Startseite  >  Aufsätze und mehr  >  2002-04-30_Utopien

Eine andere Welt ist möglich: Utopien

"Eine andere Welt ist möglich" - so das wunderbare Motto von ATTAC. Die folgende Ausarbeitung zeigt ausführlich, wie scheinbare Utopien real werden können, wenn die eingefahrenen Denkgewohnheiten verwandelt und überwunden werden.


1. Teil: Grundlegung
Einführung
Das Unsoziale
Das Soziale und die Dreiheit Wirtschaftsleben-Geistesleben-Rechtsleben
Einige Bemerkungen zum Sozialismus
Die Idee der Dreigliederung
Geistesleben - Rechtsleben – Wirtschaftsleben
Noch einmal: Das Soziale 

2. Teil: Ein gewandeltes Bewußtsein verändert die Begriffe
Egoismus und Freiheit
Assoziationen als Selbstverwaltungsorgan des Wirtschaftslebens
Arbeit und Eigentum
Soziale Sicherung
Der Preis von Dingen
Die Unverkäuflichkeit von Grund und Boden
Geld ist keine Ware 

Literatur und Tips

1. Teil: Grundlegung

Eine Utopie ist etwas, was (noch) „keinen Ort“ hat – so die Übersetzung des griechischen ou topos. Im engeren Sinne ist eine Utopie ein idealistischer Gesellschaftsentwurf. – Der Ort, an dem eine Utopie bzw. eine Idee zunächst Realität annehmen kann, ist das menschliche Bewußtsein.

Eine Utopie rechnet mit dem „Besten im Menschen“ bzw. fordert es zumindest heraus. Realisierbar ist eine Utopie, wenn sie wirklich menschengemäß ist. Aber auch dann steht am Anfang immer eine Mehrheit, die die entsprechende Entwicklung zum Neuen hin ablehnt – sonst wäre es keine Utopie. Utopien scheitern daran, daß die meisten sie zunächst nicht wirklich verstehen oder zumindest nicht aktiv wollen und daß die wenigen, die sie wirklich vertreten, nicht standhaft oder fähig genug sind.

Es ist leicht, sich im Besitz der Weltformel zu meinen und dann im sicheren Gefühl, man durchschaue die Dinge besser als „die anderen“, bei jedem Widerstand gleich vom „bösen Rest der Welt“ zu sprechen. Eine Utopie ist aber noch nie Realität geworden, indem man auf die „Gegner“ schimpfte. Sie kann es nur werden, wenn man lernt, wirkliche und vermeintliche Gegner zu scheiden. Und wenn man möglichst zum Kern durchdringt: Eine andere Welt ist möglich.

Der Kampf um Utopien ist zuletzt immer ein Kampf von Weltanschauungen. Er kann nur gewonnen werden, wenn man dies ganz klar macht und die Menschen vor wirklichen Entscheidungen stehen, deren Auswirkungen sie sehen können. Die besten Argumente und Beweise bleiben rational und können in der Regel nicht gewinnen. Das Moment der Trägheit spricht stets machtvoll für das Alte. - Beweise, daß das Alte falsch ist, sind wichtig, aber der Kampf entscheidet sich erst, wenn die Menschen wirklich einen Standpunkt gegenüber den hinter dem Alten und dem Neuen stehenden Weltanschauungen einnehmen müssen. Von Antoine de Saint-Exupéry stammt das Wort:

Wenn du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht Leute zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern wecke in ihnen die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.

Natürlich ist es für alle Gegner einer Utopie ein schlagkräftiges (nämlich ein Totschlag-)Argument, deren Anhänger seien hoffnungslos idealistische Weltverbesserer. Dahinter steht die Behauptung, daß die Utopie nicht dem realen Menschen entspricht und bestenfalls im Chaos, vielleicht sogar in Diktatur usw. enden würde. Die hinter der Utopie stehende Idee - oder sogar jeglicher Idealismus - wird gleichgesetzt mit Illusion.

Daß dieses Argument bereits so schlagkräftig ist, liegt daran, daß jene Weltanschauung direkt oder indirekt absolut vorherrscht, die den Menschen als rein biologisches Wesen ansieht. Dann wäre natürlich jede Idee eine Illusion, weil ihr keine Wirklichkeit zukommt. Zumindest aber wäre dasjenige illusionär, mit dem jede Utopie rechnen muß. Womit rechnet nochmal eine Utopie? Mit dem Besten im Menschen. Eine Utopie kann per Definition nie in dem Sinne „realistisch“ sein, daß sie sich mit der Realität zufrieden gibt. Sie rechnet vielmehr mit Realitäten, die ihre Gegner entweder nicht erkennen oder bekämpfen.

Utopien behaupten, daß Gerechtigkeit und andere Ideale, die der Mensch zunächst als Ideen erleben kann, volle Wirklichkeit werden können. Die einzige Bedingung dafür, ob in dieser Hinsicht etwas Wirklichkeit wird, ist, daß Menschen es wollen und tun. Die angedeuteten Ideale müssten also Teil des menschlichen Wesens sein oder werden können. Daß dies so ist, kann man nicht beweisen oder widerlegen, man kann es nur erleben oder eben nicht.

Jede Utopie und auch jede herrschende Weltanschauung in der Auseinandersetzung mit einer Utopie stößt sehr bald auf die Frage nach dem Menschenbild. Viele Utopien scheiterten, weil sie ihre Ideale absolut setzten und die Kehrseite nicht sahen. Die Gegner einer Utopien verfallen in das andere Extrem. Sie setzen das dem Ideal Widersprechende absolut und sehen in jedem Scheitern schon den Beweis für die völlige Unmöglichkeit einer Realisierung.

Wenn Utopien das Ideale im Menschen betonen, sagen sie damit zunächst nicht mehr, als daß der Mensch Ideale haben und natürlich auch danach handeln kann. Beides sollte eigentlich unzweifelhaft sein. Nennen wir diese Seite des Menschen die Möglichkeit zur Selbstlosigkeit. Das Wort selbstlos sollte dabei in seinem ganz und gar positiven Klang gehört werden, was nur möglich ist, wenn man weiß, daß hinter der wirklich gewollten Selbstlosigkeit ein um so stärkeres Ich stehen muß.

Der Hang zur Selbstbezogenheit ist uns natürlich zunächst viel bewußter. Und dies auch mit Recht. Zum einen ist auch viel scheinbar „Selbstloses“ in Wirklichkeit egoistisch. Zum anderen ist es notwendig, daß der Mensch sich ganz selbst ergreifen lernt. Dieser Prozeß geht naturgemäß einher mit einer selbstbezogenen Phase, in der der Egoismus entsprechend ausgeprägt ist. Aber nur durch die Selbstbezogenheit hindurch kann man schließlich an den Punkt kommen, wo man die Möglichkeit hat, wirklich ganz selbst zu handeln, d.h. die Motive seines Handelns vollkommen selbst zu bestimmen. – Um selbstlos handeln zu können, muß ich erst ein Selbst sein. Erst wenn ich mein Selbst (als Ich, nicht als Ego) voll ausgebildet und ergriffen habe, kann ich mich in jedem Moment entscheiden, ob ich egoistisch oder auf meine Umwelt bezogen („selbstlos“) handeln will. Und erst wenn ich frei, d.h. egoistisch oder selbstlos handeln kann, kann ich wirklich selbst handeln.
 
Das Ziel einer Utopie kann nicht sein, den Menschen auf Selbstlosigkeit zu konditionieren. Es kann nur sein, den Menschen zu der angedeuteten Freiheit der Entscheidung zu befähigen. Selbstlosigkeit ist eine zutiefst menschliche Fähigkeit (zunächst nur unentwickelt). Es ist erstaunlich, wie alles, was irgendwie mit der eigentlichen Bedeutung von „menschlich“ und „Menschlichkeit“ in Verbindung gebracht werden kann, auf die Fähigkeit zur Selbstlosigkeit bzw. zur Gerichtetheit auf den Mitmenschen und die Mitwelt hinweist. Nichts aber kann wahrhaft menschlich genannt werden, was die Idee der Freiheit nicht beinhaltet. Eben darum ist erzwungene „Menschlichkeit“ nicht wirklich menschlich. Aus dem gleichen Grund übrigens müssen Utopien scheitern, die die Menschheit zu ihrem „Heil“ zwingen wollen. 

So wie wahre Selbstlosigkeit ohne Freiheit undenkbar ist, so ist Egoismus in Wirklichkeit verbunden mit Unfreiheit. Der egoistische Mensch ist gerade unfrei, weil er von seinen eigenen Begierden, Gewohnheiten usw. bestimmt wird. Der Egoismus als einzig möglicher (Normal-)Zustand des Menschen kann im Sinne des Istzustandes zwar „menschlich“ genannt werden, im Sinne der Entwicklungsfähigkeit jedes Menschen und der Menschheit ist er in doppelter Hinsicht unmenschlich – weil er gegen den Mitmenschen wirkt und weil er den Menschen selbst unfrei hält.

Die Idee der Freiheit ist unzertrennlich mit der Idee der Entwicklung verbunden. Selbst im „Zustand“ der Freiheit muß der Mensch sich in jedem Moment wieder neu gegen die Unfreiheit entscheiden, um wirklich selbstbestimmt zu handeln. Heute aber ist der Mensch – wenn überhaupt – erst dabei, sich zur Freiheit zu entwickeln. Der Mensch wird erst menschlich. Der Mensch selbst ist überhaupt noch nicht.

Das Unsoziale

Zur Klärung des eigentlichen Begriffs des Sozialen kann man ganz konkret an der täglich erlebten Erfahrung des Gegenteils ansetzen. Beim Unsozialen kann man „anti-sozial“ und „a-sozial“ unterscheiden.

Antisozial – ganz objektiv und ohne moralische Färbung gemeint – muß der Mensch in allem Konsum sein. Was immer man vom Ganzen verbraucht, geht auf Kosten dessen, was für andere zur Verfügung steht. Moral beginnt erst mit der Frage, wieviel ich wirklich brauche, dann aber vor allem mit der Frage: was mein mit Antisozialität ermöglichtes Leben nun für die Mitmenschen bedeuten kann. Der Mensch muß nur insofern antisozial sein, als er auch ein biologisches Wesen ist. Die Wirtschaft aber könnte genausogut so eingerichtet werden, daß unsere Erde alle ernährt. Hemmungsloser Egoismus und Raubbau an der Natur haben nichts mit „Kampf ums Dasein“ zu tun, sondern mit psychologischen Begierden. Nicht das biologische, sondern das Begierdewesen des Menschen führt zu Unterdrückung und Ausbeutung. Die notwendige Antisozialität wird zum Egoismus.

Die herrschende ökonomische Theorie setzt den menschlichen Egoismus absolut und behandelt ihn darüber hinaus völlig abstrakt. Das Modell des Kampfes aller einzelnen nach optimaler Bedürfnisbefriedigung ist reine Ideologie, eben weil es eine Teilwahrheit absolut setzt. Daß eine „unsichtbare Hand“ (Adam Smith) den Massen­egoismus ins Wohl des Ganzen verwandelt, kann heute nur noch als Aberglaube gelten, da die Folgen des Egoismus trotz massiver Eingriffe („soziale“ Marktwirtschaft) unübersehbar sind. Natürlich ist der Massenegoismus enorm produktiv und führt in der arbeitsteiligen Wirtschaft zu ziemlichem Wohlstand (fast) aller, solange es keine Arbeitslosen gibt... Aber nicht nur das bleibt unberücksichtigt. Das abstrakte Modell eines „atomistischen Marktes“ blendet das Phänomen der Macht völlig aus, d.h. die Tatsache, daß es Macht(unterschiede) gibt und daß Egoismus deren kontinuierliche Zunahme mit sich bringt und zu stetiger Konzentration in jeder Hinsicht führt. Man schätzt, daß 80% der Produktion in den Händen von 300-400 Konzernen liegen. Was in ihrem Interesse liegt, setzt sich fast wie selbstverständlich durch. Das Wohl aller wird mit dem Wohl „der Wirtschaft“ und dieses mit dem der großen Konzerne gleichgesetzt (zumal wenn diese mit Verlagerung ihres Standorts drohen).

Asozial soll zunächst bedeuten: ohne Kontakt mit der menschlichen Umwelt. Wie der Mensch antisozial sein muß, um physisch existieren zu können, muß er als geistiges Wesen asozial sein. Der nach Erkenntnis strebende Mensch geht auf einsamen Wegen dem noch Unbekannten nach. Jede Fähigkeit, vom Lesen, Schreiben, Rechnen angefangen, muß man sich zunächst an-eignen und ist dabei voll mit sich beschäftigt. Auch bei der Ausübung vieler Fähigkeiten müssen wir ungestört sein. Der Mensch muß sich als seelisch-geistiges Wesen immer wieder a-sozial auf sich selbst zurückziehen. – Auch hier beginnt der moralische Aspekt erst mit der Frage, wie ich mit diesem Bedürfnis und seinen Früchten umgehe.

Der wirkliche Egoismus äußerst sich im antisozialen wirtschaftlichen Bereich im gierigen „Raffen“, im Geistesleben ist es genau umgekehrt: Egoistisch ist hier das Austeilen: Seine Ansicht durchsetzen, Recht haben und überzeugen wollen, missionieren. All das läßt sich bezeichnen als - Intoleranz gegenüber Andersdenkenden. Der Mensch hat ein ständiges Bedürfnis nach Selbstbestätigung. Die „biologische Selbstbestätigung“ als Folge des (antisozialen) Konsums äußert sich unmittelbar wahrnehmbar in der fortdauernden physischen Existenz - gesteigert, indem man sich mit materiellen Gütern umgibt und Mitmenschen von sich abhängig macht. Im Geistesleben ist jede Tätigkeit zugleich eine Selbstbestätigung des eigenen seelisch-geistigen Wesens. Diese ist natürlich viel feiner als die Wahrnehmung des eigenen Körpers und braucht um so mehr äußere Bestätigung. Das Selbstgefühl kann im Kern erschüttert sein, wenn andere andere Wahrheiten besitzen. Je schwächer das eigene Seelenleben, desto mehr strebt man nach Anerkennung und danach, daß einem seine Wahrheit auch aus allen Mitmenschen entgegenkommt (diese sollten möglichst im Denken und Urteilen die Klone des eigenen Ich sein). Wie der Mensch als biologisches Wesen stets anderen etwas wegnimmt, hat er im Seelischen die Tendenz, sich über alles auszubreiten.

Das Soziale und die Dreiheit Wirtschaftsleben-Geistesleben-Rechtsleben

Strafgesetze und Grundrechte sollen den Einzelnen und den Staat vor egoistischen, unsozialen Trieben schützen. Sie sollen etwa vor anti-sozialer Ausbeutung im Wirtschaftsleben schützen oder Religions- und Meinungsfreiheit im Geistesleben garantieren. Dabei übersieht man leicht, daß das Rechtsleben eine ureigene Sphäre mitten zwischen den beiden anderen ist. Im Wirtschafts- bzw. Geistesleben muß der Mensch anti- bzw. asozial (im o.g. Sinne) sein. Er kann aber das darin liegende Unsoziale als ein solches erleben – und die Möglichkeit des Sozialen in sich als das wirklich Menschliche. Es ist eine Tatsache, daß der Mensch bei aller Raffsucht und Rechthaberei sich doch auch - ab und zu, mehr oder weniger, bewußt oder unbewußt – als Hüter seines Bruders fühlt. Ihm ist also als drittes auch der Trieb eigen, zu fragen, was ihm im Verhältnis zu seinen Mitmenschen gebührt – dies ist die Rechtsfrage. Der soziale Trieb des Menschen begründet die Rechtssphäre, wo es ganz direkt um das zwischenmenschliche Verhältnis geht. Hier liegt der Ursprung zu allem Sozialen, das in die beiden anderen Gebiete einfließen soll.

Die Rechtssphäre wird deshalb so wenig als eigene erkannt, weil sie die urmenschliche Sphäre ist (man beachte, wie fein und genau das menschliche Rechtsempfinden ist!). Zum einen wird sie so gar nicht als „etwas besonderes“ bemerkt; zum anderen ist der Mensch hier völlig frei, d.h. die Rechtssphäre ist überhaupt nur da, insofern der Mensch es will, also das Zwischenmenschliche ihm zur Frage wird. In der biologischen Selbsterhaltung und im Geistesstreben ist der Mensch zwangsläufig un-sozial und sonst unfrei (den Inhalt einer Wahrheit etc. kann er nicht selbst bestimmen); seinem sozialen Trieb kann und muß der Mensch aus freiem Entschluß folgen, und auch sein soziales Handeln kann und muß er vollkommen selbst gestalten.

Aus dieser mittleren Sphäre heraus kann der Mensch seine anti- und asozialen Triebe zunächst einmal erkennen - und auch andere Menschen als solche. Für den unsozialen, selbstbezogen raffenden und zu geistiger Entfaltung drängenden Menschen sind die anderen Menschen nur Objekte der Ausbeutung und Missionierung. Erst das soziale Rechtsgefühl ermöglicht es, sich nicht als absolut zu setzen.

Im Wirtschaftsleben sagt mir mein Rechtsgefühl, daß ich alles Konsumierte anderen Menschen verdanke und ebenfalls produzieren soll, was sie benötigen. Im Geistesleben erkenne ich, daß alle Selbstentwicklung nur möglich war, weil andere Menschen (schon seit Beginn der Menschheits- und Kulturgeschichte) mir den Weg ebneten und in den richtigen Augenblicken Hilfestellung gaben. Ich kann wiederum jenen Menschen helfen, die das Schicksal mir über den Weg führt. Die sozialen Gesten sind eine Umkehrung der unsozialen: Der soziale Mensch gibt im Wirtschaftsleben, was andere benötigen; im Geistesleben nimmt er die Seelennot der Mitmenschen auf, um ihnen dann helfen zu können.

Was ich anderen Menschen verdanke und „schulde“, kann ich nur in meinem Inneren erkennen; das Recht als solches kommt immer aus dem Rechtsgefühl des Menschen selbst (in diesem vollen Umfang verstanden, fällt es mit dem Sozialen zusammen). Auch das „Prinzip“ der Gleichheit aller Menschen als Basis des Rechts entstammt dem innersten, ganz konkreten Erleben - dem u.a. aller individueller „Besitz“ äußerlich wird, zumal er anderen zu verdanken ist. Dieses soziale Urerlebnis begründet zugleich meine eigene Freiheit gegenüber meinen unsozialen Trieben. Wo ich nichts als Eigenes beanspruchen kann, muß ich auch nicht mehr der Raffsucht folgen, nicht meine Ansichten verteidigen, nicht mich geltend machen. Nun erst kann ich wirklich frei entweder weiter unsozial oder aber sozial handeln.

Sozial heißt im Kern: Die Not des Mitmenschen zum Motiv des eigenen Handelns machen.

Einige Bemerkungen zum Sozialismus

Der Sozialismus strebt eine gerechte, menschliche Gesellschaftsordnung an. Der Marxismus sieht richtig, daß die bestehende Ordnung Ungerechtigkeit und Ausbeutung mit sich bringt. Die Alternative bzw. die eigentliche Utopie ist jedoch nicht klar bzw. fragwürdig. Geht es um die Herrschaft der Arbeiter? Oder um die Verstaatlichung der Wirtschaft? Wer trifft dann die Entscheidungen? Wer übernimmt Verantwortung und Initiative?

Ist nach Beseitigung „des Kapitalisten“ plötzlich jeder ein verantwortungsvoller Mitunternehmer? Wenn die Arbeiter die Dinge selbst in die Hand nehmen könnten, warum tun sie das nicht schon jetzt, indem sie ihre eigenen Firmen gründen? Oder soll „der Staat“ die Dinge in die Hand nehmen? Der Staat als abstraktes Gebilde ist kein guter Planer. Den Bedürfnissen kann im Grunde nur entsprochen werden, wenn die Menschen, die im Wirtschaftsleben selbst stehen, sie wahrnehmen und erfüllen - dies muß das Ideal sein.

Solange der Marxismus diese Einwände zulassen muß und auf sie keine befriedigenden Antworten geben kann, muß er als eine Ideologie gelten. Das reale Ausmaß des Unsozialen im Bestehenden wird sehr deutlich und detailliert gesehen, doch die Alternative oder die Schlußfolgerung ist abstrakt und knüpft nicht an das real Menschliche an.

Man kann Gerechtigkeit weder oktroyieren noch gewaltsam durchsetzen. Der Marxismus will das Soziale im Handumdrehen zur Realität werden lassen. Dies ist aber unmöglich, und deswegen ist jeder Sozial-ismus eine Unmöglichkeit - eine Ideologie, die nur das Gegenteil von dem erreichen kann, was sie will. Der Sozialismus will mit Recht die Ungerechtigkeiten beseitigen. Was er aber an deren Stelle setzen will, ist nichts Reales. Die abstrakten Lösungen sind in Wirklichkeit eine Art Vakuum, in das neue Ungerechtigkeiten einströmen.

Die Idee der Dreigliederung

Die Ungerechtigkeiten des gegenwärtigen Gesellschaftssystems werden am deutlichsten im Materiellen, d.h. im Wirtschaftsleben: Arm und Reich, Lohnabhängigkeit, Ausbeutung etc. – Das Unsoziale des bestehenden Systems merken wir hier unmittelbar, da es sich bis ins Physische auswirkt - es betrifft eben alles bis hin zu den materiellen Umständen, in denen jeder individuell leben muß.

Die Wirtschaftssphäre ist aber nur ein Bereich des gesamten menschlichen Lebens. Ein anderer ist das Geistesleben. Hier zeigt sich das Unsoziale z.B. darin, daß einzelne Meinungen, Weltanschauungen etc. gegenüber anderen machtvoll begünstigt sind: Die Medien sind nicht unabhängig. Freie Schulen werden gegenüber Staatsschulen deutlich benachteiligt (und gelten gerade darum als „Schulen für Reiche“, weil sie ohne Schulgeld gar nicht bestehen könnten). Die beiden großen Kirchen werden massiv staatlich unterstützt. Die Unterdrückung der freien Meinungsäußerung wird gerade nach dem 11. September stärker als je zuvor betrieben.

Der dritte Bereich, der zum menschlichen Leben gehört, ist die Rechtssphäre. Sie ist der Bereich, wo im Grunde alle Ungerechtigkeiten immer wieder neu ihre Lösungen finden müssen. Das menschliche Rechtsempfinden ist der Garant dafür, daß das Soziale überhaupt die Aussicht hat, Realität zu werden – eben insofern es von Menschen gewollt wird.

Es ist von größter Bedeutung, das Rechtsempfinden und Rechtsbewußtsein zu pflegen und zu entwickeln. Wir sind hier größtenteils alle noch Anfänger. Um ein wirkliches Bewußtsein in dieser Hinsicht zu entwickeln, muß man eben auch in der Fähigkeit zur Selbstlosigkeit weiterkommen. Die eigentliche soziale bzw. Rechtsfrage ist eben: Was gebührt meinem Mitmenschen? Um diese Frage wirklich beantworten zu können, darf ich im Grunde nicht mehr im Egoismus befangen sein. Diese Gedanken weisen aber auch schon darauf hin, daß es nicht ausreicht zu sagen: Für eine bessere Welt machen wir einfach gerechtere Gesetze. Solange das Rechtsempfinden mehrheitlich unter- oder unentwickelt ist, werden kaum bessere Gesetze verabschiedet werden. Aber die Gesetze sind gar nicht der entscheidende Punkt, sondern dieser ist ein viel grundsätzlicherer.

Wenn man sich klarmacht, wo die Ungerechtigkeiten im Wirtschafts- und Geistes- und Rechtsleben jeweils ihre Ursachen haben, kann man immer wieder auf eine Tatsache stoßen. – Die neoliberale Ideologie bringt massive Ungerechtigkeiten im Wirtschaftsleben hervor. Die großen Konzerne und Lobby-Verbände beeinflussen die rechtlichen Rahmenbedingungen und die öffentliche Meinung. Der Staat begünstigt seine Schulen und die „Staatskirchen“ und erläßt jede Menge Gesetze, die die Wirtschaft und das Geistesleben betreffen. Die „öffentliche Meinung“ in Gestalt der großen Medien kann Unternehmen, Politiker, Weltanschauungen etc. in den Ruin stürzen. Aus all diesen Verhältnissen entstehen immer wieder grandiose Ungerechtigkeiten, diese Konstellationen geben dem Unsozialen den Boden, auf dem es gedeihen kann.

Was heißt das? Gemeinsam ist allem Angedeuteten die Tatsache, daß ein Bereich in einen anderen hineinwirkt. In allen erwähnten Konstellationen wird jeweils das Wirtschafts-, Geistes- oder Rechtsleben von einem der anderen beiden Bereiche bestimmt, der ihm seine Gesetze aufzwingt. Erklärt sei dies am ersten Beispiel: Das Wirtschaftsleben ist heute nicht frei (obwohl alle von freier Marktwirtschaft sprechen), sondern steht völlig unter der Herrschaft der neoliberalen Ideologie - die eine (wenn auch schändliche) Frucht des Geisteslebens ist.

Die Idee der Dreigliederung besagt im Kern, daß sich das menschliche Leben (insofern es gesellschaftlich ist) in drei Bereichen vollzieht, deren Vermischung stets von Unheil ist. Die Grundbedingung dafür, daß sich das gesellschaftliche Leben immer wieder in Richtung auf das Soziale entwickeln kann, ist ein freies Wirtschafts-, Rechts- und Geistesleben. Dabei meint Geistesleben alles, was mit dem Wirken individueller Fähigkeiten zu tun hat. Es zeigt sich als Funktionssystem z.B. überall da, wo Dinge bedacht und geplant werden, reicht also natürlich auch in den Bereich der Produktion und in das Rechtsleben. Das Rechtsleben selbst meint alles, was mit den zwischenmenschlichen Vereinbarungen zu tun hat. Das Wirtschaftsleben bezieht sich auf die konkreten Arbeitsleistungen und ihren Nutzen, bzw. die ihnen entsprechenden Bedürfnisse.

Die geforderte Freiheit dieser drei sich durchdringenden Glieder oder Funktionssysteme bedeutet also nicht, daß sie unabhängig voneinander sind, sondern nur, daß z.B. Wirtschaftsfragen nicht vom Geistesleben entschieden werden dürfen und umgekehrt. Zur Verdeutlichung kann man vielleicht sagen, daß auch im Körper das Nerven-Sinnes-, das Atem-Kreislauf- und das Stoffwechselsystem unabhängig voneinander sein müssen (es darf z.B. nicht sein, daß man auf einmal seine Nerven verdaut oder seinen Stoffwechsel wahrnimmt). Und dennoch sind auch die jeweils anderen Systeme mit dem Stoffwechsel verbunden, von Nerven durchzogen und mit Blut versorgt. Ebenso gibt es auch im Wirtschafts- und Geistesleben Rechtsfragen und spielt jeder Bereich in die beiden anderen hinein. Entscheidend ist, daß man ein Bewußtsein dafür bekommt, in welchem Bereich man sich gerade wirklich bewegt.

Die Rechtsfrage ist: Was gebührt meinem Nächsten? – im Rechtsbereich bewegt man sich immer dann (auch mitten im Wirtschafts- und Geistesleben), wenn es um die Frage nach dem direkten menschlichen Miteinander geht. Diese Fragen müssen darum direkt menschlich entschieden werden, ohne daß z.B. wirtschaftliche Aspekte eine Rolle spielen dürfen. Der Rechtsbereich wäre der eigentliche Aufgabenbereich des Staates bzw. der Politik. Aber eben einer Politik, die nur diese Aufgabe hat und sich weder von den beiden anderen Bereichen vereinnahmen läßt, noch in deren eigentlichen Felder hineinzuwirken versucht. Heute hat die staatliche Sphäre deshalb fast jede Akzeptanz verloren, weil sie in dieser doppelten Weise korrumpiert ist. – Rechtsfragen müssen von allen Beteiligten gemeinsam entschieden werden. Dies ist darum der Aufgabenbereich einer sich selbst wirklich verstehenden repräsentativen Demokratie, die im Grunde kein Parteienstaat mehr sein kann.

Geistesleben - Rechtsleben - Wirtschaftsleben

Im Rechtsbereich geht es um die Fragen, die das direkte Verhältnis der Menschen zu einander betreffen. Hier gilt das Prinzip der Gleichheit: „Jeder Mensch ist vor dem Gesetz gleich“. Das ist kein abstrakter Grundsatz, sondern kann wirklich erlebt werden: Der andere ist genau wie ich ein Mensch (mit einer unverletzlichen Würde usw.). Sobald man sich vom Zwang des Egoismus befreien kann, ist sogar die Verwirklichung der Utopie denkbar: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.

Im Geistesleben haben wir z.B. die Grundrechte auf freie Meinungsäußerung, Religionsausübung, Berufswahl usw. - hier gilt tatsächlich das Prinzip der Freiheit. „Die Gedanken sind frei“, denn es sind zunächst meine eigenen, die niemand anders etwas angehen. Anders wird es, wenn sie auf andere Menschen Auswirkungen haben, denn dann befinden wir uns plötzlich in der Rechtssphäre. Rassistische Äußerungen etwa betreffen das menschliche Miteinander und mißbrauchen das Recht der freien Meinungsäußerung als Deckmantel. Die Frage nach der Zahl der getöteten Juden in der Nazizeit ist eine Art Grenzfall, hier kommt es auf die Gesinnung des Fragers an. Ist die Frage rassistisch motiviert? Oder wehrt sie sich vielleicht sogar gegen einen möglichen „Faschismus“ des Geisteslebens, der eine abstrakte Zahl (6 Millionen) für alle Zeiten als direkte, absolute Wahrheit hinstellt und jemanden schon als Nazi kategorisiert, der nur wissen will, wie man zu dieser Zahl kommen kann.

Freies Geistesleben bedeutet aber auch, daß kein Teil des Geisteslebens vom Staat bevorzugt subventioniert werden darf. Freiheit bedeutet auch fehlende Absicherung und Konkurrenz. Im Fall der Schulen müßten die Erziehungsberechtigten frei entscheiden können, welche Schulen sie haben wollen. Der Staat könnte etwa Bildungsgutscheine verteilen, die zum Besuch einer beliebigen Schule berechtigen. Er müßte dann alle Schulen entsprechend der real getroffenen Wahl finanzieren (zur Zeit müssen freie Schulen je nach Bundesland um die 10% ihrer realen Kosten selbst decken, während z.B. die deutschen Waldorfschulen sogar günstiger als die Staatsschulen wirtschaften. Wenn der Staat diese voll finanzierte, würde das Schulgeld wegfallen, es könnten sich mehr Eltern für freie Schulen entscheiden, und der Staat würde Geld sparen). – Die staatliche Subvention der zwei großen Kirchen beläuft sich abgesehen von der Kirchensteuer auf jährlich etwa 9 Mrd € (u.a. je über 2 Mrd der Religionsunterricht an Staatsschulen und die Abzugsfähigkeit der Kirchensteuer, 3 Mrd kommunale Subvention kirchlicher Einrichtungen, über 500 Mio für die Priester- und Theologenausbildung, 150 Mio im öffentlichen Rundfunk für kirchliche Sendungen, 65 Mio für Seelsorge in öffentlichen Einrichtungen). Dabei verfügen beide Kirchen über 200 Mrd € an Immobilien- und Grundstücksvermögen und etwa 50 Mrd € an Kapital- und Anlagevermögen.

Im Wirtschaftsleben könnten sich Produzenten und Konsumenten zunehmend nicht mehr als Gegner, sondern als Partner gegenüberstehen. Natürlich hängt dies stark davon ab, daß wirklich alle drei Bereiche frei geworden sind. Ein soziales Wirtschaftsleben kann nur die Frucht eines freien Geisteslebens und eines freien Rechtslebens sein. Schon heute haben die Produzenten ein Interesse daran, das herzustellen, was gewollt und gekauft wird. Das zukünftige Prinzip des Wirtschaftslebens kann aber das wirklicher Brüderlichkeit sein. Durch die moderne Arbeitsteilung ist es im Grunde schon zum Greifen nah, doch durch die von Anfang an die Marktwirtschaft begleitende Ideologie des kollektiven Egoismus, die dann auch die heutigen Strukturen des Kapitalismus verursachte, rückte jenes Prinzip erst einmal in noch weitere Ferne.

Das Soziale zeigt sich also im Geistesleben in der Freiheit jedes Einzelnen, im Rechtsleben in der Gleichheit aller Menschen, im Wirtschaftsleben in der Brüderlichkeit - indem die Menschen nicht nur gezwungenermaßen de facto für ihre Mitmenschen arbeiten, sondern auch aus ihrem eigenen Willen heraus. Man sieht, wie durch die Idee der Dreigliederung die Postulate der Französischen Revolution ihre volle Bedeutung entfalten können.

Noch einmal: Das Soziale

Indem die gesamte Wirklichkeit des menschlichen Lebens in den Blick kommt, wird klar, daß die Grundvoraussetzungen des Wirtschaftslebens nur ein - wenn auch sehr gewichtiger - Aspekt auf dem Weg zu einer „anderen Welt“ sind. Die Grundvoraussetzungen in allen Bereichen lassen sich nur verändern, wenn die Menschen die Notwendigkeit dazu erkennen und die nötige Veränderung wollen. Vom Bewußtsein zum Handeln ist es bekanntlich immer noch ein weiter Weg, aber der Weg führt immer über das Bewußtsein (wie auch die Marxisten wissen). Es hieße, den zweiten Schritt vor dem ersten zu tun, wenn man die Abschaffung von Besitz oder ähnliches fordert, ohne zunächst grundsätzlich nach dem Wesen des Sozialen zu fragen. Wenn man die Verhältnisse umstürzt (dies bedeutet „Revolution“), ohne daß das Bewußtsein der Menschen sich verändert hat, kann es nur zu leidvollstem Chaos kommen. Das Bewußtsein der Menschen ist der einzige Ort, an dem Utopien wirklich beginnen können, Realität zu werden. Auch in diesem Sinne sei also mit St. Exupery gesagt: Wecke in den Menschen die Sehnsucht nach dem weiten Meer. Schildere das Meer so, daß man es in seiner ganzen Großartigkeit begreifen kann, und die Sehnsucht kommt von selbst. - Nur über das Bewußtsein wird heute rechtmäßig der Wille erreicht, nämlich über die freie Entscheidung jedes Einzelnen. Und der freie Wille der Einzelnen kann dann auch in der äußerlich sichtbaren Welt die Utopie real werden lassen. (Werbung und Propaganda versuchen es natürlich anders: Das Meer macht sie jünger! Ein guter Deutscher liebt das Meer!).

Das Bewußtsein ist also gefragt. Was heißt sozial? Die Not des Anderen zum Motiv meines Handelns machen. Bin ich schon soweit? Sehne ich mich danach, dahin zu kommen? Das Soziale im Wirtschaftsleben ist zumindest intellektuell schnell verstanden. Ich muß eben für meinen Mitmenschen arbeiten. Falsch! Ich arbeite bereits für meinen Mitmenschen. Oder ernähre ich als Bäcker mich etwa direkt von „meinen“ Brötchen? Sozial heißt: Ich will für meine Mitmenschen arbeiten. Also nicht für meinen Lohn, sondern für meine Mitmenschen. Will ich das? Oder will ich nur, daß alle sozial zu mir sind? Bin ich für eine gerechtere Welt, weil ich so benachteiligt bin - oder weil ich sehe, daß andere benachteiligt werden, unter anderem von mir? Dieser Wille ist nur möglich, wenn man seinen Nächsten - und auch den Fernsten - wirklich als den Menschenbruder wahrnehmen kann (also die „Brüderlichkeit“ real erlebt).

Das Soziale wird aber nur voll verstanden, wenn man es auch über das Wirtschaftsleben hinaus versteht. Was bedeutet es im Geistesleben? Im Wirtschaftsleben arbeite ich für die Bedürfnisse meines Menschenbruders. Im Geistesleben kann ich ebenso versuchen, den Bedürfnissen meines Nächsten gerecht zu werden. Jeder Mensch hat das Bedürfnis nach Verständnis. Schon das ist heute ein Problem. Überall wird aneinander vorbeigeredet, überall wartet man in einer Diskussion (auch unter Freunden!) nur auf eine Lücke, in der man zu Wort kommt, und überlegt sich, während der andere spricht, seine eigenen Gedankengänge oder Einwände. Sozial wäre: Zuhören, verstehen wollen, was der andere sagt, warum er es sagt, was er überhaupt für ein Mensch ist, welches Ich da wirklich gerade spricht - mit einem Wort: Interesse, und zwar selbstloses, also eigentlich Liebe.

Verstehen ist eine Fähigkeit des Bewußtseins. Verstehen und schon Interesse bedeutet ganz real, dem Anderen einen Platz in meinem Bewußtsein frei zu machen. Wen ich wirklich verstehen will, dem komme ich nicht selbst mit Vorurteilen oder auch nur eigenen Gedanken entgegen, sondern den nehme ich in mir auf und lasse ihn sich in mir aussprechen. Ich versuche z.B. wirklich, seine Gedanken zu denken, wirklich sein Erleben zu teilen, das ihn zu diesen Gedanken geführt hat usw. (das gilt auch gegenüber der nichtmenschlichen Umwelt und würde eine ganz neue Wissenschaftsmethodik begründen). Und dann kann ich vielleicht auch erleben, was der andere möglicherweise außer meinem Zuhören und Verstehen von mir braucht. Einen Zuspruch? Einen Rat? Dann kann es ein Rat sein, der wirklich für ihn richtig ist, der nicht nur das erwähnt, was ich an seiner Stelle tun würde, sondern was ihm an seiner Stelle hilft.

Durch diese detaillierte Darstellung des Sozialen wird klar, daß man unmöglich immer sozial (d.h. selbstlos) sein kann. Wenn man nur selbstlos wäre, würde man aufhören, als eigenständiges Wesen zu existieren. Dem Menschen entspricht also ein Wechseln zwischen dem selbstlosen und dem wieder zu sich erwachenden Zustand. Das Soziale ist tatsächlich eine Art Hineinschlafen in den Anderen - bei vollem Bewußtsein. Wenn ich einen anderen Menschen wirklich verstehe, dann bin ich in dem Moment nicht bei mir, sondern bei dem anderen. Ich wache dann wieder zu mir auf und kann das im „sozialen Schlaf“ gewonnene Verständnis dann natürlich auch in mein Selbst-Bewußtsein hineinnehmen. Um aber den Anderen ganz zu verstehen, muß ich zunächst in ihn sozusagen wirklich eintauchen. Man kann statt Hineinschlafen auch Hineinsterben sagen, denn im Grunde werde ich in dem Moment ganz der andere. Und im Großen bedeutet der Weg zum Sozialen einen Todesprozeß für das bisher selbstverständliche Ich(bewußtsein).

Möglicherweise wirken diese Gedanken bei der ersten Begegnung mit ihnen abstrakt oder künstlich. Das ist durchaus verständlich, liegt aber vielleicht daran, daß man mit der hier geschilderten Art des Erlebens noch keinerlei bewußte Erfahrung gemacht hat. Sobald man aber diese Gedanken einmal nachvollzieht und auch an der eigenen Erfahrung erprobt bzw. übt, können nicht nur sie zum eigenen Erlebnis werden, sondern auch etwas, was direkt noch nicht ausgesprochen wurde. Die bisherigen Gedanken sind eine ziemliche Herausforderung für das Bewußtsein, die Idee des Sozialen wirklich zu ergreifen. Ich kann lernen, in jeder konkreten Situation mir bewußt zu machen, was jetzt gerade das wahrhaft Soziale sein könnte. Zugleich werde ich mir dabei immer mehr der anderen Menschen bewußt und kann sie zunehmend in ihrem eigenen Wesen erleben. Zunächst geschieht dies nur ansatzweise, aber ich kann zu der Überzeugung kommen, daß ich und die anderen Menschen wirklich ein eigenes Wesen haben - ein Wesen, daß sich nicht auf die physisch-biologische Leiblichkeit beschränkt. Mein ganzes Erleben ist ein geistiges, im Bewußtsein begegnen sich die Menschen unmittelbar. Alles, was das Wesen des Menschen, also das wahrhaft Menschliche ausmacht, ist nicht materialistisch erklärbar: Das Soziale als freie Fähigkeit und Entscheidung, das Bewußtsein für das Soziale und „Rechte“ (das Rechtsempfinden), Interesse und Liebe.

Dies alles hängt zusammen mit der Fähigkeit des Menschen, von sich abzusehen. Die Fähigkeit zur Selbstlosigkeit ist aber nur real, wenn und weil sie eine freie Fähigkeit ist, d.h. ihr ein Selbst gegenübersteht. Ameisen zum Beispiel sind nicht selbstlos, weil sie kein Selbst haben. Tiere lieben nicht, sind nicht „sozial“ und haben kein Rechtsbewußtsein, weil all das in seiner menschlichen Bedeutung die Freiheit voraussetzt. Man kann im Tierreich ein Abbild des Ideals sehen, weil andererseits Tiere eben auch nicht hassen und unsozial sein können. Sie können nicht anders handeln, als sie es tun. Erst der Mensch kann frei sein. Er kann seinen besten Freund verraten und seinem ärgsten Feind verzeihen. Die Idee des Sozialen setzt die Freiheit voraus. Nur weil der Mensch unsozial sein kann, kann er im vollen Sinne sozial sein (nämlich frei gewollt).

Die Fähigkeit zur Freiheit und die anderen menschlichen Fähigkeiten liegen im Wesen des Menschen begründet, genauer gesagt in seinem geistigen Wesenskern. Diesen kann man das Ich nennen. Was wir normalerweise erleben, ist nicht unser Wesen, sondern nur ein Ichbewußtsein. Wir erleben „uns“ und nennen dies „ich“. Tatsächlich erleben wir unseren Körper und haben über dieses Leiberleben zunächst ein sehr egoistisch verzerrtes Ichbewußtsein. Wer wir eigentlich sind, wissen wir ebensowenig wie zum Beispiel, warum wir lieben können. Wenn sich aber unser Ichbewußtsein bzw. unser selbstloses Interesse erweitert, so daß wir vielleicht sogar für die ganze Welt eine gewisse Verantwortung erleben, dann kommen wir unserem eigentlichen Ich näher. Dabei hören wir ja keineswegs auf, wir selbst zu sein. Das Ganze hat nichts mit „Aufgehen im All-Einen“ zu tun, sondern nur mit dem Erleben, daß ich mich nicht nur für „mich“, sondern auch für die „Welt“ interessieren kann. Das aber heißt, daß ich anfange, die „Welt“, als mit „mir“ verbunden zu erleben. Wer bin also Ich?

Mit dieser Frage sei das eigene Denken angeregt. Die vorangehenden Ausführungen sollten nur darauf hinweisen, daß der Mensch mehr ist, als gemeinhin gedacht wird. Alles, was mit dem eigentlichen Begriff „menschlich“ in Verbindung gebracht werden kann, ist aus physisch-biologischen Grundlagen nicht zu erklären. Was das Wesen des Menschen ist, kann nicht abstrakt beschrieben werden, man kann nur darauf hinweisen - letztlich kann es nur von jedem individuell erlebt werden.

2. Teil: Ein gewandeltes Bewußtsein verändert die Begriffe

Egoismus und Freiheit

Das ganze Gebäude heutiger Wirtschaftswissenschaft ruht auf dem weltanschaulichen Axiom vom Wesen des Menschen als ewiger Egoist. Der Egoismus ist eine Bewußtseinsstufe, die auf die eigene Person fixiert ist. In der Marktwirtschaft wird aus der Bewußtseinsverengung des Egoismus eine soziale Pflicht. Jeder soll egoistisch sein, dann wird das Wohl aller wie von einer „unsichtbaren Hand“ bewirkt - außerhalb des Bewußtseins und des eigenen Handelns! Von der Konkurrenz unter den Verkäufern profitiert der Käufer und umgekehrt. Egoismus wird belohnt: Wer billig einkaufen und teuer verkaufen kann, ist nicht ungerecht, sondern... erfolgreich! Die Konkurrenz treibt aber die Preise in der Regel nach unten, was allen als Konsumenten zugute kommt. In dieser „gesellschaftlichen Aneignung privater Produktionserfolge“ wird geradezu der Sinn der Marktwirtschaft gesehen, insofern sie Wohlstand für alle verspricht. Die Marktwirtschaft unterscheidet sich in ihrer diktatorischen Gleichmacherei kaum vom realen Sozialismus der Vergangenheit. Sie spekuliert auf das Gleichgewicht der Egoismen (vgl. dasselbe Prinzip beim Rüstungswettlauf, bei Tarif-Verhandlungen etc.). Das Wohlstandswachstum wird durch Verzicht auf den moralischen Fortschritt der Menschheit erkauft. Die Wirtschaft fordert erst zu Egoismus und Übervorteilung auf und biegt dann das ständig entstehende Unrecht durch den überpersönlichen „Richter“ Markt wieder zurecht, indem zuletzt auch der erfolgreiche Egoist seine Erwartungen immer wieder nach unten korrigieren muß. Die Preise entstehen zumeist durch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage. Da keiner der Wirtschaftenden vom anderen weiß und wissen will, sind diese beiden immer wieder im Ungleichgewicht. Der Marktmechanismus paßt den Preis dann immer wieder so an, daß er Angebot und Nachfrage nachträglich und schematisch zur Deckung bringt - genauso wie z.B. der Markthändler vor den Feiertagen seinen Stand durch Tiefstpreise räumen muß. Die „Marktteilnehmer“ kämpfen gegen Windmühlen, und je mehr alle kämpfen, desto erfolgloser ist der Einzelne, was wiederum gut für alle ist usw. - Hochzivilisation im 21. Jahrhundert bzw. 3. Jahrtausend nach Christus!

Die heutige Stufe menschlichen Handelns ist mehr oder weniger dadurch zu beschreiben, daß das Denkvermögen als Intelligenz in den Dienst der eigenen Bedürfnisse gestellt wird. Diese wiederum steigen zunehmend nicht aus der biologischen Leibesgrundlage, sondern aus dem wachsenden und wuchernden Begierdewesen auf. Dieses Wuchern hängt damit zusammen, daß der einzelne Mensch im Laufe der letzten Jahrhunderte immer freier von allen Bindungen geworden ist (Stichworte: Volk, Stamm, Herrschaft, Nation, Blut, Familie, Beruf, Gilden, Geschlecht, Religion). Die erneuten Abhängigkeiten, die man heute beobachten kann, beruhen darauf, daß zum einen die meisten Menschen mit der wachsenden Möglichkeit der Freiheit nicht zurechtkommen und sich selbst neue Abhängigkeiten suchen (Neo-Nationalismus, Sekten etc.) und daß auf der Gegenseite gerade durch den wachsenden Egoismus überall zunehmende Machttriebe auftreten, die andere Menschen unterdrücken, gleichmachen und in Abhängigkeiten bringen wollen. Auch in vergangenen Jahrhunderten war es leicht, seinen Nächsten nicht als Menschen anzuerkennen. Was dies grundsätzlich heißen würde, kann auf einer egoistischen Stufe ohnehin nicht begriffen werden. Aber früher war dies gewissermaßen noch ein natürlicher Zustand. Der Mensch war oft genug des Menschen Feind, ohne es besser zu wissen. Immer aber wuchs unbemerkt die Möglichkeit zur Freiheit, die individuelle Bewußtheit, damit auch der wirkliche Egoismus, und im Laufe des letzten Jahrhunderts erreichte diese Entwicklung einen vorläufigen Höhepunkt (der heute weitergetrieben wird). In dem Maße, wie der Egoismus selbst bewußt wird, steht der Mensch vor der Entscheidung. Er kann sich frei für oder gegen den Egoismus entscheiden (es spielt keine Rolle, daß „das Fleisch schwach“ ist, wichtig ist die grundsätzliche Motivbildung: will ich egoistisch sein oder nicht). Erst und genau in dem Moment, wo der Egoismus (der Machttrieb usw.) auch völlig bewußt gewollt wird, wird er objektiv böse. Diesen Zustand haben wir heute. Anders ist z.B. auch der Nationalsozialismus nicht wirklich zu verstehen. Je mehr die Menschen zur Möglichkeit der Freiheit heranwachsen, je bewußter sie wirklich als Ich-Wesen werden, je bewußter sie paradoxerweise gerade dadurch für die weltweiten Zusammenhänge erwachen, je mehr sie die Möglichkeit haben, sich grundsätzlich zu entscheiden, desto realer tritt auch das Böse in die Welt. Was früher in der „menschlichen Natur“ wirkte, tritt heute ins Bewußtsein und kann von diesem von nun an auch bewußt zurückgedrängt und abgewiesen oder aber gewollt werden. Das ist die Scheidung der Geister, von der die Apokalypse spricht. Man kann das ganz unsentimental feststellen und dennoch mehr und mehr zu der Erkenntnis kommen, daß unsere Zeit der Beginn des entscheidenden Geisteskampfes um das Bewußtsein des Menschen ist.

Nun aber zurück zur Marktwirtschaft und ihrem Prinzip Egoismus. - Für den mündigen Menschen, der zu seiner eigentlichen Menschheit erwacht, tritt das Ergebnis „Wohlstand“ hinter der Art zurück, wie er erreicht wurde. Die Entwicklung der Mündigkeit ist untrennbar verbunden mit der der Vernunft, die nun frei wird von dem Zwang, den Begierden des egoistischen Seelenwesens zu dienen. Das Denken, das vorher der Verstandesknecht der Begierdenseele war, wird nun „Herr im eigenen Hause“ und kann dadurch auch die letztere erlösen bzw. verwandeln (oder aber bewußt ganz neue Perversionen in ihr entfachen und pflegen). Der Mensch kann sich zunehmend frei entscheiden, in wessen Dienst er sein Denken jeweils wirklich stellen will. Nur vom denkenden Bewußtsein ausgehend kann das triebhaft veranlagte Motiv des Egoismus durch andere Motive ersetzt werden. Im Wirtschaftlichen können höhere Motive aber nur real wirksam werden, wenn das Bewußtsein und damit die Verantwortung auf gesamtwirtschaftliche Vorgänge ausgeweitet wird.

Assoziationen als Selbstverwaltungsorgan des Wirtschaftslebens

Heute bewirkt der Staat von außen, bürokratisch und nachträglich, daß die schlimmsten sozialen Folgen des Egoismus wieder etwas ausgeglichen werden (zunehmend weniger). Künftig könnten, wenn die entsprechenden Ideen der Gerechtigkeit, Menschlichkeit usw. wirklich lebendig werden, die sozialen Aspekte zur Angelegenheit der im Wirtschaftsleben stehenden Menschen selbst werden. Dem könnten Assoziationen von Produzenten, Händlern und Konsumenten dienen. Würden solche Institutionen geschaffen, könnten sie die Grundlage dafür sein, daß neben dem Egoismus als bisher alleiniges Wirtschaftsprinzip überhaupt andere Motive die Möglichkeit hätten, wirksam zu werden. Es kann sich Bewußtsein für die Lebensbedingungen der Partner als Voraussetzung konkreter Brüderlichkeit bilden. Aus der Idee der Dreigliederung heraus können nur Vorschläge für solche Institutionen gemacht werden. Diese selbst bewirken niemals von allein das Gute, schaffen jedoch die Möglichkeit dazu, d.h. befreien zunächst von dem Zwang, egoistisch handeln zu müssen, weil alles andere von der Realität bestraft wird. Ob die Welt besser wird, hängt dann von den konkreten Menschen ab. Heute aber ist nicht einmal das der Fall.

Das Wirtschaftsleben müßte zur Selbstverwaltung kommen. Das heißt, die Gesamtheit der im Wirtschaftsleben stehenden Menschen (in ihrer Rolle als Produzenten, Händler, Konsumenten) müßte das Wirtschaftsleben mitsamt seinen sozialen, ökologischen etc. Folgen selbst gestalten. Heute hat der Staat die Verantwortung für diese Folgen (Sozialhilfe etc.): Er ist im Prinzip Reparaturbetrieb des Kapitalismus. Die Folgen sind auf der einen Seite bequemes Anspruchsdenken, auf der anderen Verdrossenheit über Reglementierung und Steuerlast. Im Sinne der Dreigliederung muß Politik sich auf ihren eigentlichen Bereich, nämlich die Rechtssphäre, beschränken. Damit würden die Politiker allmählich wieder zu wirklichen Volksvertretern, weil sie eben keine wirtschaftlichen, ideologischen oder sonstigen Partei-Interessen mehr vertreten, zumindest keine entsprechenden Fakten mehr schaffen könnten. Die Politik hätte „nur“ die - allerdings entscheidende - Aufgabe, zu grundsätzlichen Urteilen darüber zu kommen, was im menschlichen Bereich als Mindestes garantiert werden müßte. Die Rechtssphäre betrifft die Frage, was jedem Menschen als Mensch gebührt, was ich und jeder einzelne seinem Menschenbruder schuldig ist. Es ginge also z.B. um die Urteilsbildung, welche materiellen Lebensumstände mindestens gegeben sein müssen, um die Menschenwürde nicht zu verletzen. Alles andere, also die Garantie und Verwirklichung dieser Umstände für jeden einzelnen, übernimmt das Wirtschaftsleben selbst. Konsumenten, Händler und Produzenten würden gemeinsam entscheiden, wie und auf welche Weise das wirtschaftliche Sozialprodukt konkret zu verteilen ist – also sowohl gerecht zwischen allen Arbeitenden, als auch an alle, die nicht die Möglichkeit zur Arbeit haben. Wenn das Wirtschaftsleben sich selbst verwaltet, wird es nicht versuchen, als Lobbys in die Verwaltung oder Gesetzgebung des Rechtslebens einzudringen, da dieses auch seinerseits die eigentlich wirtschaftlichen Fragen gar nicht mehr betrifft.

Assoziative Gemeinschaften könnten zunächst einmal Wahrnehmungsorgane als Grundlage sozialer Urteilsbildungen werden. Der gute Wille muß dabei nicht einmal am Anfang stehen, da wie gesagt erst aufgrund wirklichen Bewußtseins für die gesamtwirtschaftlichen Vorgänge die selbstloseren Motive allmählich ergriffen werden können, die dann wiederum das bewußte Wollen entzünden. Damit die Assoziationen selbst diese Funktion erfüllen können und nicht zu einem weiteren Gremium des sinnlosen Geredes und Nichtstuns werden, muß der Einzelne den Wert und die Bedeutung der Gesamtheit empfinden können. Eine solche Einrichtung muß so sein, daß jeder sich sagt: sie ist richtig, und ich will, daß sie so ist. Erst wirkliches Gemeinschaftsbewußtsein kann verhindern, daß das Ich des Einzelnen sich sogleich wieder dazu veranlaßt sieht, nur an sich selbst zu denken. Man muß aus dem Konkreten heraus feststellen, auf welcher Ebene (räumlich und sachlich) solche Assoziationen wirklich fruchtbar werden.

Arbeit und Eigentum

In den Assoziationen könnten sich prinzipiell alle Tätigen gleichberechtigt gegenüberstehen. Das setzt allerdings noch ein weiteres voraus: einen sachgemäßen Begriff von Arbeit und Eigentum. Die Rechte eines Unternehmers dürfen sich nur aus seiner unternehmerischen Funktion bestimmen. Die Eigentumsfrage ist bereits eine Rechtsfrage, die nicht mit Geld zu beantworten ist. Damit würde auch aus dem „Lohn“ der „Angestellten“, die in Wirklichkeit Mitarbeiter sind, ein vereinbarter Anteil am gemeinsamen Erlös. Die Arbeitsbedingungen würden ebenfalls endlich wirklich und ausschließlich zur Rechtsfrage werden können. Heute hat Arbeit den Charakter einer von Angebot und Nachfrage abhängigen Ware, und man glaubt oft, dies sei eine bloße Wirtschaftsfrage, in Wirklichkeit ist es natürlich eine Rechtsfrage. Es liegt im Charakter des Wirtschaftslebens selbst, daß alles ihm Eingegliederte zur Ware werden muß. Die Arbeitskraft muß also aus dem Wirtschaftsprozeß herausgerissen werden. Es wäre aber auch schon viel gewonnen, wenn im Wirtschaftsleben überhaupt nur wirtschaftliche Kräfte eingreifen würden (und Macht, Zins etc. wegfielen). Dann würde der Besitzende dem Besitzlosen die Leistung notwendig mit der Gegenleistung ausgleichen müssen.

In der Arbeitsteilung einer Fabrik leistet jeder seinen (kleinen) Anteil am Produkt. Dieses am Ende stehende Produkt ist ein gemeinsames Erzeugnis. Wenn das gemeinsame Produkt verkauft worden ist, müßte wirklichkeitsgemäß jeder seinen Anteil am Erlös erhalten. Warum ist dies heute nicht so? Weil die Arbeit nicht als Voraussetzung und untrennbarer Bestandteil der Produktion gesehen, sondern abstrakt für sich betrachtet wird. Ebenso abstrakt wird die Produktion „an sich“ vorausgesetzt und als gegeben gedacht, die produzierenden Menschen sind austauschbares Beiwerk. Die konkreten Menschen müssen sich jeweils auf einem separaten „Arbeits-Markt“ zunächst „anbieten“, um eventuell reale Ausführende der Produktion sein zu dürfen. Der Mensch verkauft seine Arbeit auf einem eigenen Markt, dessen Preise sich nach der Konkurrenz der Arbeitssuchenden richten. Dieser Preis wird dann der „Lohn“, der nichts mit dem wirklichen Wert der Arbeit, also dem Verkaufserlös des Produktes, zu tun hat. Nach Lasalles „ehernem Lohngesetz“ kommt durch die Konkurrenz der Arbeitnehmer der Lohn langfristig in jedem Fall beim Existenzminimum an. Die heutige Situation ist oft nicht sehr von einem Sklavenmarkt entfernt, wo der Mensch wirklich als Eigentum galt.

Die ganze Ursache für diesen Irrsinn liegt im Eigentumsbegriff. Der heutige, römische Eigentumsbegriff besagt zunächst, daß es überhaupt Eigentum geben kann. Dieser Begriff ist durchaus sinnvoll. Wenn ich etwas produziere, habe ich auch einen Anspruch darauf. Man setzt dies aber nun absolut, und bedenkt nicht, was es für weitere Umstände geben könnte. Zunächst einmal könnten mehrere Menschen an der Erzeugung eines Gutes beteiligt sein, z.B. eine Familie. Gehört es dann dem Familienoberhaupt? Wieso gibt es überhaupt ein Oberhaupt, und wer legt fest, wer das wäre? Aber trotz allem kann man sagen, daß der Eigentumsbegriff im Rahmen der Tauschwirtschaft einen Sinn hat. Die Verhältnisse ändern sich aber nun fundamental, wenn die Tauschwirtschaft aufhört und Geldwirtschaft an ihre Stelle tritt. Der grundlegende Unterschied kann schon anklingen, wenn man einmal an das Paradox denkt, daß jemand einfach nur Geld herstellen bräuchte, um dann alles kaufen zu können. In der Geldwirtschaft machte der Eigentumsbegriff nun eine grandiose Erweiterung durch. Worüber ich absolut verfüge, das kann ich nicht nur gegen ein anderes Ding tauschen, sondern auch gegen Geld, also verkaufen. Doch damit nicht genug. Die nächsten Schritte muß man sich wohl etwa folgendermaßen denken. Wenn ich Eigentum verkaufen kann, kann ich es auch kaufen. Eigentum hat also mit Geld zu tun. Eigentum hat nur mit Geld zu tun. Geld bedeutet Eigentum. Und jetzt sind wir soweit, daß jemand, der als Kapitalgeber ein Unternehmen möglich macht, das Eigentum an diesem Unternehmen beansprucht. Wer einmal sein Geld gegeben hat, damit eine Webmaschine gekauft werden konnte, wird nicht nur ihr Eigentümer, sondern bleibt bis in alle Ewigkeit Eigentümer von allem, was damit zusammenhängt. Er ist zuletzt vielleicht Besitzer eines multinationalen Textilkonzerns (Nike?).

Es ist nur das völlig tote Denken, welches zwischen abstrakten Begriffen umherstolpert, das auf so etwas kommen kann. Dazu kommt dann noch das Erbrecht, das also nicht nur den Eigentumsbegriff absolut setzt, sondern auch die biologische Abstammung. Absolut bedeutet sowohl „Wert an sich“, als auch „höherstehend als alles andere“. Beides ist völlig unsinnig. – Das tote Denken setzt natürlich auch alles gleich, was nur dem Wort nach gleich ist. Am Anfang ist ein „Unternehmen“ ein Prozeß im Keimzustand, eine Unternehmung. Am Ende ist ein „Unternehmen“ ein Konzern, der die Weltpolitik bestimmt. Weil ich eine Unternehmung möglich gemacht habe, werde ich im selben Moment Eigentümer alles dessen, was daraus entsteht. Der zynischste Fehlschluß besteht aber in der Ignoranz gegenüber den vielen Menschen, die die anfängliche Unternehmung noch möglich gemacht haben: Schlichtweg alle, die daran jemals beteiligt waren. Und das setzt sich fort mit den zahllosen Menschen, die das Unternehmen durch die Zeit tragen. Für alle Ewigkeit aber gehört das Ganze dem einen, der am Anfang, einen Teil zur Realisierung beisteuerte, nämlich („sein“) Geld... Was aber ist dies anderes als ein simpler Kredit? Wenn ich einem anderen Geld leihe, und er damit ein Unternehmen aufbaut, gehört dieses ihm. Wenn ich selbst Geld in ein Unternehmen stecke, gehört dieses mir. Beides ist falsch. Geld, was wann auch immer einem Unternehmen gegeben wird, ist ein Kredit und kann irgendwann zurückgezahlt werden. Es kann doch nicht die Eigentumsfrage entscheiden, ob ich einen Kredit irgendwann später oder zum Zeitpunkt der Gründung gebe. Im übrigen ist heute der Kapitalgeber aufgrund der geltenden Haftungsbeschränkungen (GmbH) de facto wirklich ein reiner Kreditgeber, da er keinerlei Risiko mehr hat - und trotzdem gehört ihm das Unternehmen.

Inzwischen liegt hinter uns die Aufklärung, die Französische Revolution, die ungeheure Individualisierung der Neuzeit, die Erklärung der Menschenrechte und, und, und... Doch das römische Denken wird als Mumie von Generation zu Generation weiter vererbt, bereichert durch die grandiosen Abstraktionen und „Intelligenzleistungen“ des modernen, bürokratischen Intellekts, der sich sogar noch anmaßt, die Dinge immer besser zu verstehen, sie immer gründlicher „wissenschaftlich“ zu durchdringen usw. - Hochzivilisation im 21. Jahrhundert... Jedes theoretisch noch unverbildete und unvoreingenommen urteilende Denken müßte im Zeitalter der Freiheit und Gleichheit sofort dazu kommen, daß Unternehmer und Arbeiter rechtlich auf gleicher Stufe stehen und der jeweilige Lohn ein Anteil am gemeinsam erarbeiteten Ergebnis ist. Moment, das klingt eigentlich vernünftig. Aber halt, nein, das Unternehmen ist doch Eigentum von jemandem... Dieser Jemand kann mit dem Unternehmen machen, was er will. Da alle übrigen Menschen als Produktionsfaktoren gelten, können sie zwecks Optimierung entlassen werden - rational und selbstverständlich. Natürlich können sie auch verkauft werden (mit dem Unternehmen)...

Der Eigentumsbegriff wurde wie gesagt so zerstörerisch bzw. unmenschlich, weil man nicht merkte, daß es einen Unterschied zwischen Tausch- und Geldwirtschaft gibt. Tauschpartner stehen sich grundsätzlich gleichberechtigt gegenüber. Wir haben aber keine Tauschwirtschaft mehr, sondern nur noch ihre Illusion. Und so sind die Menschen gezwungen, um überhaupt an Waren zu kommen, sich auf das menschenunwürdige „Geschäft“ einzulassen, ihre Arbeitskraft einzutauschen gegen einen „Lohn“, der immer mehr allein von ihrem „Tauschpartner“ bestimmt wird. Aus den gleichen Gründen sind sie zunehmend gezwungen, ihre Arbeitskraft überhaupt unabhängig von der Art der Arbeit anzubieten.

Währenddessen dürfen die Unternehmer auf die volle Unterstützung der Regierung rechnen, die Lohnkosten zu senken. Die Löhne werden als Produktionskosten gerechnet, die den Erlös schmälern bzw. die Preise nach oben drücken und so den „Standort Deutschland“ gefährden! Die richtige Sichtweise wäre diametral entgegengesetzt: Der Erlös steht von Anfang an allen zu. Es gibt also gar keine „Löhne“, die Produktionskosten sind genau so hoch, wie die realen Kosten der Rohmaterialien, Maschinen etc. – Klar ist, daß dann der „Standort Deutschland“ immer noch durch billige „Löhne“ im Ausland gefährdet ist. Aber nur weil auch dort falsch gedacht wird. Eine falsche (unsoziale) Idee ist selbst dann falsch, wenn die ganze Welt sie teilt. Im übrigen meint es kein Großunternehmen ernst, wenn es sagt, bei geringeren Lohnkosten könnte man mit weiteren Investitionen neue Arbeitsplätze schaffen. Investitionen wollen Profit erzielen, Arbeitsplätze sind bestenfalls ein Nebeneffekt, der beseitigt wird, sobald es möglich ist (auffälligerweise sprechen die Konzerne von ihrer sozialen Bedeutung immer dann, wenn es ihnen schlecht geht).

Gerecht wäre zunächst, daß Unternehmer und Arbeiter sich den Erlös aus dem gemeinsamen Produkt teilen. Sachgemäß wäre statt der Idee des Tausches „Arbeit gegen Lohn“ z.B. auch der Gedanke, daß der Unternehmer dem Arbeiter in Wirklichkeit das Produkt gerecht abkauft. Der Gewinn entstünde dann dadurch, daß es durch Unternehmergeist noch einen höheren Wert erhält.

Richtig gedacht, dürften aber die Löhne überhaupt nicht innerbetrieblich betrachtet werden, also auch nicht als Verteilung des realen Erlöses, denn auch dieser hängt von den volkswirtschaftlich sich bildenden Preisen ab.

Und weil ich nicht für mich, sondern für andere arbeite, dürfte der Lohn überhaupt keine nachträgliche Aufteilung sein, denn dann würde ich ja doch für mich arbeiten. Wenn ich aber nicht arbeite, um meine Bedürfnisse zu befriedigen, sondern deren Befriedigung die Voraussetzung für meine Arbeit ist, dann sollte mein Einkommen eine Vorauszahlung sein, die z.B. meinem Anteil am voraussichtlichen Ertrag (budgetiert in gesamt-volkswirt­schaftlich gerechten Preisen) entspricht. Sozial heilsam ist nur, wenn auf diese Weise Arbeit und Einkommen strikt getrennt werden. Sie haben dann weiterhin miteinander zu tun, aber die Beziehung, daß man seine Arbeitskraft verkauft, um einen Lohn zu bekommen, fiele völlig weg.

Zur Eigentumsfrage ist noch zu sagen, daß das Unternehmen nicht dem Unternehmer, aber auch nicht der Gesamtheit der gerade dort arbeitenden Menschen gehören kann. Es gehört ideell im Grunde immer der ganzen Gesellschaft. Dennoch trifft natürlich nicht die Gesellschaft, sondern treffen die dort Arbeitenden die wirtschaftlichen Entscheidungen. Es liegt quasi eine Art Nutzungsrecht vor. Keinesfalls kann ein Unternehmen verkauft werden. Heute wird bei Unternehmensverkäufen ja die Kapitalsubstanz bezahlt. Der Käufer muß diese nun zum zweiten Mal erwirtschaften, damit es sich für ihn rentiert – dadurch entsteht ein permanenter Renditedruck. Durch die Unverkäuflichkeit würde außerdem die Konzentration unmöglich gemacht. Es ist also nur Kooperation möglich. Diese wird heute noch massiv benachteiligt: Während ich innerhalb eines Großkonzerns Gewinne und Verluste der einzelnen Tochterunternehmen intern verrechnen kann, muß bei einem Überschuß-Unterschuß-Ausgleich frei kooperierender Firmen zuerst der Überschuß versteuert werden. Besser also, die eine hätte die andere gekauft...

Soziale Sicherung

Wie werden die Menschen einbezogen, die aus irgendwelchen Gründen nichts produzieren können? Auch hier ist wieder die Frage, wie es sein oder gedacht werden müßte, damit die richtigen sozialen Empfindungen entstehen können. Es gehören alle Menschen zur Gemeinschaft, und es sind alle direkt am Verteilungsprozeß beteiligt. Es ist sozial falsch gedacht, wenn es jemand für seine Großzügigkeit hält, daß die nicht produzierenden Menschen ihren Anteil erhalten, denn ihr Anteil hat ihm nie zugestanden, er ist keine Abgabe. Auch von daher können die Konzerne z.B. nicht niedrigere Lohnnebenkosten fordern. Wenn über eine Arbeitslosenversicherung etc. die Sozialsysteme finanziert werden, dann gibt es dabei nichts, was dem Konzern jemals zugestanden hat und er nun „abführen“ muß. Die Frage wie man gemeinsam die Sozialsysteme finanziert, und wieviel jedem Menschen zusteht, ist eine Rechtsfrage. Nur weil man dies nicht sieht, und weil ohnehin heute Rentner, Kranke, Arbeitslose usw. fast keine Rechte haben, kann man die „Erwerbslosen“ der Globalisierung ausliefern.

Allerdings könnten Unternehmenssteuern und Lohnnebenkosten durchaus mit Recht wegfallen. Die Steuern lassen sich an die Ausgaben anknüpfen: Nicht weil einer viel leistet, muß er einen größeren Anteil abgeben, sondern weil er mehr beansprucht. Heute will und muß man die Gewinne besteuern, weil es aufgrund des falschen Eigentumsbegriffes unrechtmäßige Gewinne - und dem gegenüberstehend Armut - gibt. Sobald dies geändert werden würde, könnte man den Sozialausgleich technisch wie eine Mehrwertssteuer finanzieren. Alle im Inland verkauften Produkte werden belastet. Was wäre die Folge? Es gibt keine Lohnnebenkosten mehr, das Sozialsystem wird nur durch diese Ausgabensteuer finanziert. Damit werden auch Importe so behandelt, als ob sie unter den sozialen Bedingungen des Inlands hergestellt worden wären. Bei Exporten wird dagegen die Ausgabensteuer rückerstattet. Jedes Land kann so wettbewerbsneutral seine eigenen Sozialbedingungen schaffen (indem es sich die Höhe dieser Steuer überlegt). Niedriglohnländer hätten keinen Kostenvorteil mehr, wären aber auch nicht mehr gezwungen, ihre Löhne niedrig zu halten, um überhaupt etwas verkaufen zu können.

Arbeitslosigkeit ist eigentlich nichts Schlechtes, sondern etwas Gutes (das muß man zweimal lesen). Die geistigen Innovationen haben den Umfang der notwendigen Arbeitsleistung zurückgedrängt und schaffen Freiraum für die Entwicklung des einzelnen, für soziale, ökologische und kulturelle Aufgaben. Die Menschheitsentwicklung könnte hier genau der eines einzelnen Menschen entsprechen: Das äußere Wachstum tritt irgendwann zurück, die geistige Entwicklung setzt verstärkt ein. Statt dessen redet man noch immer von „Arbeitsbeschaffung“ um jeden Preis. Für Arbeitslosigkeit ist weniger denn je der einzelne verantwortlich. Man redet vom „Recht auf Arbeit“, beschließt aber die Zwangsverpflichtung von Sozialhilfeempfängern zu "gemeinnütziger“ Arbeit (Laub harken in öffentlichen Grünanlagen...). Alle „Menschenrechte“ bleiben Makulatur, wenn die Gemeinschaft die sozialen Risiken nicht trägt. Bisher ist es so, daß die Unternehmen die Gewinne einstreichen und sozial-ökologische Kosten auf die Gemeinschaft abschieben. Umweltschutz müßte durch eine entsprechende Gesetzgebung garantiert werden. „Gewinne“, die nicht wieder investiert werden, müßten durch ein anderes Eigentumsrecht in den Konsumbereich fließen, und Arbeitslosigkeit wäre gesamtgesellschaftlich durchaus erwünscht und gemeinsam finanziert. Natürlich würde die durchschnittliche Arbeitszeit dann plötzlich soweit sinken, daß die meisten Menschen doch wieder arbeiten, aber eben jeder weniger.

Man könnte über die Abgabensteuer auch eine sogenannte Grundsicherung für jeden einführen. Dann würden sehr viele Menschen ihren bisherigen Beruf an den Nagel hängen und tun, was sie selbst für sinnvoll halten. Damit dies nicht in völligen Egoismus ausartet, könnte ein bestimmter Anteil eines solchen „Bürgergeldes“ zweckgebunden ausgezahlt werden (z.B. für Bildungszwecke oder soziale Aufgaben). Man könnte dann z.B. Fortbildungskurse besuchen oder auch zu einer NGO gehen und würde quasi seinen eigenen Lohn mitbringen. Eine assoziative Wirtschaftsweise wird noch viel weitergehende Möglichkeiten erschließen können.

Es wären auch die verschiedenen Tätigkeiten völlig neu zu bewerten. Wenn z.B. plötzlich zu wenig Menschen bei der Müllabfuhr arbeiten möchten, scheint dort der Verdienst nicht der eigentlichen Leistung für die ganze Gemeinschaft zu entsprechen. Man könnte vielleicht mit entsprechenden Zulagen aus der allgemeinen Abgabensteuer solche Tätigkeiten „attraktiver“ machen. Natürlich ist das Ganze hauptsächlich eine Frage des menschlichen Empfindens. Zum einen müßte z.B. die Müllabfuhr allmählich genauso hoch angesehen werden wie der Arztberuf. Zum anderen muß in den Menschen das soziale Empfinden wachsen, das in einem (aber nicht nur in einem, sondern in allen) den Willen erwachen läßt, dort zu arbeiten, wo es gerade mangelt und nötig ist. Damit ist ein sehr weiter Weg der Menschheitszukunft vorgezeichnet - für lange Zeit wohl eine wirkliche Utopie.

Für die Aufnahme der individuellen Fähigkeiten eines Menschen in den sozialen Organismus gibt es keine andere Möglichkeit, als sie von der freien Empfänglichkeit der Menschen und den Impulsen, die aus den individuellen Fähigkeiten selbst kommen, abhängig sein zu lassen. Insbesondere im Schulwesen kann es keine Vorschriften geben, was ein Pädagoge zu unterrichten hat. Sobald er sich an Rahmenpläne halten muß, wird der Unterricht sofort lebensunpraktisch und tot. Aus einem wirklich freien Geistesleben heraus kann die Erziehung einem Menschen dagegen die Impulse geben, aus denen heraus er aus sozialem Verständnis­ das verwirklicht, wozu seine individuellen Fähigkeiten selbst drängen. Von einem wirklich freien Geistesleben ginge auch die Kraft aus, dem Menschen die Empfindung von seiner Menschenwürde zu verleihen, während das heutige Geistesleben fast nur als ein Haufen Ideologien wahrgenommen werden kann.

Der Preis von Dingen

Heute bestimmen sich die Preise nach Angebot und Nachfrage, allenfalls auch nach monopolistischen Machtverhältnissen, jedoch nicht nach irgendeinem objektiven Wert einer Ware oder nach ihren konkreten Entstehungsbedingungen, was für die menschlichen Verhältnisse zutiefst wichtig wäre. Es geht um die Frage nach gerechten Preisen. Wann ist ein Preis „gerecht“? Dies kann man nur beantworten, indem man verschiedene Preise ins Verhältnis setzt. Gerechtigkeit bedeutet, daß alle Beteiligten das Tauschverhältnis als gleichwertig erleben. Die Marktwirtschaft sagt nun, daß sich die Preise am besten infolge Angebot und Nachfrage regulieren. Das ist eine Halbwahrheit und wird eine Lüge, weil die andere Hälfte nicht dazu gesagt wird. Nämlich: Daß es uns immer darum gehen müßte, die gerechten Preise herauszufinden und herzustellen. Wer auf dem Standpunkt steht, daß dies nicht durch Einsicht regelbar ist, verurteilt den einzelnen zum Egoismus und läßt die wahre Mündigkeit zur Illusion werden. Das ist Marktwirtschaft.

Marktwirtschaft sagt, die „unsichtbare Hand“ regelt alles so, daß der größtmögliche Wohlstand für alle herauskommt. Da es u.a. wegen des Eigentumsbegriffs kein wirkliches Machtgleichgewicht gibt, muß der Staat bei dem „für alle“ zwar schon lange massiv nachhelfen und umverteilen (was er immer weniger tut), aber nur wenn der Egoismus erfolgreich ist, wird nun einmal produziert. Die Illusion ist eben, daß der Mensch als egoistisches Tier Gerechtigkeit nicht einmal wollen kann. Er kann aber, und das ist ein Merkmal für „Mensch“. Der Mensch kann Gerechtigkeit wollen, und das ist gleichbedeutend mit dem Auftreten von Verantwortung. In dem Moment wird der Mensch mündig. Sobald er anfängt, die Verantwortung zu erleben, kann er sich entscheiden, ob er sie wahrnehmen will oder nicht. Mündigkeit bedeutet Erkenntnis und Freiheit. Um aber die Verantwortung tatsächlich ausüben zu können, braucht es Vernunft bzw. umfassende Bewußtseinsarbeit - nicht nur die Erkenntnis meiner Verantwortung, sondern auch die Erkenntnis der realen sozialen Verhältnisse und die Erkenntnis ihrer Zusammenhänge und schließlich die Erkenntnis möglicher Wege, wie diese Verhältnisse gerecht geregelt werden könnten. All das widerspricht aber dem Grundaxiom der Marktwirtschaft, und solange sie das nicht zugibt, wird es keine Einrichtungen geben, durch die es eventuell anders werden könnte.

Was wäre aber nun Gerechtigkeit, und wie müßte man vom „Preis“ von einem wirklich menschlichen Standpunkt aus denken? Gerechtigkeit bedeutet, daß jeder seine (rechtmäßigen) Bedürfnisse befriedigen könnte. Die eigentlich menschliche Frage ist jetzt: Arbeite ich, um meine Bedürfnisse zu befriedigen oder müssen meine Bedürfnisse befriedigt werden, damit ich meine Fähigkeiten für die Bedürfnisse anderer einsetzen kann? Gerechtigkeit der Preise hieße, daß jeder im Tauschakt so viel an Gegenwert enthält, daß er seine (und seiner Familie) Bedürfnisse befriedigen kann, bis er wiederum ein gleiches Produkt gefertigt hat. Sobald ich nicht mich, sondern den anderen Menschen im Blick habe, verwandeln sich sämtliche volkswirtschaftlichen Begriffe. Der Lohn wird so zum „Produktionskredit“, die Konsumgüter zu „Produktionsmitteln“ (die mir ermöglichen, für andere zu arbeiten).

Aufgabe der Assoziationen wäre es, sich Vorstellungen über gerechte Preise zu bilden. Dabei würde man keineswegs die Preise direkt entsprechend ändern oder festschreiben. Die Preise sind ja zunächst wirklich eine Funktion von Angebot und Nachfrage und damit nur ein Zeiger wie die Säule des Thermometers. Wenn mir eine Temperatur nicht paßt, versuche ich ja auch nicht, das Thermometer zu beeinflussen, sondern die Umgebung, die zu dieser Temperatur führt. Die Assoziationen würden dann fruchtbar arbeiten, wenn aufgrund der jeweils erkannten Bedürfnisse wirklich gemeinsam geplant werden würde, bis hin zur Fertigung auf Bestellung. Der Unterschied zur Planwirtschaft ist, daß die im Wirtschaftsleben stehenden Menschen selbst das Wirtschaftsleben gestalten. Wenn man gemeinsam erkannt hat, was bei gegebenen Bedürfnissen jeweils das gerechte Austauschverhältnis wäre (und dies auch will) und dann möglichst genau nach den Bedürfnissen produziert, werden die realen Preise von selbst zu den gerechten. Wird ein Produkt zu billig, übersteigt die Produktion die Bedürfnisse; wenn dies ein strukturelles Problem ist, könnten sich entsprechend viele Menschen aus Einsicht je nach eigener Bereitschaft entscheiden, ihre Tätigkeit zu wechseln. Wird ein Produkt zu teuer, zeigt dies, daß mehr Menschen gebraucht würden. Den Assoziationen müßten nach dem Barometer der Preisstände herausfinden, was im volkswirtschaftlichen Leben zu tun ist. Die realen Preise sind also Bewußtseinshilfen.

Man kann behaupten, daß die Menschen gar nicht gerechte Austauschverhältnisse wollen würden. Dieses Argument übersieht, daß ein solcher Unwille gerade Folge der Marktwirtschaft wäre, daß sich aber dennoch der soziale Impuls erheben kann, sobald in den Assoziationen die Möglichkeit wahrhaft menschlicher Begegnung geschaffen ist. Daß sich auf Dauer keine sozialen Motive bilden würden, wäre nur denkbar, wenn man solche Assoziationen „anordnen“ würde. Sie müssen sich eben von selbst bilden. Die Idee der Dreigliederung kann in diesem Sinne nur als solche verbreitet werden, tätig werden können nur die konkreten Menschen, die sie selbst als gut und richtig erkannt haben. Die Idee zeigt also, in welchem Sinne zu handeln wäre, es kann ihr aber nur absolut schädlich sein, wenn man dies jeweils von anderen erzwingen wollte.

Assoziationen schaffen Orte, wo sich soziale Interessen begegnen und sich das gegenseitige Verständnis vertiefen und konkretisieren kann. Dabei müßte sich heute das soziale Gefühl und das konkrete Interesse für den anderen Menschen in der Regel erst durch massives Desinteresse und egoistische Gewohnheiten hindurcharbeiten. Anders könnte dies im Grunde erst durch ein völlig neues Bildungswesen werden, das aber wiederum nur denkbar ist, wenn es eines Tages ein wirklich freies Geistesleben gibt.

Die Unverkäuflichkeit von Grund und Boden

Das Grundgesetz sagt in §14: Eigentum verpflichtet, in §15: Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.

In den heutigen Kosten von Wohnungen steckt ein Grundstücksanteil von teilweise 40-50%. Ohne immense Subventionen (Baukostenzuschüsse, Zins- und Steuervergünstigungen, Mietbeihilfen) käme jeder Wohnungsbau zum Erliegen. Industrieansiedlungen müssen von den Gemeinden subventioniert werden, wenn sie noch wirtschaftlich sein sollen. Insbesondere aber macht der Boden“preis“ eine soziale Bodennutzung unmöglich, da Träger sozialer und kultureller Impulse mit dem Boden keinerlei produktive Einnahmen erzielen.

Auf dem Boden“markt“ gibt es nur die Einbahnstraße der Verteuerung, weil nicht das Angebot, sondern nur die Nachfrage steigen kann. Wenn aber einer der beiden Faktoren nicht reaktionsfähig ist, kann ein „Markt“ (im Sinne der Marktwirtschaft) schlichtweg nicht existieren. Boden ist keine Ware, weil er nicht produziert werden kann. Darum ist er auch kein Produktionsmittel wie etwa Maschinen, und er verliert auch nicht wie diese mit der Zeit an Wert. Boden ist also nicht herstellbar, nicht erneuerbar und selbst nicht alternd (darum flüchtet Geld ständig in Bodeneigentum. Natürlich kann der Mensch den Boden leicht ökologisch und faktisch zerstören). Boden ist die eigentliche Produktionsgrundlage für jede materielle Produktion. Betrachten wir ihn einmal als besonderes Produktions„mittel“: Wie bestimmt sich der Wert eines solchen? Allein nach dem Nutzen, den man mit seiner Hilfe erzielen kann. Da weiterhin Boden nicht produziert werden, es also keinen Markt geben kann, wäre es für ein sachgemäßes Rechtsempfinden völlig selbstverständlich, daß er absolut nicht käuflich ist und Boden“eigentum“ seiner Natur nach nur ein Nutzungsrecht sein kann. Wenn er heute nicht allen zur Verfügung steht, so haben Herrschafts-, Macht- oder Rechtsverhältnisse die Verteilung bewirkt. Überall, wo Boden „verkauft“ wird, bezahlt man eine Nichtleistung, ein Machtverhältnis.

Der Sache nach sind Grund und Boden Gesellschaftseigentum. Der jeweilige Nutzer könnte wie bisher der Eigentümer gestellt sein, nur daß das Eigentum an die Nutzung gebunden ist. Bei Nutzungsaufgabe geht dann der Eigentumsanspruch verloren, ohne daß ein „Verkaufspreis“ erhoben werden kann. Für die Überlassung des Bodens wird eine Nutzungsabgabe festgelegt (je nach sozialen Gegebenheiten und Notwendigkeiten; ihrerseits zweckgebunden für bestimmte soziale Aufgaben). Die Bodenverwaltung könnte eine Körperschaft aus Bürger-Vertretern übernehmen (direkte Demokratie).

Zur Umsetzung des neuen Bodenrechts würde jeder Eigentümer im bisherigen Sinne Nutzungseigentümer, sofern eine Nutzung stattfindet. In jedem Fall bekäme er eine Entschädigung in Höhe der realen Anschaffungskosten (er kann ja nichts dafür, daß es bisher einen „Bodenmarkt“ gab, und er vielleicht noch vor einem Monat einen großen „Kaufpreis“ entrichten mußte). Die Entschädigung – z.B. auch die Tilgung noch bestehender Hypotheken – könnte sich über eine Generation hinziehen und aus der künftigen Nutzungsabgabe erfolgen. Nicht entschädigungspflichtig ist natürlich der heutige Verkehrswert, da es eben keinen Markt geben kann; nur heute muß bei Enteignungen der Verkehrswert gezahlt werden, weil der „Markt“ weiterbesteht und die Enteignung nicht alle betrifft. Im Rahmen des neuen Bodenrechts lägen „Enteignung“ und Verzicht gar nicht vor, weil Bodeneigentum nicht auf eigener Leistung beruht, sondern ein von der Gesellschaft zugesprochenes Recht ist. Es ist daher die Gesellschaft, die bisher auf die Leistung des Eigentümers verzichtet hat!

Was ist die Folge, wenn es keinen Bodenpreis mehr gibt? Die Mieten könnten den tatsächlichen Bau- und Erhaltungskosten entsprechen. Mit der Nutzungsabgabe könnten soziale Aufwendungen finanziert werden. Soziale „Unmöglichkeiten“ wie im Extrem menschen- und gewerbeleere Stadtkerne, die nur noch aus Banken und Versicherungen bestehen, würden wegfallen.

Geld ist keine Ware

Es wird heute aber so behandelt. Den Wettbewerb mit den wirklichen Waren kann es nur gewinnen: Es ist nicht verderblich (Verkaufszwang drückt tendenziell den Preis), keiner Nachfrageschwankung unterworfen etc. – diese ganzen Vorteile sind der Ursprung des unrechtmäßigen Zinses (unabhängig von der Frage, ob es einen rechtmäßigen Anteil gibt, zu dem z.B. die reinen Arbeitskosten gehören, die etwa eine kreditgebende Bank hat).

Obwohl wirkliche Werte nur im Leistungsprozeß geschaffen werden, verdienen viele Unternehmen mehr durch „Investitionen in Geldanlageformen“, also mit Geldanlage-Erträgen. Massenhaft gestautes Geld treibt die Aktienkurse immer höher. Die „Ware“ Geld wird verpackt in eine verwirrende „Produkt“vielfalt von Wertpapieren und Anlageformen. Die reale Wirtschaft mit ihren realen Produktionsmitteln reicht längst nicht mehr aus, die ertragsuchenden Geldmengen zu binden (wachsend infolge hoher Sparquote, da der Konsum nahezu gesättigt ist).

Das Geld staut und konzentriert sich bei denen, die schon Geld haben, und diese „investieren“ das Geld immer mehr in spekulativen „Anlagen“, d.h. es wird real nirgendwo investiert. In jedem Fall fehlt es durch diese Stauung immer mehr dort, wo es wirklich gebraucht wird. Dies betrifft vor allem die Bereiche, die nicht selbst „produktiv“ im Sinne der Marktwirtschaft sind. Damit ist der ganze Bereich der Geisteslebens angesprochen. Das Geistesleben ist nicht unmittelbar produktiv, in Wirklichkeit aber die Quelle jeder Produktivität! So ist etwa die gesamte Produktivitätsexplosion der letzten 200 Jahre ausschließlich dem Geistesleben zu verdanken; Leibniz´ Erfindung der Differentialrechnung z.B. baut noch heute an jeder Brücke mit. Damit befinden wir uns sogleich wieder in der Rechtssphäre: Das Geistesleben hat einen Anspruch darauf, daß die im Wirtschaftsleben mit seiner Hilfe erzielten Überschüsse wieder zu ihm zurückfließen.

Die Konzentration des Geldes beruht unter anderem auf dem Zins. Die Theorie sieht im Zins den „Preis“ für den Verzicht. Dabei wird nicht gefragt, ob der Ursprung mehr beim Geldgeber liegt (er verlangt den Zins) oder mehr beim Geldnehmer (er lockt damit), oder ob der Zins von vornherein objektiv als gerechtfertigt angesehen wird, weil eben der Geldgeber mit dem Geld auch selbst hätte Profit machen können. In den ersten beiden Fällen hockt der Geldgeber auf dem Geld, bis er den Zins bekommt. Im letzten Fall sind von vornherein alle mit dem Zins zufrieden. Wie kommt das? Weil hier das, was der Geldgeber in den anderen Fällen auch gemacht hat, bis in die Theorie eingedrungen ist: Geld wird angesehen als Ware, deren Eigentümer man sein kann. In diesem Waren-Eigentums-Charakter des Geldes liegen alle Ursachen für die Übel der Geldwirtschaft. Denn dieser Charakter steht in genauem Gegensatz zur eigentlichen Funktion des Geldes, mit der es Produktivität und Wohlstand unglaublich ansteigen ließ: Das Geld soll Tauschmittel sein, es soll den Tausch von Waren vermitteln.

Wenn Geld aber den eigentlichen Tausch vermitteln soll, kann es kein Eigentum sein, sondern nur einen Rechtsanspruch begründen. Der Bäcker gibt für Schuhe dem Schuster Geld, mit dem dieser später Brote kaufen kann. Wenn er aber keine Brote kauft, werden sie erstens schlecht, zweitens kann der Bäcker auch keine neuen Brote backen. Er verkauft seine alten Brote nicht, muß für das Backen neuer Brote vom Schuster Geld leihen und ihm zusätzlich noch einen Zins dafür geben! Dies ist in zwei Sätzen das Übel der heutigen Geldwirtschaft.

Man kann sich darauf einigen, daß Geld Waren- und damit Eigentumscharakter hat. Dann werden die Dinge so weiterlaufen wie bisher: Die Geldeigentümer stauen ihr Geld in Boden, Immobilien und Spekulationsobjekten, der Zins macht sie immer reicher und die Mehrzahl aller anderen immer ärmer, insbesondere die Staatsverschuldung wird bald soziale Erdbeben auslösen usw. – Oder man einigt sich darauf, daß das Geld wirklich Tauschmittler sein sollte. Was heißt das?

Das Geld begründet dann wirklich nur einen Rechtsanspruch. Der Schuster hat einen Anspruch auf die Brote. Geld ist dann nicht mehr Eigentum, sondern wie beim Boden besteht nur ein Nutzungsanspruch. Wird er nicht eingelöst, verfällt er, d.h. das Eigentumsrecht erlischt. Der Schuster darf das Geld nicht behalten. Denn nicht nur hat er einen Anspruch auf die Brote (wofür er es gerne ausgeben könnte), sondern der Bäcker und alle übrigen haben einen Anspruch darauf, daß das Geld zurückfließt, weil es eben Tauschmittel ist. Und dies hätte weitere ungeheure Auswirkungen.

Wenn nur ein Nutzungsanspruch besteht, kann ich Geld nicht verleihen, also auch keinen Zins erpressen. Nicht ich habe Anspruch auf „entgangenen Profit“, sondern die Gemeinschaft hat Anspruch auf ihr Tauschmittel und seine Zirkulation. Geld, was ich nicht benutzen kann (weil ich zu viel habe), fällt als Schenkungsgeld an andere.

Auch „geistiges Eigentum“ geht z.B. einige Zeit nach dem Tod des Menschen in freien Besitz der Allgemeinheit über. Wenn jemand „sein“ Geld nicht nutzt, sind seine Fähigkeiten für dieses Geld tot bzw. nicht existent.

Die Gemeinschaft kann zu Entscheidungen finden, was als Nutzung, also noch als wirklich persönlicher Bedarf zu gelten hat. Alles andere, z.B. spekulative Geldanlagen, würde wegfallen. Es kann nicht sein, daß jemand sagt, er spekuliere an der Börse, also nutze er sein Geld doch. Wir haben gesehen, daß der Bäcker vom Schuster das Geld gleich wieder benötigt. Heute aber staut sich das Geld eben in Spekulationsblasen, während es anderswo fehlt. Die Notenbank pumpt weiteres Geld in den Kreislauf, der aber keiner ist, weil schon bald wieder irgendein Reicher das Geld „parkt“, da er es nicht nötig hat (und es ihm zu wenig Rendite brächte), es wirklich auszugeben oder zu investieren. Spekulation dürfte nicht als Nutzung gelten und würde einfach unzulässig sein.

Es ist klar, daß ein solches sachgemäßes Verständnis der Geldwirtschaft sich nur durchsetzen kann, wenn genügend Menschen die Richtigkeit dessen erkennen, daß der Anspruch auf nicht selbst genutztes Geld erlöschen muß. Natürlich würden dann viele Unternehmen, nämlich gerade die großen, die riesige Profite machen, außer Landes gehen. Aber vielleicht wäre das gar nicht schlecht, da sie ja die heutigen Übel am meisten anheizen...

Allgemein müßte man natürlich konkretere Regelungen treffen, z.B. wann und warum ein Unternehmen wieviel „Polster“ haben darf (Ausgleich künftiger Verluste, Anschaffungen etc.). Die Gelder, die über die eigene Nutzung und solche Polster hinausgehen, fallen als Schenkungsgelder an die Gemeinschaft, die eben damit alle Bereiche finanziert, welche nicht selbst produktiv sind. Das Geistesleben ist die Quelle aller Produktivität, und damit auch allen Kapitals. Wenn es nun nur einen Nutzungsanspruch auf Geld gibt, so fließt alles überflüssige Geld also wieder zurück zu seiner eigenen Quelle...

Wie ließe sich das konkret erreichen? Was jemand auf dem Konto hat, könnte von der Bank aus festgestellt werden (was er zuhause hat, nicht; aber man könnte verbieten, größere Anschaffungen mit Bargeld zu bezahlen). Dann müßte man allgemein akzeptierte Kriterien finden, nach denen festgelegt werden könnte, wer wieviel Geld auf dem Konto haben darf. Was darüber liegt, würde nicht mehr dem eigenen Nutzungsrecht unterliegen. Der Mensch dürfte aber entscheiden, wem er dieses Geld zukommen lassen möchte. Diese Regelung könnte im Grunde enorm das soziale Interesse wecken, zumal das Ganze ohnehin erst eingeführt werden könnte, wenn es wirklich mehrheitlich akzeptiert ist. Am besten wäre es natürlich, wenn man aus Einsicht Institutionen des freien Geisteslebens die Verwaltung des Kapitals überläßt, die es dann jeweils fähigen Unternehmern frei überlassen. Die freie Verfügung über Kapital ist keinesfalls an sich schlecht. Kapital ist ein Mittel, durch das individuelle Fähigkeiten wirksam werden können (und vom Ursprung her ist es wiederum immer Ergebnis individueller Fähigkeiten). Soziale Schäden entstehen erst, wenn das Verfügungsrecht fortbesteht, obwohl das Kapital aufgehört hat, an aktive Fähigkeiten gebunden zu sein (festes Eigentum statt Nutzungsrecht).

Literatur und Tips

Brüll, Dieter (1984): Der anthroposophische Sozialimpuls – ein Versuch seiner Erfassung
Herrmannstorfer, Udo (1991): Schein-Marktwirtschaft. Die Unverkäuflichkeit von Arbeit, Boden und Kapital
Steiner, Rudolf (1919): Die Kernpunkte der sozialen Frage

Auf der Internetseite www.dreigliederung.de finden sich kleine Aufsätze zu aktuellen Zeitereignissen, die unter dem Aspekt der Dreigliederung kommentiert werden. Weitere Links findet man unter www.3link.de.

Die Seite www.geldreform.de ist eine Fundgrube für Texte zu alternativen Geldmodellen, vor allem rund um das Thema „Natürliche Wirtschaftsordnung“ (Gesell). Sogar Volltexte ganzer Bücher sind aufgenommen (von Creutz, Kennedy u.a.).