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05.12.2002

Der heutige Kapitalismus ist nicht denkbar

Von unhaltbaren Gedanken zu gewollter Veränderung

Veröffentlicht im „Goetheanum“ vom 7.2.2003.


Unser Wirtschaftssystem basiert auf einer Lüge – man kann auch sagen auf einer Unmöglichkeit, die fortwährend verleugnet wird: Der Unmöglichkeit, daß Geld sich von selbst vermehrt. Würde man anerkennen, daß die aus manchen Märchen bekannte wundersame Geldvermehrung in der materiellen Welt unmöglich ist, könnte man vielleicht zu neuen Gedanken kommen. Aber natürlich ist nicht diese Erkenntnis das Problem, sondern - sich bewußt zu machen, daß jene Unmöglichkeit das Fundament unserer Wirtschaft bildet. Es übersteigt schlichtweg fast das Denkmögliche, auch nur in Betracht zu ziehen, daß der gesamte Kapitalismus als scheinbares Erfolgsmodell eine logische Unmöglichkeit ausgeblendet haben könnte. Er hat aber. 

Ein Unternehmer will in das Wirtschaftsleben eintreten und etwa eine Tischlerei gründen. Er nimmt bei einer Bank einen Kredit auf. Später, wenn er die ersten Möbel mit Gewinn verkauft hat, zahlt er den Kredit mit Zins zurück. Wer hier noch nicht gedanklich „Halt!“ ruft, folgt ganz der gängigen Theorie, die auf dem Papier keine Probleme sieht. Das liegt daran, daß ein Begriff wie Gewinn eine so selbstverständliche Grundgröße ist, daß er einfach vorausgesetzt wird. Es ist selbstverständlich, daß durch menschliche Produktion Neues in die Welt kommt (Möbel). Klar ist auch, daß der Tischler dafür „seinen Preis“ bekommen soll. Beides vermengt ergibt den Gedanken, daß auch das letztere selbstverständlich und auf jeden Fall möglich ist.

Nun gibt es zu einem bestimmten Moment eine bestimmte Geldmenge. Mit diesem Geld kann sich eine Gesamtheit von Menschen bei festen Preisen eine bestimmte Gesamtheit von Waren kaufen. Jetzt kommen durch den Tischler neue Waren in die Welt. Womit aber sollen sie gekauft werden? Es ist ja nicht zu erwarten, daß alle anderen Produzenten deswegen ihre Waren ein klein wenig billiger machen. Aber halt, der Tischler hat ja einen Kredit bekommen, dieses Geld ist inzwischen ebenfalls im Kreislauf, und damit können seine Möbel gekauft werden.

Die Unmöglichkeit des „Gewinns“ – das Problem des Tischlers

Das Kreditgeld kam in den Kreislauf, indem der Tischler es zunächst dem Holzfäller gab (vom Händler sei einmal abgesehen). Nur das gleiche Geld kann auch wieder zu ihm zurückfließen. Damit sind seine Tische so teuer wie das Holz. Und: Er kann das Geld nicht einmal behalten, sondern muß es wiederum dem Holzfäller geben, um neue Tische bauen zu können.

Wovon lebt der Tischler? Von dem, wovon er zuvor schon gelebt hat (wie auch immer). Das Geld, das durch ihn in den Kreislauf kam, ist notwendig, um die Tische zu kaufen bzw. um das Holz für neue Tische zu kaufen. Der Tischler macht keinen Gewinn. Er darf das Geld nicht einmal für andere Dinge ausgeben. Er ist nicht plötzlich „Tischler“ und kann sich allein deshalb eine Wurst zum Abendbrot leisten. Wer sich plötzlich etwas kaufen kann, das ist der Holzfäller am Anfang der Wertschöpfungskette. Und vielleicht hat der Tischler auch einen Angestellten, der nun ebenfalls Lohn in der Tasche hat.

Das eigentliche Problem hat für den Tischler aber noch nicht einmal begonnen. Die Bank möchte den Kredit wieder zurückbekommen! Ja, sie möchte, mit dem Zins, sogar mehr Geld zurückhaben, als sie ausgegeben hat. Alle Banken möchten mehr zurückhaben, als sie ausgeben. Lassen wir diesen Widersinn einmal beiseite und bleiben bei der reinen Tilgung. Das kreditierte Geld ist für den Wirtschaftskreislauf unabdingbar, und der Tischler kann darüber gar nicht verfügen. – Aber er könnte doch auf seine Preise etwas aufschlagen...? Nun, die Wirtschaft besteht aus vielen Menschen, die als Produzenten alle unter ähnlichen Bedingungen wie der Tischler angefangen haben. Ein Preisaufschlag bedeutet, daß der Tischler die Taktik der Bank übernimmt und mehr zurückhaben will, als er ausgegeben hat – um in der Folge nicht wieder alles ausgeben zu müssen, sondern auch der Bank etwas zurückgeben zu können.

Wo in einer komplexen Wirtschaft das Geld tatsächlich hinfließt, ist offen und hängt von den Bedürfnissen der Menschen ab. Tatsache aber ist, daß eine bestimmte Geldmenge existiert. Wenn jemand mehr erhält, als er gegeben hatte, nennt man das „Gewinn“. Dieser positiv besetzte Begriff verdeckt, daß ihm zwangsläufig ein Verlust gegenübersteht. Sobald es irgendwo einen Gewinn gibt, erhalten anderswo Menschen weniger Geld als sie bräuchten, um ihre produktive Tätigkeit aufrechtzuerhalten. – Statisch gesehen könnte kein Wirtschaftsteilnehmer einen Kredit zurückzahlen. Die gesamte Wirtschaft bzw. Geldmenge basiert im Grunde auf Kredit. Ein Ausgleich wäre erst dann gegeben, wenn die Banken das gesamte umlaufende Geld wieder eingesaugt hätten. Dynamisch bzw. real gesehen können einige Produzenten durch „Gewinne“ ihre Kredite sehr wohl zurückzahlen, weil sie aus dem Wirtschaftsstrom gewissermaßen etwas von dem für andere Produzenten kreditierten Geld „auffangen“. Das aber beschleunigt nur den Ruin dieser übrigen.

Wachstum als Scheinlösung – die real existierende Wirtschaft

Vielleicht wendet man gedanklich ein, die Wirtschaft funktioniere real aber doch. Schaut man sich die Realität wirklich an, könnte man allerdings wahrnehmen, wie die Krise schon riesenhaft vor der Schwelle des Ausbruches steht. Die stetig steigende „Arbeitslosigkeit“, die Rekordzahlen von Firmenkonkursen, die akute Diskussion über die Sozialsysteme insgesamt mag manch einer immer noch mit einer „schlechten konjunkturellen Lage“ entschuldigen – tatsächlich jedoch sind es die verschiedenen Symptome des akuten Zusammenbruchs. Die Frage ist eigentlich nur: Warum hat das Ganze so lange halbwegs funktioniert, so daß die Menschen sich täuschen lassen konnten?

Das Geheimnis liegt im „Wachstum“, das nicht ohne Grund zur Ideologie und Pflicht erhoben wurde. Solange die Wirtschaft wächst und die Investitionen zunehmen, steigt auch die Vergabe von Krediten und damit die Geldmenge. Die Gesamthöhe und die Zahl der Verschuldungen stiegen stetig. Aber immer wenn neues Geld in den Kreislauf kommt, wird ein Teil dessen von den alten Schuldnern „aufgefangen“, die damit zumindest ihre Zinsen zahlen können. Zumeist haben die schon länger am Markt etablierten Produzenten aus verschiedensten Gründen gewisse Konkurrenzvorteile (Erfahrungswissen, Bekanntheit etc.). Ein Neuling, der sich halten kann, wird nach und nach ebenfalls diese Vorteile gegenüber nachrückenden Produzenten haben. Kurz gesagt, darf jeder hoffen, „Gewinne“ zu machen und Kredite oder zumindest Zinsen abzahlen zu können, solange die Wirtschaft wächst, also neue Kredite in Umlauf kommen. Aus diesem Grund kommt es schon einer Krise gleich, wenn auch nur das Wachstum (!) sich verlangsamt.

Wie gesagt ist die Zurückzahlung statisch gesehen für niemanden möglich. Wirtschafts- und Geldmengenwachstum bedeutet heute immer zugleich Schuldenwachstum. Doch Wirtschaftswachstum bedeutet eben für die alten Schuldner die wachsende Hoffnung, daß ein Teil der größeren Geldmenge ungerechtfertigt bei ihnen ankommt.

Als weitere Rettung kommt nun hinzu, daß der größte Schuldner seit langem der Staat ist. Er darf im Gegensatz zu anderen Schulden in unvorstellbarer Höhe machen - und kann dieses Geld quasi als Schenkung in die Wirtschaft einfließen lassen. Der Staat ist für die Wirtschaft ein gigantischer Auftraggeber, außerdem gibt er riesige Subventionen für verschiedenste Sektoren (bei Landwirtschaft, Kohle, Stahl ist es offensichtlich). Würde es die Staatsverschuldung nicht geben, hätte das heutige Wirtschaftssystem nach 1945 nicht einmal drei Jahrzehnte durchgehalten. Doch inzwischen ist auch der staatliche Schuldenberg etwa in Deutschland so groß, daß allein die Zinsen ein Viertel der Steuereinnahmen verschlingen (würden, wenn sie nicht nach wie vor mit weiteren Krediten bezahlt würden).

Der Kampf um den größten Anteil – auf Kosten der Schwächeren

Die letzte Möglichkeit, sich noch so lange wie möglich auf Kosten anderer aus der Schlinge zu ziehen, ist die ständige „Kostensenkung“. Wer jährlich 10% Zinsen zahlen muß, die er aber nirgendwo abzweigen kann - da der Umsatz gerade die laufenden Kosten deckt, wie es einem Gleichgewicht eben entspricht -, der muß jährlich seine Kosten senken. Das heißt: Mitarbeiter entlassen, Löhne kürzen, Arbeitszeit erhöhen, Produktivität steigern... Dadurch wird eben doch ein „Gewinn“ möglich. Der objektive Begriff dafür ist Umverteilung. – Wohlgemerkt: Die gesamte Geldmenge kommt als Kredit in den Kreislauf und wird von den Banken zurückgefordert. Dies setzt die Produzenten unter Druck, ihrerseits Geld aus dem Kreislauf zu saugen, wo immer es möglich ist. Unabhängig davon, daß allein der Egoismus schon zu Verteilungskämpfen führen würde, schafft die heutige auf Kredit basierende Wirtschaft solche Kämpfe mit absoluter Notwendigkeit. Die Lohnnebenkosten sind nicht „zu hoch“, die Sozialsysteme sind nicht zu „luxuriös“ – selbst kostenlose Arbeitssklaven würden den Tischler nicht vor dem Ruin retten, muß er doch selbst das Holz auf Kredit kaufen und kann schlichtweg nicht mehr Geld bekommen, als er in den Kreislauf hineingibt.

Soweit die gedankliche Durchdringung des heutigen Wider-Sinns. Da niemand „Halt!“ ruft oder zumindest allein dadurch das System nicht ändert, geht das Leben weiter, und die Verteilungskämpfe vollziehen sich wie seit Menschengedenken auf Kosten der jeweils Schwächeren. Nur daß heute zusätzlich mit immer raffinierteren Argumentationen die Schwächeren auch noch als Schuldige hingestellt werden. Wo das nicht geht, bleibt immer noch die angebliche Naturgesetzlichkeit der Entwicklung: „Die guten Zeiten sind vorbei, der Sozialstaat hat ausgedient“. Doch wenn es jemals bessere Zeiten gab, dann nur, weil früher andere vermehrt ausgebeutet werden konnten, die heute mit zur Konkurrenz zählen. – Die Produktivität des menschlichen Wirtschaftens steigt stetig. In einem wirklichen Gleichgewicht kann sich jeglicher Wohlstand nur erhöhen. Er vermindert sich für einige nur unter zwei Bedingungen: Wenn andere dasjenige beanspruchen, was ihnen früher unrechtmäßig vorenthalten wurde; oder wenn andere unrechtmäßig beanspruchen, was ihnen überhaupt nicht zusteht.

Wozu dient Geld und Wirtschaft überhaupt?

Mit dem letzteren Fall kommen wir zu den Vermögensbesitzern, die im heutigen System Zinsen bekommen, deren Vermögen sich also von selbst vermehrt. Auf diesem Felde verläuft die Umverteilung sogar ganz ohne Kampf. Der Reiche wird schlichtweg kontinuierlich reicher, einfach weil er reich ist. Die Kämpfe spielen sich dann im Wirtschaftsleben ab, dem das Geld entzogen wird. Obwohl der Zins die allergrößte der vielen Ungerechtigkeiten ist, wird gerade er am wenigsten hinterfragt. Immer noch stellt man sich vor, daß ja ohne Zins niemand sein Geld zur Verfügung stellen würde. Damit aber macht man schon zwei Voraussetzungen: Die gegebenen Eigentumsverhältnisse und überhaupt die Möglichkeit des „Besitzes“ von Geld.

Daß man sich selbst bescheidet und dem Reichen nichts neidet, auch wenn man sich selbst bescheidene Wünsche nicht mehr erfüllen kann, mag für die eigene Moralität sprechen. Aber die Geldbegriffe „Besitz“ und „Tauschmittel“ stehen sich ziemlich polar gegenüber. Wenn ich uneingeschränkt akzeptiere, daß man Geld „besitzen“ kann, muß ich mich mit jenem Umlauf bescheiden, den der Besitzer bestimmt. Will der Geldbesitzer konsumieren, kommt das Geld wieder in den Kreislauf (zumindest wenn sein Konsum schneller wächst als der Zinseszins). Will der Geldbesitzer einfach nur reich sein, haben alle anderen eben das Nachsehen. – Will man also das Geld als Tauschmittel, führt dies allein zu dem Gedanken, daß es keinen Besitz von ungenutztem Geld geben darf. Dann aber braucht es auch keinen Zins als Anreiz zum Verleihen.

Hat man einmal die grundsätzlichen Unmöglichkeiten, Ungerechtigkeiten und Unbrüderlichkeiten erkannt, kann man auch finden, wie eine zunächst einfach nur logisch denkbare, dann auch gerechte und schließlich vielleicht auch brüderliche Wirtschaft aussehen müßte. – Selbst in einer nicht auf Kredit aufgebauten Wirtschaft gilt der Grundsatz, daß jeder „Gewinn“ nur eine Umverteilung ist. Was über das hinausgeht, was meine Tätigkeit aufrechterhält, fehlt einem anderen für die seine. Eine gerechte Wirtschaft müßte jedem dauerhaft das Tätigsein ermöglichen. Dies ist der Fall, wenn ein jeder seine grundlegenden Bedürfnisse befriedigen kann. Brüderlich beginnt die Wirtschaft dann zu werden, wenn es nicht nur um eine abstrakte Existenzsicherung geht, sondern die Menschen anfangen, die Bedürfnisse des jeweils anderen konkret wahrzunehmen und sogar in ihrer Verschiedenartigkeit zu bejahen.
 

Zwei Leserbriefe machten dann folgende Einwände:


HN übersieht die Produktivität. Der Tischler stellt einen Tisch pro Woche her und verkauft ihn für 800 Euro. Dann leiht er sich Geld, kauft Maschinen, kann drei Tische herstellen und den Kredit bezahlen. Eine Vermehrung des Geldes ohne die der Waren würde Inflation bedeuten. Geld vermehrt sich nicht von selbst, es ermöglicht den Einsatz von Produktionsmitteln, erhöht den Warenumlauf, vermehrt damit real das Geld und ermöglicht Zinszahlung.

Die Bank kann dem Sparer Zinsen zahlen, weil andere das Geld benötigen und bereit sind, den Zins zu zahlen. Dieses Geld wird dem Kreislauf – anders als Spekulationsgelder – nicht entzogen.

Der Kreditnehmer erzielt später selbst auch Gewinn. HN meint, jedem Gewinn stünde zwangsläufig ein Verlust gegenüber, und übersieht, dass Gewinne zu Ausgaben werden und gesamtwirtschaftlich die Verluste ausgleichen. Der Gewinn ist letztlich ein Zuwachs an Wirtschaftsgütern, nicht an Geld. Um die Möbel des Tischlers kaufen zu können, müssen andere Leistungen erbracht, aber nicht die Geldmenge erhöht werden. Geld ist nur ein Tauschmittel.

Ich schrieb daraufhin am 17.3.2003 folgenden Kommentar, der jedoch nicht mehr veröffentlicht wurde:

Der Glaube an die wunderbare Geldvermehrung

Als ich fragte, woher ein Tischler das Geld für die Tilgung von Kredit und Zins bekommen solle, wies Martin Wigand auf folgendes hin: Kredite machen Produktivitätsanstiege und dadurch gesamtgesellschaftlichen Wohlstand möglich. Dies ist zunächst selbstverständlich (ich habe es nicht übersehen). Es dürfte aber klar sein, dass ein Kredit von z.B. 10.000 € nicht zurückgezahlt werden kann, wenn die Bank 11.000 € zurückhaben will, obwohl sie nur 10.000 € ausgibt.[1] Weitere Unmöglichkeiten kommen durch den Vermögenszins hinzu.

Geldmenge und Warenmenge sind zunächst völlig unabhängig voneinander. Fruchtbar wirkt Geld bei einer möglichst engen Kopplung an die realen Vorgänge. Genau dann kann es das reine Tauschmittel sein, das Ingo Craubner postuliert. Unter anderem müssen jene, die nach einem Produktivitätswachstum mehr Waren kaufen würden, auch das nötige Geld haben. Das wäre der Fall, wenn tatsächlich alle Menschen fleißig produzieren und untereinander stetig steigende Warenmengen tauschen würden.[2] Der Zins jedoch ermöglicht eine leistungslose Umverteilung von Geld (und dadurch auch Waren).[3] Die Superreichen wiederum brauchen nicht die Möbel des Tischlers – und jene, die sie brauchen, haben das Geld nicht, um sie zu kaufen.

Spätestens jetzt, wo der Kapitalismus trotz kaum mehr wachsendem Bruttosozialprodukt am Zins festhält, könn­te deutlich werden, dass er sehr wohl an die wundersame Geldvermehrung glaubt – bzw. für Einzelne aktiv auf-rechterhält. Die gesamte Geldmen­ge ist schon übergroß, auch daher fließt ja so viel Geld in die Spekulations-sphäre ab. Dennoch erzwingt der Vermögenszins weiteres Geldmengen­wachstum – weil Geldempfänger und Käufer nicht übereinstimmen und dem Kreislauf Geld entzogen wird.[4] Die Bank zahlt große Zinsbeträge an die Superreichen[5] – und ist natürlich gezwungen, auf der anderen Seite entsprechend viele Kredite zu vergeben (mit welchen Mitteln auch immer, man sieht es unter anderem an der eigenen Tagespost). Die Realwirtschaft steht sowohl wegen der eingangs geschilderten Denkunmöglichkeit als auch deshalb vor dem Zusammenbruch, weil ein wachsender Teil der Geldmenge nicht wieder konsumptiv als Kaufkraft auftritt.

Wenn es keinen Zins auf Vermögen gäbe, hätte der Kreditnehmer nur die Bankgebühren zu zahlen und das Geld würde ausschließlich zu den potentiellen Käufern fließen (erst in diesem Fall werden Gewinne wieder zu Ausgaben – wie Craubner sagt – und nicht zu wachsenden Vermögen). Erst dann wäre Geldvermehrung nur die Entsprechung zur „wunderbaren“ Warenvermehrung des schöpferischen Menschen. Insofern ist das von mir geschilderte Geldproblem ein reines Verteilungsproblem.

Fußnoten


[1] Mit Hilfe von Geld kann die Produktivität steigen, Produktivität kann aber nicht die Geldmenge steigern. Neues Geld „entsteht“ als Kredit, also Schulden. Kredite bestehen nicht nur aus bereits existentem Spargeld, sondern werden auch zusätzlich neu geschöpft. Jedem Vermögen stehen also nicht nur entsprechende Schulden gegenüber, sondern die ausstehenden Kredite übersteigen die Gesamtsumme aller Vermögen noch. – Lösbar ist das eingangs erwähnte Problem, wenn die künftigen Waren mit 11.000 € berechnet werden, die Bank den Kredit von 10.000 € für eine Maschine zinslos gibt und 1.000 € für die eigenen Angestellten behält (die später Waren kaufen).

 

[2] Außerdem müssen die Preise gerecht sein - bzw. sogar brüderlich, da sonst Industrieproduktion Profit und der kleine Bauer oder Handwerker Konkurs macht (der von Craubner erwähnte Trend zur Rationalisierung ist übrigens mit bedingt durch den vom Zins gesteigerten Zwang zum Profit).

 

[3] Der Zins ist spätestens da keine berechtigte „Leihgebühr“ mehr, wo die großen Vermögen von ihren Eigentümern selbst überhaupt nicht mehr produktiv genutzt werden könnten.

 

[4] Ingo Craubner hat recht, dass Geld sich nicht in der Schublade vermehrt – aber wenn es sich vermehrt, kann es in die Schublade gesteckt werden (oder in Grund und Boden oder in Börsenspekulationen).

 

[5] Ein Millionär dürfte deutlich über 100 € Zinsen täglich erhalten, ein Milliardär über 100.000 €.