daß alle Menschen Zugang zu Wasser und anderem bekommen. Auch aus der besten Marktwirtschaft fallen jene heraus, die kein Geld haben, um an ihr teilzunehmen.

An die Armen und Benachteiligten wird zumeist zuletzt oder überhaupt nicht gedacht. Wenn selbst die Grundprämissen der Marktwirtschaft vergessen werden! Überall aber erklingt der Ruf nach Privatisierung. Der Blick der Regierungen in der Dritten und auch in der „Ersten“ Welt wird durch die enorme Staatsverschuldung getrübt. Jeder privatisierte Sektor, um den man sich scheinbar nicht mehr kümmern muß, wird als echte Entlastung erlebt. Durch das gegenwärtige verhandelte internationale GATS-Abkommen können schon in wenigen Jahren die Voraussetzungen für eine fast irreversible Privatisierung aller wichtigen Bereiche der allgemeinen Daseinsvorsorge gelegt sein. Die ohnehin oft willigen Regierungen werden durch massive Lobbys systematisch „bearbeitet“. Die leistungsstarken Industrieländer fordern außerdem aus Eigeninteresse Liberalisierungen, weil sie Vorteile für „ihren“ Dienstleistungssektor erhoffen.

Bei solchen ideologischen Machtkämpfen aller Art bleibt die Frage auf der Strecke, wie am Ende ganz konkrete Dienstleistungen für ganz konkrete Menschen aussehen werden bzw. sollen. Ich bin durchaus der Meinung, daß auch marktwirtschafts-basierter Wettbewerb über ein (verständliches) Interesse am Konsumenten zukünftig zu einer ganz direkten, selbstlosen Orientierung an den Bedürfnissen des anderen Menschen führen kann (nicht muß) - wenn regionale, kleine Unternehmen miteinander „konkurrieren“. Was zur Zeit jedoch vorangetrieben wird, ist ein „international vorgeschriebener“ Kapitalismus, der unseren Planeten zur Arena der Global Players macht. Bald wird ein kommunales Gemeinwesen irgendwo auf der Welt nicht einmal mehr das Recht haben, sich gegen deren Eindringen zu wehren. Wenn kommunale Aufträge nicht international ausgeschrieben werden, werden Klagen möglich sein. Soziale oder ökologische Auflagen werden als „Diskriminierung von Marktteilnehmern“ zurückgewiesen werden können.

Dreigliederung als Aufgabe

Die Dreigliederungsidee der Anthroposophie kann einen zu der Einsicht führen, daß nur die strikte Trennung von Politik und Rechtssphäre einerseits und Wirtschaftsleben andererseits heilsam ist. Zunächst wäre zu erkennen, daß der Bereich, in dem es um Fragen der Menschlichkeit und damit um „Recht“ geht, ganz gleichberechtigt neben dem Wirtschaftsleben stehen muß. Damit hat der reine Markt auf allen Gebieten der Daseinsvorsorge nichts zu suchen. Wo reicht es, die marktwirtschaftliche Diskriminierung entsprechend dem Einkommen durch ergänzende Regelungen auszugleichen? Welche Leistungen gehören funktionell gar nicht ins Wirtschaftsleben, sondern sind gemeinschaftliche Aufgaben, die allen gleichermaßen zur Verfügung stehen müssen?

Die Vermischung von Wirtschafts- und Rechts­sphäre ist ein ganz wesentlicher Grund für den vereinfacht „der Marktwirtschaft“ zugeschriebenen Egoismus und für die allgegenwärtige Korruption, die nichts anderes als die Steigerung des heute „normalen“ Egoismus ist. Diese Zusammenhänge werden im allgemeinen deutlich geahnt, doch die konsequente Alternative ergibt sich erst mit der Idee der Dreigliederung. Das Versäumnis, diese zu ergreifen, liegt nicht unbedingt bei der Politik. Selbst unter den Menschen, die mit der Anthroposophie in Berührung gekommen sind, messen nur die wenigsten der Dreigliederungs­idee im Sozialen eine solche Bedeutung zu, daß sie sich selbst vertieft mit ihr beschäftigen oder sich sogar für sie einsetzen. Für Rudolf Steiner war diese Idee eine absolut zentrale, weil von ihr die künftige Entwicklung der menschlichen Gesellschaft abhängt. Insofern ist allen Anthroposophen hier eine schwerwiegende Verantwortung auferlegt.

Heute sucht eine große Bewegung von Menschen, die die gegenwärtige, ideologisch-neoliberale Form der Globalisierung kritisieren (weil sie nicht mit einer entsprechenden Globalisierung sozialer - und ökologischer - Mindestnormen einhergeht, die die ganze Menschheit betreffen) nach sachgemäßen - und das heißt menschengemäßen - Alternativen. Diese Bewegung kann nur in dem Maße Erfolg haben, wie es ihr gelingt, reale soziale Gesetzmäßigkeiten aufzudecken und wirklich konsistente Ideen zu entwickeln. Nur so ist es denkbar, daß allmählich immer mehr Menschen sich von diesen Fragen berührt fühlen. Auch Anthroposophen haben keine Patentrezepte, schon gar nicht im Detail. Sie stehen vor der Aufgabe, sich mit anderen Menschen zu verbinden, die sich von dem gleichen Motiv und Ziel leiten lassen: eine menschliche Welt - im umfassenden Sinne des Wortes.

Sobald man sich dafür praktisch - also im Handeln und nicht nur im Denken - einsetzt, wird es politisch. Das liegt aber nur daran, daß die Politik heute das ganze Leben durchdringt. Viele Anthroposophen glauben, Anthroposophie und Politik hätten nichts miteinander zu tun, weil Steiner formuliert hat, daß die Anthroposophische Gesellschaft die Politik als nicht in ihren Aufgaben liegend betrachtet. Insofern ist dies richtig, denn natürlich würde die Anthroposophische Gesellschaft sofort Elemente einer Partei annehmen, wenn sie sich politisch engagierte. Dies kann sie gar nicht, weil es ihre Aufgabe ist, gleichsam nach innen hin die Anthroposophie zu pflegen und den Raum zu schaffen, daß jeder Mensch sie individuell ergreifen kann. Die Gesellschaft ist aber nicht identisch mit den Menschen. Sie ist sowohl mehr, als auch weniger. Was sie als Ganzes niemals tun könnte, könnte gerade die Aufgabe jedes einzelnen sein! Wenn Anthroposophen politisch aktiv werden, tun sie dies nicht als „Abgeordnete“ oder Delegierte der Gesellschaft!

Was der Einzelne als richtig erkannt hat, dafür kann er sich individuell einsetzen. Aus der Anthroposophie heraus kann hier niemals eine äußere Verpflichtung kommen, sehr wohl aber eine innere. Was der Einzelne tut, geschieht immer auf eigene Verantwortung. Dennoch kann er sich im Geiste mit anderen Menschen verbunden fühlen, weil er sich in den Dienst der gleichen Sache stellt. Im Extrem könnten alle Anthroposophen für die soziale Dreigliederung politisch aktiv werden, ohne daß dies mit der Anthroposophischen Gesellschaft irgendetwas zu tun hätte! Man darf nur nicht erwarten, daß Außenstehende dies begreifen, wenn selbst uns diese Unterscheidung oft noch nicht klar ist. Anthroposophie und Politik haben tatsächlich nichts miteinander zu tun. Anthroposophie verwandelt den Menschen, und insofern er von ihr verwandelt ist, handelt er uneigennützig und frei aus moralischen Intuitionen. Er wird dort handeln, wo gehandelt werden muß. Und so kann es sein, daß er auch der politischen Ebene nicht fern bleibt und sich hier insbesondere für Strukturen einsetzt, die der Dreigliederungsidee oder seinen sonstigen Intuitionen entsprechen.

Erkennen und Handeln

Anthroposophie ist ein Erkenntnisweg, der den Menschen mit der Welt verbindet. Wenn das Ziel ein Handeln aus Erkenntnis ist, muß der Schwerpunkt zunächst naturgemäß auf der Erkenntnis liegen. Wenn eine Erkenntnis für die (über mich hinausgehende) Welt eine Bedeutung haben soll, muß sie Früchte bringen. Die Erkenntnisseite macht nur den ersten Teil der „Philosophie der Freiheit“ aus! Die Beschäftigung mit Steiners Vorträgen zum Beispiel ist nicht an sich schon „esoterisch“ und „wichtig für die Welt“, sondern nur insofern man sich durch diese Tätigkeit verwandelt und anders in der Welt steht. Hier setzt die strenge Selbstprüfung an! Man könnte versucht sein zu sagen, Steiner hätte doch auch jahrzehntelang nur Erkenntnisse gebracht. Das hat er, aber selbst wenn man nur diese erste Phase anschaut, waren die zahllosen Vorträge und Schriften bereits großartige Taten, die seine Erkenntnisse (die ebenfalls Taten waren) in die Welt brachten und ihr zur Verfügung stellten.

Das „Studium“ der Anthroposophie bereichert zunächst den Anthroposophen. Weil ich mich bereichert erlebe, kann ich die Illusion haben, daß meine Tätigkeit an sich schon wertvoll für die Welt ist. Doch während ich mich im Bewußtsein und Denken bereichert erlebe, wird die Welt erst durch mein Handeln bereichert. Das Nachdenken hat spiegelnden Charakter ohne Seinsgehalt, dadurch ermöglicht es ja gerade Freiheit. Die Welt fragt nun: Inwieweit verwandelt sich das Aufgenommene in einen Willen und in Taten, die ohne das Vorausgegangene nicht dagewesen wären? Wie sehr Steiner mit seiner ganzen Sprache zum eigenen Handeln befeuerte, das kann in seinen Vorträgen gerade der letzten Jahre wirklich bewegend erlebt werden. Aus einem einzigen entscheidenden Grund liegt der Schwerpunkt von Steiners Anthroposophie auf der Erkenntnis: Erkenntnisse kann jeder in Freiheit individuell zu seinen eigenen machen, frei Handeln muß jeder von Grund auf selbst.