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24.06.2002

Die Suche nach der christusgemäßen Sozialstruktur

Diese Gedanken entstanden im Zusammenhang mit der Situation in der Gemeinde Berlin-Wilmersdorf der Christengemeinschaft.


Zunächst möchte ich kurz erläutern, warum meiner Ansicht nach in der letzten Zeit verschiedene Fragen in bezug auf den
Gemeinderat und auch die Verfassung gestellt worden sind.

Verschiedene Menschen haben inzwischen verschiedene Fragen, Probleme, Vorbehalte in bezug auf manche Vorgänge und Verfahrensweisen in der Gemeinde. Meistens hat dies meiner Einschätzung nach direkt oder indirekt damit zu tun, wie Entscheidungen zustande kommen und welche Begleitumstände dabei vorliegen. Ich möchte dies zunächst in bezug auf das Verfahren, wie sich der Gemeinderat bildet, konkreter ausführen.

Die Praxis ist (durchaus ideal formuliert): Es werden Menschen gesucht, von denen man annimmt, daß sie fähig sind, Verantwortung zu übernehmen. Diese werden dann in das Organ aufgenommen und auf der Gemeindeversammlung der Gemeinde zur Bestätigung ans Herz gelegt. Soweit so gut. Es ist schlichtweg wunderbar, daß sich Menschen bereit finden, Verantwortung für die Gemeinde zu übernehmen, daß sie das Vertrauen der Pfarrer (auf deren Initiative hin sie ja i.a. kooptiert werden dürften) und das Vertrauen der sie bestätigenden Gemeinde haben. Soweit handelt es sich um ein ideales Verfahren, und vielleicht versteht man durchaus nicht, warum hier überhaupt Probleme entstehen können.

Eine Frage ist z.B.: Warum dürfen Mitglieder der Gemeinde nicht aus freier Initiative heraus vor der Gemeinedeversammlung ihren Willen äußern, im Gemeinderat Verantwortung mitzutragen, und sich der Frage stellen, ob die Gemeindeversammlung ihnen dafür Vertrauen entgegenbringt?

Ein anderes ist, wie der Gemeinderat real von Seiten der Gemeinde wahrgenommen wird. Ich nenne einige reale Phänomene, die für viele Menschen unerträglich sind, weil sie sie mit Recht als Widerspruch zu dem oben geschilderten Ideal wahrnehmen müssen:

- Der Gemeinderat trat bis zum Gemeindeabend im April quasi überhaupt nicht in Erscheinung. Seine Aufgaben sind bis heute nicht klar.
- Der Gemeinderat tagt nicht-öffentlich, seine Beschlüsse werden höchstens indirekt bekannt.
- Die Mitglieder des Gemeinderats werden kooptiert und dürfen von der Gemeindeversammlung dann nur noch bestätigt werden. Andere Vorschläge sind in diesem Verfahren nicht vorgesehen.
- Immer wieder einmal kam es auf Gemeindeversammlungen vor, daß bestimmte Fragen aus der Gemeinde (z.B. nach der Zahl der Gemeindemitglieder) in unsozialer Weise zurückgewiesen oder nicht wirklich beantwortet wurden.
- Die Beziehung zwischen Gemeinderat und Gemeinde, die Bedingungen für ein lebendiges Zusammenwirken und ein gemeinsames Wirken für ein lebendigeres Gemeindeleben werden nicht hinterfragt. 

Unabhängig davon, welche (guten) Absichten hinter einer Einrichtung liegen, ist entscheidend, wie sich etwas nach außen hin zeigt und welche Empfindungen die Menschen real haben. Absichten sind im sozialen Leben erst dann real, wenn sie von Menschen als real verwirklicht erlebt werden.

Ich hoffe, die angedeutete Problematik ist nachvollziehbar. Im weiteren möchte ich nämlich in ganz grundsätzlicher Weise auf die Frage eingehen, wie man Wege zur Lösung der angedeuteten Probleme finden kann.

Probleme sind etwas, was man wahrnehmen und empfinden muß, das heißt, sie sind genau für den existent, der dies tut. Meiner Ansicht nach vollzieht sich hier eine Entwicklung, die sich in die Zukunft hinein fortsetzt, und deren Wesen im weiteren klar werden wird. Diese Entwicklung betrifft den Umgang miteinander und die Wahrnehmungen, die Menschen auf diesem Feld machen. Ich glaube, daß wir heute (und zukünftig immer mehr) vor der Aufgabe stehen, die christusgemäßen Formen im Sozialen zu suchen und zu finden. Möglicherweise ist dies die zentrale Frage, von deren Antwort es abhängen wird, ob „die Christengemeinschaft“ - und im weiteren Sinne natürlich immer die ganze Menschheit - die Verbindung zu Christus verliert oder gewinnt. Man bedenke doch: Der Christus als die Wesenheit, durch die zur Zeitenwende der Mensch­heit „der Erdensinn erstanden“ ist, schreitet in ewiger Gegenwart denen voran, die Ihm folgen wollen. Was sich nicht im rechten Sinne wandelt, wird zum Alten und bleibt in tragischer Weise zurück, weil die reale Gegenwart des Christus voranschreitet - hoffend, daß die Menschen ihm folgen, damit er sich einst mit ihnen vereinen kann.

Was ist nun die rechte Form im Sozialen?

Diese Frage hängt ganz wesentlich mit einer etwas spezielleren zusammen - der nach dem Verhältnis zwischen Pfarrern und übrigen Gemeindemitgliedern. Es heißt (etwa in den Verfassungen) immer, daß den Pfarrern die geistliche Leitung obliegt. Was aber bedeutet „geistliche Leitung“? Es bedeutet die Entscheidungsbefugnis in Sachen Kultus und allem, was direkt damit zusammenhängt. Hier ist die Frage aber noch nicht beantwortet. Denn was hängt mit dem Kultus direkt zusammen? Man kann die Bezeichnung „geistliche Leitung“ auf das gesamte Gemeindeleben ausdehnen. Tatsächlich aber bedeutet sie zunächst wirklich nur das, was direkt mit den Sakramenten zusammenhängt, wo also die Pfarrer als Priester tätig sind. Die Pfarrer entscheiden als Priester selbst, ob und wann sie eine Taufe vollziehen. Sie könnten sogar Lippenstift bei der Kommunion untersagen. Dies sei nur als Beispiel angeführt, um den Sachverhalt klarer zu machen. Es ist in die Verantwortung der geweihten Priester gestellt, daß der Kultus rein gehalten wird und würdig vollzogen werden kann, denn nur dann kann sich vollgültig das ereignen, wofür der Kultus gegeben wurde.

Rudolf Steiner sagte über die Priesterweihe: Die Weihe ist eigentlich das Abscheiden des Menschlichen oder eines Teiles des Menschlichen von dem Verstricktsein in das Irdische. - Er ergänzte dies durch die Aussage, daß ein geweihter Priester in einer anderen Welt handelt, wenn er etwas tut, daß er auch spricht aus einen anderen Welt, wenn er das Evangelium spricht, während alle seine gewöhnlichen Handlungen aus der irdischen Welt sind. „Gewöhnliche“ Handlungen sind alle, die nicht unmittelbar den Bereich der Sakramente mit ihrem Wandlungsgeheimnis betreffen.

Natürlich kann man sich auch in allem anderen der „Führung“ der Pfarrer überlassen, das übrige Gemeindeleben fällt aber nicht unter die Bezeichnung „geistliche Leitung“. Und nicht wenige Pfarrer kritisieren selbst die „katholische“ „Pfarrer-Orientiertheit“ vieler Mitglieder, weil die Menschen im Zeitalter der Bewußtseinsseele ihre Orientierung in sich selbst finden sollen. - Das Verhältnis zwischen Pfarrerschaft und übrigen Mitgliedern ist eine Frage, an der sich die Zukunft der Christengemeinschaft entscheidet. Ich habe keine fertige Antwort, ich weiß nur, daß eine gemeinsame Suche nach Antworten dringend geboten ist. Dabei müssen Fragen berührt werden, die mit folgenden Begriffen angedeutet seien: Bewußtseinsseele, Ich, Gemeindeengel, Dreigliederung, geistliche Leitung, Hierarchie, Macht.

Die zentrale Frage ist, in welche Richtung die Christengemeinschaft sich bewegen will. Will sie tatsächlich immer mehr das Ziel der Gemeinschaft mündiger Mitglieder verwirklichen? Was wären die richtigen Wege, was wäre dafür zu tun? Wenn man vom Ideal des Priesters ausgeht, wäre zunächst scheinbar gar nichts dagegen zu sagen, daß die Priester aus ihrer Überschau, ihrem Stehen im Kultus, ihrer Schulung usw. heraus das gesamte Gemeindeleben leiten bzw. zumindest in allen Fragen die letzte Entscheidungsbefugnis haben. Aber selbst wenn man an der Ideal-Vorstellung festhält - kann dies gewollt sein? Es würde dann zwar nie etwas „schiefgehen“, aber könnte sich unter solchen Umständen Bewußtseinsseele entwickeln? Theoretisch schon. Ich meine aber: praktisch nein. Die wirkliche Antwort können ja nur die konkreten Verhältnisse selbst geben. Und anhand dieser ist jedes Mitglied, jeder Pfarrer aufgerufen, jene Frage immer wieder neu ganz persönlich zu beantworten.

Steiner sagte über die katholische Kirche und ihre Entwicklung: "Es tritt überall ein gewisses gesetzgeberisches Element auf, eine Mahnung, den Bischöfen, den Dogmen zu gehorchen, sich zu fügen in die Konstitution der sich bildenden Kirche." Und: " Der religiöse Weg soll gegeben werden durch eine Kirchenkonstitution, und die Rechtsverfassung, die den Gehorsam gegenüber der Kirche anordnet, die ist ja eben etwas, was sich ganz besonders im Katholizismus im weitesten Ausmaß fortgesetzt hat, was einem auch als Erfahrung heute noch sehr stark entgegentreten kann." - Um einen Gehorsam kann es heute nicht gehen. Doch was ist, wenn man an wichtigen Entscheidungen, die das Gemeindeleben betreffen, gar nicht beteiligt ist? Man kann dann die geschaffenen Tatsachen entweder akzeptieren oder nicht. Auch das fällt im Grunde unter erzwungenen Gehorsam.

Wer entscheidet überhaupt in einer Gemeinde welche Fragen? Wer entscheidet über die Farbgestaltung bei einer anstehenden Renovierung? Wer über die Gestaltung der Freitagabende, wenn verschiedene Bedürfnisse einander widersprechen? Was entscheidet der Gemeinderat? Was entscheidet der Wirtschaftskreis? Was entscheiden die Pfarrer alleine oder de facto alleine?

Warum darf die Gemeindeversammlung die vom Gemeinderat kooptierten Mitglieder bestätigen, aber nicht eigene Vorschläge machen? Warum darf der Gemeinderat Entschlüsse einzelner Mitglieder, Mitverantwortung übernehmen zu wollen, zurückweisen (ohne daß die Gemeinde davon überhaupt erfährt)? Sind Gründe wie „der Rat ist voll“, „wir kennen Sie noch nicht gut genug“ oder „Sie passen nicht zum Gremium“ rechtmäßige Kriterien?

Mit all diesen Fragen, eigentlich mit den gesamten bisherigen und nachfolgenden Ausführungen, ist die Frage des sozialen Miteinander berührt. Wann immer wir anderen Menschen begegnen, begegnen sich die verschiedensten Vorstellungen, Wünsche, Bedürfnisse, Impulse, Fähigkeiten usw. - und sobald man den anderen als Menschen akzeptiert, gibt es gegenseitige Anerkennung, werden Gespräche, Vereinbarungen, Kompromisse, Regeln usw. nötig. All dies geschieht oft sogar wortlos und des öfteren schlichtweg unbewußt. In vielen Fällen geschieht es aber auch nicht, dann setzt man sich über den anderen hinweg und erkennt ihn eigentlich nicht an. - Insbesondere an solchen Konstellationen kann man erwachen für die eigenartige Sphäre, um die es hier geht. Man kann sie als Rechtssphäre bezeichnen. Damit ist keine abstrakte Juristerei gemeint! Jeder kann erleben, wie genau das menschliche Rechtsempfinden auf die unterschiedlichsten Situationen reagiert. Die Quelle des Rechts liegt im Menschen selbst. Und die Rechtssphäre ist im Grunde die menschliche Sphäre - zum einen, weil sie überall dort berührt ist, wo Menschen einander begegnen; zum anderen, weil ihre inhaltliche Ausgestaltung den Menschen in voller Freiheit überantwortet ist. Wenn ich einen anderen Menschen nicht anerkenne und ihm sein Recht nicht zu-spreche, existiert es nicht in unserer Begegnung.

Ich sprach vom Rechtsempfinden. Es handelt sich tatsächlich zunächst um ein reines Fühlen, das als solches träumend ist. Dies kann u.U. dazu führen, daß es leicht zum Opfer subjektiver Einflüsse wird, es kann aber auch gerade ein Grund für seine Objektivität sein (vgl. das Bild der personifizierten Gerechtigkeit, die mit verbundenen Augen die Waage hält). In jedem Fall aber ist es im Zeitalter der Bewußtseinsseele die Aufgabe, die in diesem Bereich sich vollziehenden Urteile ins Bewußtsein zu heben und allgemein erkenntnismäßig zu durchdringen, welche Prinzipien hier sachgemäß und menschlich (im Sinne von: christlich) wären.

Im Rechtsleben gilt das Prinzip der Gleichheit. Sobald man miteinander Dinge tut, werden Vereinbarungen nötig, die man als Gleicher unter Gleichen zu treffen hat. Im Bereich des Miteinander hat das Argument, jemand wisse am besten, was zu tun ist, keinerlei Geltung. Entweder dieser Jemand bzw. sein Urteil wird frei im gegenwärtigen Argument von den anderen anerkannt - oder nicht. In der sozialen Sphäre darf es keinerlei Befugnisse geben, die man nicht zugesprochen erhalten hat. - Man kann zwar weiterhin auf dem Standpunkt stehen, die Pfarrer haben für alle Angelegenheiten der Gemeinde das klarste Urteil. Theoretisch mag das stimmen. Aber auch sie sind ja keine Universalgenies und -ta­len­te. Eben darum haben auch sie ihre Vertrauten, von denen sie sich beraten lassen (finanziell, juristisch, ästhetisch etc.). Und auf dem Gebiet des Sozialen sind wir alle ziemliche oder völlige Anfänger. Ich meine nicht das Soziale zwischen zwei oder drei Menschen, hier mögen die Pfarrer sogar besonders große Fähigkeiten haben, obwohl man auch da oft auf einen gewissen „Habitus“ des Wissens und Führens stoßen kann (durchaus verständlich, da ein solches Verhalten immer noch von vielen erwartet oder gebraucht wird). Ich meine jetzt aber das Soziale insgesamt, bezogen auf die ganze Gemeinschaft. Muß ich mich in einer Gemeinschaft durchsetzen, weil ich im Recht bin? Woher weiß ich das? Aber unabhängig davon, ob ich mir sicher bin, gehört der Wunsch, die eigene Überzeugung verbreiten oder gar durchsetzen zu wollen, zu den antisozialen Impulsen. Man lese den Vortrag von Benesch „Pfingsten heute“, wo er auf Steiners Darstellung der antisozialen Impulse im Zeitalter der Bewußtseinsseele eingeht.

Im Sozialen entstehen Wahrheiten überhaupt erst gemeinsam. Wie man miteinander umgeht angesichts der Tatsache, daß jeder zunächst seine eigenen Wahrheiten hat - das ist eine Wahrheit für sich. Diese muß immer erst gemeinsam geschaffen werden und wird in Zukunft bedeutsamer sein als die reinen „Erkenntniswahrheiten“. Das Ziel im Sozialen ist es, sich selbst um der Entwicklung des anderen zurücknehmen zu können (das ist ein Opfer, aber man bedenke, daß ein „Opfer“ keines ist, solange es als „sauer“ empfunden wird). Dieses „Nicht ich, sondern der andere“ ist nötig für die Entwicklung der Bewußtseinsseele (des anderen). Je mehr sich die Bewußtsseinsseele ausbilden wird, desto mehr wird auch die Fähigkeit wachsen, die Leistungen und Erkenntnisse des anderen neidlos anzuerkennen! Jedoch nur, wenn die Entwicklung in rechtmäßiger Weise geschehen kann. Die Bewußtseinsseele entwickelt sich in jedem Fall in unserer Zeit. Wenn dies aber in einem Umfeld geschieht, wo sie faktisch unterdrückt wird (auch wenn es unbewußt geschieht!), geht dies allein mit einem wachsenden Egoismus einher, und die Möglichkeit, daß der Mensch die sozialen Impulse in sich findet, geht zunehmend verloren.

Auch wenn man bei dem Gedanken offenerer und erweiterter Entscheidungsstrukturen das Gespenst der „Diktatur der Masse“ an die Wand malen will - aufgrund der objektiven Bewußtseinsentwicklung hilft nur die „Flucht nach vorn“. In Wirklichkeit ist dies genau der in die Zukunft führende Weg.

Wer heute noch „die Masse“ von Entscheidungen fernhält, macht sich selbst in genau entsprechendem Maße schuldig, die menschliche Entwicklung zu verhindern - und er trägt auch die Verantwortung dafür, daß „die Masse“ dann bei wirklicher Beteiligung zum „Diktator“ wird. Die Verantwortung derer, die jeweils im Einzelfall etwas erkannt zu haben glauben, besteht schon lange und auch in Zukunft nicht mehr darin, irgendetwas vor „der Masse“ und ihren „Unfähigkeiten“ zu schützen, sondern darin, seinen Mitbrüdern und Schwestern die eigenen Urteilsgrundlagen zur Verfügung zu stellen und sich gegenseitig in der Ausbildung sozialer und anderer Fähigkeiten Helfer zu sein. Friedrich Benesch schreibt:

Im Grunde wird unser Wille nur sozial, wenn wir liebevoll herauszufinden versuchen, was der andere Mensch eigentlich will; dann erst vermögen wir den eigenen Willen dem Willen des anderen zur Verfügung zu stellen. ... Wie soll soziales Leben denn verwirklicht werden, wenn nicht Mensch dem Menschen Möglichkeit gibt, sein Wollen zu offenbaren. Auf jede andere Weise muß Vergewaltigung entstehen. ... Es bedarf allerdings einer großen Kraft, auf die Willensoffenbarung warten, sie wirklich berücksichtigen zu können. Aber diese Kraft erwächst aus dem rechten Gefühlsverständnis für den anderen Menschen und aus dem vollen Bewußtsein um das Mysterium des menschlichen Ich. ... Die soziale Grundforderung besteht in der Selbsterkenntnis und Selbsterziehung des Menschen und dem Grundgefühl, sich selbst und seine Mitmenschen als werdende Wesen zu erleben.

Und Rudolf Steiner sagte den ersten Priestern:

Was Sie also in erster Linie werden suchen müssen, das ist schon die Gemeinschaftsbildung. Und da werden Sie nicht anders können, wenn Sie zu einem wahrhaftigen, zu einem wirklichkeitsgetränkten Ziel kommen wollen, als praktisch Dreigliederung zu treiben, sich wirklich bewußt zu sein, wie man praktisch Dreigliederung treiben kann.

Zumeist stellte Steiner die Idee der Dreigliederung bezogen auf den gesamten Staat da: Die Bereiche Geistesleben, Rechtsleben und Wirtschaftsleben sollten unabhängig voneinander je nach ihren eigenen Prinzipien wirken können: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. An Steiners Worten zu den Priestern wird klar, daß diese Dreigliederung bei den einzelnen Institutionen nicht aufhören darf. Was nützt die schönste Dreigliederung im Großen, wenn im Kleinen das Falsche und Schlechte erhalten bleibt?

Daß im Geistesleben Freiheit gelten müßte und im Wirtschaftsleben Brüderlichkeit walten sollte, ist jedem zunächst klar. Auf allen Ebenen verkannt wird immer die Rechtssphäre. Verkannt vor allem deswegen, weil man nicht bemerkt, wie sich alle drei Bereiche gegenseitig durchdringen. So wenig ich sagen kann, das Ohr ist Sinnesorgan, also ist es von allem Stoffwechsel abzuschneiden, genauso wenig kann ich etwas als Geistesleben erklären und auf das in ihm waltende Rechtsleben verzichten. Überall wo Blut fließt, ist Stoffwechsel. Überall wo Menschen miteinander zu tun haben, ist Rechtsleben (oder sollte es sein).

Am schwierigsten sachgemäß zu beurteilen ist das Verhältnis zwischen Geistesleben und Rechtsleben. Ich möchte die hier sehr verbreiteten Anschauungen einmal in Anlehnung an einen Aufsatz wiedergeben, der im Juni 1994 in Die Drei erschien („Wie funktioniert freies Geistesleben?“).

Der Autor verteidigt das Prinzip der „Freiheit im Geistesleben“ und kritisiert, daß man vor der Gründung einer Institution eine Verfassung entwerfe. Das Risiko der Freiheit erscheine vielen als zu groß, daher lege man schon vorher fest, was herauskommen dürfe und wie es funktioniere. Das wahre geistige Leben entziehe sich aber jeder von außen kommenden Normierung, man könne mit Satzungen dem Geist nicht seine Bahn vorschreiben. Er vergleicht dies damit, daß auch ein einheitlicher Lehrplan jeder Pädagogik zuwider laufe. Es sei viel leichter, sich vorzustellen, daß alle Menschen gleich sind oder sein sollten, als die verschiedenen Individualitäten wahrzunehmen. Geistesleben beruhe aber auf den Leistungen der Individuen, daher bedeute Sozialsein im Geistesleben, produktive Persönlichkeiten zu erkennen und zu fördern. Die Beurteilung von Leistungen ergebe sich im Leben selbst. Gesund sei geistiges Leben in Gruppen dann, wenn man sich in freier Anerkennung um die produktivsten Leute schart und jeder seine Fähigkeiten erkenne und einbringen könne. Ungesund sei es dort, wo Talente durch Reglementierung vertrieben würden oder resignierten. Gesund sei es, wenn bei gemeinsamen Besprechungen wichtige Probleme offen zur Sprache kommen und ernsthaft an der Weiterentwicklung des gemeinsamen Projektes gearbeitet werde. In bezug auf die Führung sei es nicht so wichtig, ob sie von Einzelnen, einer Gruppe oder allen Mitgliedern übernommen wird, wichtig sei, daß überhaupt kompetent für Weiterentwicklung und Fortgang gewirkt wird. Es sei immer gut, wenn Entscheidungen allen einsichtig gemacht werden. Geistige Fragen könnten aber nicht abgestimmt werden, sonst drohe nur Stagnation und Diktatur der Mittelmäßigkeit. Im Geistesleben komme alles auf Initiative, Einsicht und wechselseitige Schätzung der Leistung an.

Manche Gedanken sind nicht zu bestreiten, etwa, daß Probleme offen zur Sprache kommen sollen oder daß es das Ziel sein muß, die Fähigkeiten gegenseitig (an)erkennen und einbringen zu können. Über Fähigkeiten läßt sich tatsächlich nicht abstimmen. Es kann ja auch jeder tun, was er will, im Geistesleben gilt das Prinzip der freien Initiative. Nur dürfen alle in diese Richtung gehenden Ausführungen nicht unterschwellig in das Argument ausarten, daß diejenigen die sich für die Fähigsten halten (oder es möglicherweise sogar sind), in einer Gemeinschaft das Recht hätten, ihre Ideen durchzusetzen, wenn sie mit anderen Ideen in Konflikt geraten. Und genau an diesem Punkt beginnt das immer übersehene Rechtsleben. Es kommt eben nicht nur darauf an, daß es überhaupt „Fortgang“ gibt, sondern es kommt alles darauf an, in welcher Weise, sozial gesehen, dieser Fortgang erreicht wird.

Wohlgemerkt: Es wird hier nicht vom Kultus gesprochen. Der Kultus selbst ist auch für die Priester unantastbar. Über alles, was unmittelbar mit dem Kultus zu tun hat, entscheiden die Priester, wie oben bereits angedeutet worden ist. Wovon hier aber die Rede ist, ist das Gemeindeleben. Oft argumentiert man auch hier „kurz und gut“: Entscheidungen erfordern Kompetenz, also werden sie einer kleinen Gruppe vorbehalten. Was steckt hinter einem solchen Urteil für eine Fülle sozialer Versäumnisse! Und doch läßt sich die große Mehrheit in den meisten Gemeinden in solcher Weise „führen“. Es geht hier nicht um das Argument „Vertrauen“! Wo man in solcher Weise „führt“, wird schlichtweg die Zukunft verfehlt.

Mehr und mehr haben verantwortliche Mitarbeiter einer Sache heute ein Bedürfnis nach verbindlichen Regelungen, die Rechte und Pflichten festlegen. Wenn in den Gemeinden das Rechtsleben nicht lebendig wird, erstirbt auch der Wille, Verantwortung zu übernehmen. Warum? Weil man bewußt oder unbewußt fühlt, daß man als Individuum (im Zeitalter der Bewußtseinsseele!) nicht wirklich ernst genommen wird. Das Argument „Kompetenz“ gilt vielleicht für den Durchführungsaspekt einer Sache, niemals aber für die Erkenntnisseite, wo jedem Menschen Urteilsgrundlagen vermittelt werden können (oder reicht die „Kompetenz“ derer, die gerne führen würden, dafür nicht?). Wer Angst hat vor dem „Risiko“, das Gemeindeleben, bis hin zu wirtschaftlichen Fragen, in die selbständige Verantwortung der ganzen Gemeinde zu geben, möge sich selbst fragen, ob er sich umgekehrt der Bedeutung einer schlafenden Gemeinde und der eigenen unterlassenen Hilfeleistung und entsprechenden Schuld auch nur halb bewußt ist. - Wir kennen das von Rudolf Steiner formulierte soziologische Grundgesetz. Wir wissen, daß die Individualisierung mit Recht unaufhaltsam voranschreitet. Je länger Entscheidungsbefugnisse der großen Mehrheit der Gemeindemitglieder vorenthalten werden (bis auf die manchmal veranstaltete „Bestätigung“ von etwas), desto uneingeschränkter trägt man die alleinige Verantwortung auch für eine zunehmende Konsumhaltung gegenüber Gemeindeleben und Kultus. Man mag dies nicht beabsichtigen, es ist aber eine notwendig auftretende Konsequenz!

Das Argument „Vertrauen“ fällt auf einen selbst zurück. Es scheint die Tendenz zu bestehen, alles, was nicht von den Pfarrern ausgeht oder kontrolliert bzw. kontrollierbar ist, schon halb als außerhalb der Gemeinde bzw. „nicht dem Kultus entsprechend“ anzusehen. Gerade das wäre aber ein Rückfall in vorchristliche Verhältnisse.

Ich gehe weiter auf die Frage nach dem Verhältnis von „Geistesleben“ und „Rechtsleben“ ein. Uneingeschränkte Freiheit im Geistesleben hat man als Privatgelehrter, Privatpriester, Privatlehrer. Sobald Geistesleben sich institutionalisiert, durchdringt es sich mit Rechts- und Wirtschaftsleben. Eine Organisation des Geisteslebens hat ein Ziel (wie ein Unternehmen) und ist damit nach außen hin verpflichtet, sich entsprechend zu betätigen. Und sobald Menschen zusammenarbeiten, entstehen Rechtsfragen. Die Dreigliederung ist dem Menschen abgelesen, wie Steiner betont. Genausowenig, wie ein Mensch nur einem der drei Bereiche angehört (also nicht etwa: Lehr-, Wehr-, Nährstand), genausowenig gilt dies für eine Institution. Soll etwa ein Lehrer Effizienz und Rechtsbewußtsein vor dem Schultor ablegen? Die soziale Dreigliederung ist gerade um der unvollkommenen Menschen willen da, weil sie Macht und Egoismus Grenzen setzt. Sie erfordert nicht den sozialen Menschen, sondern sie ermöglicht, daß der Mensch sozial werde (so sagt Steiner etwa: Wer für sich arbeitet, muß allmählich dem Egoismus verfallen. Nur wer ganz für die anderen arbeitet, kann nach und nach ein unegoistischer Arbeiter werden). „Freiheit im Geistesleben“ gibt es ohne Dreigliederung nur für die Besitzer der Macht - mit oder ohne Kompetenz.

Wo Menschen sich begegnen, wird funktionell das Gebiet des reinen Geisteslebens verlassen und das des Rechtslebens betreten. Das Geistesleben bildet nach wie vor kategorial gleichsam den gemeinsamen Hintergrund. In ganz anderer Form als zumeist angenommen fließt es aber auch ganz direkt in das Rechtsleben ein und hat sogar eine ungeheure Bedeutung: All solche Fähigkeiten wie Eingehen auf den anderen, Verabredungen einhalten usw. bilden erst die Grundlage für ein lebendiges Rechtsleben und gehören als Fähigkeiten gleichwohl kategorial zum Geistesleben. Der Einzelne stellt sie in den Dienst des Rechtslebens bzw. der Gemeinschaft, die auf diese Weise erst entsteht. Es geht im Rechtsleben selbst zunächst nicht um alle möglichen Begabungen, sondern um das Sich-begabtmachen-dürfen im Sozialen. Begabt bin ich hier, wenn ich auf „Freiheiten“ verzichte und dem anderen in jeder Hinsicht gleiche Rechte zuspreche. Begabt bin ich, wenn ich die gerade genannten Fähigkeiten selbst übe und ausübe und nach meinen Kräften dazu beitrage, daß diese Fähigkeiten bei jedem Einzelnen in der ganzen Gemeinschaft wachsen können.

Geistesleben trägt nichts Soziales aus sich selbst, es ist auf Erkenntnisausbildung gerichtet. Verabredungen im Geistesleben gibt es nicht. Wo man Vereinbarungen findet, ist man längst im Bereich des Rechtslebens. Schon in dem Moment, wo jemand bereit ist, einem anderen zuhören, wird Rechtsleben gezeugt. Die Fähigkeit zum Zuhören gehört zum Geistesleben, die Bereitschaft, diese Fähigkeit im Sozialen einzusetzen, führt ins Rechtsleben... Ein Handeln im Namen und für die Gemeinschaft ist nur dann sozial berechtigt, wenn die Gemeinschaft dem Handelnden ein wirkliches Mandat zugesprochen hat. Dies erfordert ein wirkliches Rechtsleben, in dem alle Individuen einer Gemeinschaft als Gleiche unter Gleichen zusammentreffen können. Das heißt zum Beispiel auch, daß jeder Vorschläge für ein Mandat machen kann, daß jeder sich zu den Vorschlägen und den Vorgeschlagenen stellen darf und daß das Urteil jedes Menschen gleiche Gültigkeit hat. - Das Geistesleben entscheidet sozial gar nichts! Es teilt mit, es hört zu, es regt an. Alles darüber Hinausgehende ist nicht Geistesleben aus sich. Man habe keine Angst vor dem Rechtsleben und den anderen Individualitäten! Recht als Gesinnung, als Organ und als Technik, zieht aus sich selbst heraus die Grenze zum Geistesleben als solchem (und auf der anderen Seite zum Wirtschaftsleben als solchem). Recht will nichts anderes, als dort sich unter Menschen auszubreiten, wo die Notwendigkeit dazu da ist. Dort, wo es darum geht, dass etwas vereinbart werden soll, das vereinbarungsbedürftig ist. Und vereinbarungsbedürftig ist alles, das nicht unmittelbar aus dem Kultischen entsteht.

Deswegen kann ein „zugelassenes“ Nebeneinander diverser Aktivitäten keinesfalls bedeuten, daß das Rechtsleben überflüssig wird. Wer oder was legitimiert eine Aktivität, wer bestimmt vorliegende Anliegen und Konzepte? Aufgrund welcher Prozesse werden Menschen von wem, wo, wozu, wie lange mit welchen Rahmenbedinungen eingesetzt? - Rechtsleben ist ein ständiges, gleichberechtigtes Vereinbaren  und das Festhalten an Vereinbartem, solange nichts Neues vereinbart wurde. Im Zusammenspiel von Geistesleben und Rechtsleben werden keineswegs individuelle Begabungen reglementiert. Gleichheitsrechte sagen nicht, wer kompetent ist. Sie bedeuten aber, daß die Begabung selbst keinerlei Ansprüche und Freiheiten begründet, sondern daß man Anregungen, Ansichten und Urteile sozial vorzutragen hat. Zunächst müssen individuelle Fähigkeiten in und von der Gemeinschaft erkannt und an-erkannt werden. Die Urteile, die jeder einzelne in die Gemeinschaft einbringt, können sich dann zum Einverständnis verdichten, daß jemand eine von anderen anerkannte Kompetenz nicht nur in seinem, sondern auch im Namen der Gemeinschaft ausüben darf. Gleichheit bedeutet auch die im Sozialen verabredete Gelegenheit zum Nachweis ungleicher Talente. - Wenn ich etwas nur in meinem Namen tue, kann ich dies, solange dem nicht andere Bedürfnisse entgegenstehen. Jeder hat völlige Freiheit darin, einen Vortrag anzubieten. Sobald aber mein Nächster auch einen Vortrag halten möchte, entsteht die Rechtssphäre. Ich stehe vor der Wahl, mich entweder mit Macht durchzusetzen oder Verabredungen zu treffen. Dazu gehört, daß wir der ganzen Gemeinschaft das Recht zusprechen, sich dazu zu äußeren. Möchte Sie beide Vorträge hören? Dürfen sie zeitgleich laufen? Welcher Vortrag soll auf einen weniger geeigneten Termin ausweichen?

Rechtsgleichheit kann mehr, als Mehrheiten herstellen. Wahre Rechtsgleichheit schafft erst die Grundlage für wahre Gemeinschaften und für das konkrete Ringen um die gemeinsamen Ziele, in wirklicher Achtung der Individualität des anderen. Die hier gemeinte Gleichheit ist das Gegenteil von Gleichmacherei oder Gleichschaltung. Von einer Diktatur der Mehrheit kann nur sprechen, wer die Entscheidungsfindung nur auf die Abstimmung begrenzt sieht und wer im Grunde die eigenen diktatorischen Ansprüche nicht durchschaut. Gleichheit im hier gemeinten Sinne und beanspruchte Vorrechte verhalten sich zueinander wie wirklicher Dialog und alles Missionarische. - Ohne das Mysterium von Golgatha gäbe es kein Rechtsleben, das den Namen heute verdiente: Die Anschauung, daß die Menschen gleich sind, ist...im wesentlichen etwas, was erst aus dem Bewußtsein der Epoche um das Mysterium von Golgatha herum hervorgegangen ist (Steiner).

Dies ist die positive Begründung für die Notwendigkeit der Dreigliederung. Die negative ist: Dreigliederung ist notwendig um unser aller Fehler willen. Institutionen und Ämter selbst sind a-moralisch und damit besonders anfällig für menschliche Schwächen. Sie können schnell „von allen guten Geistern verlassen“ werden. Dies scheint vielleicht übertrieben, doch immerhin gilt: Jedes Amt zieht dem Menschen eine luziferische Uniform an (GA 192, S. 181). Das damit - insbesondere bei nicht aus der Dreigliederung hervorgegangenen Strukturen - verbundene Risiko ist mindestens so groß wie jenes, daß in einer wirklich selbständigen Gemeinde ernste Probleme auftreten können. Aber selbst wenn die Führenden sonst moralisch integer sind - sobald sie die Führung beanspruchen und nicht in ganz freier Weise immer wieder zu-gesprochen bekommen, ist zum Beispiel Freiheit im Geistesleben unmöglich. Entweder Bolschewismus über die ganze Erde oder Dreigliederung (GA 196) - dies ist auch auf Institutionen zu übertragen. Das Prinzip der Kooptation ist in diesem Zusammenhang ein Verfahren, welches die Freiheit des Urteils zutiefst einschränkt. Dies sollte inzwischen unmittelbar klar sein. Wenn nicht, muß ich es noch einmal kurz erläutern: Einheitskandidaten hatte auch „die Partei“! Wenn argumentiert wird, kooptierte Kandidaten könne man ja auch ablehnen, muß ich einmal fragen: Wer glaubt ernsthaft, daß eine nennenswerte Zahl von Mitgliedern einen von den Pfarrern vorgeschlagenen Menschen ablehnt? Es gibt ja zu Mißtrauen gar keinen Grund. Was aber mit Recht abgelehnt werden kann - und eben nicht als Mißtrauen fehlinterpretiert werden sollte -, ist das Verfahren, denn dieses verweist jedem Einzelnen das Recht, jene Menschen vorzuschlagen, zu denen (und deren Fähigkeiten) er am meisten Vertrauen hat.

Hierarchie im christlichen Sinne darf nie auf Macht, sondern nur auf Fähigkeiten beruhen. Genauer gesagt darauf, daß die Gemeinschaft einem Menschen, dessen Fähigkeiten sie anerkennt, bestimmte Wirkmöglichkeiten und damit verbundene Pflichten zu-spricht. Zunächst kommt in der Begegnung zwischen Menschen jegliches Gefälle zur Ruhe. Sie können in ihren Fähigkeiten völlig ungleich sein, im Bereich des Miteinander ist damit zunächst überhaupt nichts gesagt. Hier ist alles von der freien Anerkennung untereinander abhängig. Fühlt man das Prinzip der Gleichheit in der hier berührten Rechtssphäre? Dies hat auch Bedeutung für die Frage der Mitgliedschaft: Auch hier gilt grund-legend, daß Mitgliedschaft sich durch das konkrete Dabeisein begründet. Niemand aber kann von außen vollgültig urteilen, inwieweit ein anderer „Mitglied“ sei. Mitgliedschaft hängt in jedem Moment nur von dem eigenen Bewußtseins-Entscheid ab. - Im Bereich des Miteinander darf es keine Hierarchie geben. Man kann sogar davon überzeugt sein, daß Wesenheiten der geistigen Hierarchien bestimmte Menschen (oder einen selber) durchdringen - ein Anspruch auf Gehorsam läßt sich daraus niemals ableiten und einfordern. Die Verantwortlichkeit der Priester für den Kultus - ich wiederhole mich - bleibt davon unberührt. Sie mögen unter sich auch äußerlich eine Hierarchie anerkennen als Abbild der geistigen Hierarchien. Im übrigen gilt aber, daß die Menschheit den neun Hierarchien als ein Reich gegenübersteht. Wo wir wirklich im Menschenreich angekommen sind, darf es Hierarchien nur insoweit geben, wie sie von den Beteiligten als zugesprochene Verantwortlichkeiten immer wieder neu frei geschaffen und anerkannt werden. Die Macht, etwas zu tun, kann einem als Voll-macht immer nur die Gemeinschaft übergeben. Dies ist ein wesentlicher Aspekt des „Nicht ich...“. Der Christus hat den Kultus gestiftet, den wir pflegen wollen. In Ihm gründet aber genauso die Idee der Dreigliederung. Sowohl für diese als auch für jenen ist Er auf die tätigen Menschen angewiesen, die durch ihr Handeln im Kultus und im Sozialen - Seinen Leib bereiten.

Nachtrag: Das Problem der äußeren Rechtsstruktur

Wie ist vor dem Hintergrund des hier Ausgeführten das „äußere“ Recht der Christengemeinschaft zu beurteilen, also ihre Verfaßtheit als Körperschaften? Körperschaften kennen nur „Juristische Personen“ und Amtsträger, wirkliche Menschen kommen allenfalls in einer Präambel vor. Die Individualität und das substanzielle Zusammenwirken von Individualitäten ist mit dieser Rechtsform prinzipiell nicht vereinbar. Eine KdöR (Körperschaft des öffentlichen Rechts) ist ein das Individuum bewußt mißachtendes, autokratisches Rechtsgebilde des barocken Absolutismus, das nicht einmal die seitherige Rechtsentwicklung (z.B. Gewaltenteilung) mitgemacht hat. Man kann eine Rechtsform, die von staatshierarchischem und obrigkeits-staatlichem Denken geschaffen wurde, nicht sich so hinargumentieren, als ob in ihrem Rahmen etwas substantiell anderes möglich wäre. Es ist eine innere Unwahrheit, intern eine andere Praxis zu haben, soweit es möglich ist. Eine falsche Form kann nicht durch Vermeidungshaltungen korrigiert werden. Institutionen haben keine Moral, sondern eine Struktur: entweder autokratisch oder dreigliedrig. Die Form wirkt in jedem Fall auf das Leben zurück. Wenn sich die Menschen innerhalb einer Rechtsform bewegen, die einer Ämterführung autokratische Rechte verleiht, ist dies real wirksam - auch dann, wenn man teilweise auf diese autokratischen Rechte verzichtet. Es ist substantiell etwas anderes, ob eine Institution im Sinne der Dreigliederung organisiert ist, oder ob gewisse Rechte, die die KdöR nicht kennt, von den Amtsträgern dennoch „gewährt“ werden und auf andere Vorrechte, die die KdöR kennt, „verzichtet“ wird. Wer Recht nicht ausüben will, der muß auf das Recht selbst verzichten und nicht auf die Anwendung eines bestehenden Rechtes. Alles andere wird immer mehr von Unheil sein.