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11.07.2002

Israel und die Palästinenser

  • Die Vorgeschichte des Konfliktes
  • Der arabisch-israelische Konflikt
  • Die 90er Jahre: Gespräche, Abkommen, Erklärungen
  • Die Eskalation des Konfliktes seit Ende 2001
  • Ein Schlüssel zu dem Konflikt: Die Siedlungen
  • Schlimmer als Apartheid
  • Scharon, die Attentäter und das israelische Volk
  • Das Verhalten der USA

Die Vorgeschichte des Konfliktes

Der Zionismus als Bewegung zur Errichtung eines jüdischen Staates in Palästina entstand Ende des 19. Jahrhunderts, als es zu massiven Pogromen vor allem in Osteuropa kam. 1880/82 kamen die ersten von dort vertriebenen Flüchtlinge in Palästina an. 1896 erscheint das Buch "Judenstaat" von Theodor Herzl. 1897 wird auf dem ersten zionistischen Kongreß in Basel die Zionistische Weltorganisation gegründet. Mit Ausbruch des ersten Weltkriegs zerbricht das Osmanische Reich. 1920 wird Palästina englisches, Syrien und Libanon werden französisches Mandatsgebiet. In den Jahren 1921-22 entstehen die irakische und ägyptische Monarchie (1932 bzw. 1936 unabhängig), 1923 wird die türkische Republik proklamiert. 1929 kommt es nach zionistischen Provokationen zu den Augustunruhen in Jerusalem (rund 250 Tote). Zu diesem Zeitpunkt leben in Palästina ca. 780.000 Araber und 160.000 Juden.

1931 spaltet sich die zionistische Bewegung, eine Minderheit unter Jabotinsky fordert einen jüdischen Staat (auf beiden Seiten des Jordans). Anfang der 30er Jahre steigt durch den Nationalsozialismus die Zahl der jüdischen Einwanderer sprunghaft auf insgesamt über 400.000 (30% der Gesamtbevölkerung). 1936 kommt es zum arabischen Generalstreik und zu Aufständen, die über drei Jahre lang immer wieder aufflammten und eine wesentliche Rolle für das Nationalbewußtsein der Palästinenser spielten. 1937 empfiehlt die von den Briten eingesetzte Peel-Kommission die Teilung Palästinas in zwei Staaten, was von den Palästinensern abgelehnt wird, ebenso wie einen 1939 vom MacDonald-Memorandum versprochenen gemeinsamen Staat. Auf beiden Seiten nehmen die kompromißlosen, radikalen Kräfte zu.

1945 wird die Arabische Liga gegründet (Ägypten, Syrien, Libanon, Transjordanien, Irak, Saudi-Arabien, Jemen). 1946 werden Syrien, Libanon und Jordanien unabhängig.

Der arabisch-israelische Konflikt

Im Februar geben die Briten die Palästinafrage an die UNO. Ende 1947 wird eine UN-Resolution verabschiedet, die die Teilung Palästinas vorsieht und von Ägypten, Syrien und Irak abgelehnt wird. Es kommt schließlich zum Bürgerkrieg. Am 15. Mai 1948 ruft Ben-Gurion den Staat Israel aus. Einen Tag später greifen die vereinigten arabischen Armeen Israel an und erleiden innerhalb von neuen Monaten eine Niederlage. Der Gaza-Streifen wird ägyptischer, das Westjordanland jordanischer Kontrolle unterstellt, Jerusalem wird geteilt, Israel gewinnt Galiläa und den Negev dazu. Innerhalb eines halben Jahres flieht von 1,3 Millionen Arabern die Hälfte (40% ins Westjordanland bzw. Jordanien, 25% in den Gazastreifen).

1952 kommt in Ägypten Nasser durch einen Putsch der Offiziere an die Regierung. 1956 nationalisiert er den Suez-Kanal, Israel beginnt den Suezkrieg. Nasser ist besonders in den 60er Jahren Symbolfigur des Pan-Arabismus, von dem auch die Palästinenser bis 1967 die Befreiung erwarten. 1958 wird die Fatah in Kuwait u.a. durch Arafat gegründet. 1964 gründet Nasser die PLO (Palästinensische Befreiungsorganisation), die zuerst der ägyptischen Hegemonialpolitik dient.

1967 greift Israel nach Vorrücken arabischer Truppen Anfang Juni im Sechs-Tage-Krieg Ägypten, Syrien und Jordanien an und besetzt den Rest des historischen Palästina (Golanhöhen, West­bank, Gaza-Streifen und Sinaihalbinsel). Die PFLP wird gegründet. In der Schlacht von Karameh am 21.3.68 verliert Israels Armee gegen Fatah-Kämpfer den Mythos der Unbesiegbarkeit. 1968/1969 gewinnt die Fatah in der PLO die Kontrolle, Arafat wird PLO-Präsident. Im Herbst 1970 setzt Jordaniens König die Armee gegen die PLO-Guerilla ein, nachdem radikale Gruppen (v.a. PFLP) autonome Regionen ausgerufen hatte. Im Sommer 1971 wird die PLO vertrieben. Arafat verlegt sein Hauptquartier nach Beirut. Sadat bietet Israel einen vollständigen Friedensvertrag gegen einen Rückzug aus dem ägyptischen Gebiet. Israel lehnt ab und dehnt die Siedlungen auf den nordöstlichen Sinai aus. 1972 verübt die PFLP ein Attentat auf das israelische Olympia-Team in München. In den 70ern beantwortet Israel Raketenangriffe der PLO vom Libanon aus immer wieder mit harten Vergeltungsanschlägen.

1973 greifen Ägypten und Syrien im Oktober Israel an (Jom-Kippur-Krieg). Die OPEC beschließt einen Ölboykott, um die westliche Unterstützung Israels zu beenden. Die PLO orientiert sich um auf ein Zwei-Staaten-Programm. 1974 wird sie auf der arabischen Gipfelkonferenz zum einzig legitimer Vertreter der Palästinenser bestimmt. Arafat spricht vor der UN-Vollversammlung, die den Palästinensern das Recht auf Selbstbestimmung und nationale Unabhängigkeit zuspricht. 1977 kommt in Israel die rechtsnationale Likud-Partei unter Menachem Begin an die Regierung (vorher regierte seit 1949 die Arbeiterpartei). Scharon wird Vorsitzender des Ministerrats für Siedlungsfragen, nach seinen Plänen sollen sich im besetzten Westjordanland und Gaza-Streifen zwei Millionen Israelis niederlassen (damals lebten dort erst 7.000 Siedler). In den folgenden Jahren kommt es immer wieder zu UN-Resolutionen, die von allen Ländern außer Israel und den USA unterstützt werden. Im März 1979 kommt es zum Separatfrieden zwischen Israel und Ägypten in Camp David, Sadat und Begin erhalten den Friedensnobelpreis.[1] Im Iran kommt es zur islamischen Revolution, im Irak wird Saddam Hussein Präsident. 1980 kommt es zum ersten Golfkrieg (Irak-Iran), der acht Jahre dauert.

Im Juni 1982 marschiert Israel nach einem Attentat auf den Botschafter in London in den Libanon ein und bombardiert in Beirut die palästinensischen Stellungen. Als im September der christlich-libanesische Präsident nach dreiwöchiger Amtszeit ermordet wird, besetzt Israel West-Beirut und deckt ein Massaker christlicher Milizen in den Flüchtlingslagern von Sabra und Shatila, worauf Verteidigungsminister Scharon zurücktreten muß.[2] Arafat verlegt sein Hauptquartier nach Tunis. 1983 wird Yitzak Schamir neuer Präsident Israels. Scharon treibt als Siedlungsminister den Bau von Siedlungen im Westjordanland voran. Arafat und Jordaniens König Hussain scheitern mit Friedensinitiativen an der Ablehnung radikalerer PLO-Gruppierungen, die von Syrien unterstützt werden. Die PLO büßt international durch Entführungen eines Luxusdampfers und eines Passagierflugzeuges an Glaubwürdigkeit ein. Die Zwischenfälle in den besetzten Gebieten steigen an. 1985 führt Verteidigunsminister Rabin die Administrativhaft wieder ein. Nachdem Israel das Hauptquartier der PLO in Tunis bombardiert hat, beginnt diese, den größten Teil ihrer Truppen in den Irak zu verlegen. - Ein LKW-Unfall, bei dem im Dezember 1987 vier Palästinenser getötet werden ist Auslöser für die erste Intifada in den besetzten Gebieten. Bis 1993 sterben 1.500 Palästinenser. 1988 proklamiert der palästinensische Nationalrat in Algier einen unabhängigen Staat, in dem man in friedlicher Koexistenz mit Israel leben wolle. Vor der UN-Vollversammlung verurteilt Arafat jeglichen Terrorismus, die USA nehmen erstmals direkte Gespräche mit der PLO auf. Ende der 80er erstarken wegen der desolaten Situation fundamentalistische Gruppierungen wie Islamischer Dschihad und Hamas. Im Mai 1990 scheitert eine Friedensinitiative von US-Außenminister James Baker an Yitzak Shamir. Im Herbst 1991 eröffnet die Madrider Friedenskonferenz direkte Friedensgespräche zwischen Israel und Syrien, Libanon, Jordanien und den Palästinensern.

Die 90er Jahre: Gespräche, Abkommen, Erklärungen

Mitte 1992 wird Yitzhak Rabin (Vorsitzender der Arbeiterpartei) Ministerpräsident. Seine Koalitionsregierung erkennt die Formel „Land für Frieden“ als Grundlage für die bisher stockenden Verhandlungen an und beendet den Siedlungsbau in den besetzten Gebieten. 1993 kommt es nach Geheimverhandlungen in Oslo im September zur gegenseitigen Anerkennung von Israel und PLO und zum Autonomieabkommen für Gaza und Jericho. Es entsteht die Palästinensische Autonomiebehörde für eine Selbstverwaltung in West-Bank und Gaza-Streifen. Die volle Kontrolle hat die PA nur in den Städten außer Ostjerusalem, die jüdischen Siedlungen und i.a. das dünn- bzw. unbesiedelte Land (Zone C) stehen unter alleiniger Kontrolle Israels.

Von Anfang an gab es auf israelischer Seite zwei verschiedene Anschauungen. Die Mehrheit der israelischen Gesellschaft war der Kriege überdrüssig. Außenminister Yosi Beilin befürwortete eine Annexion von etwa einem Drittel der besetzten Gebiete und jordanische Herrschaft oder Selbstverwaltung für den Rest. In der Armee lebte dagegen nach wie vor der Mythos von der „Rückgewinnung des (heiligen) Landes“. Diesen Pol vertrat vor allem Generalstabschef Ehud Barak sowie Scharon (dessen Partei gerade in der Opposition war). Scharon war als letzter Führer der „48er Generation“ eine legendäre Figur in der Armee, viele Generale wie Barak waren seine Schüler. Die erste Auffassung wünschte sich ein palästinensisches Günstlingsregime, wobei Arafat für die Sicherheit Israels verantwortlich sein sollte; die andere setzte auf den Zusammenbruch der PLO durch ein stetiges erzwungenes Nachgeben von Arafat. Von Anfang an warnte u.a. die Hamas, daß Israel versucht, einen Bürgerkrieg zu provozieren. Alle Elemente der palästinensischen Gesellschaft kooperierten, um Konflikte zu entschärfen, und konnten wichtige Institutionen und Infrastruktur aufbauen.

Im Juli 1994 wird in Washington der Kriegszustand zwischen Israel und Jordanien nach 46 Jahren beendet. Am 28. September 1995 erweitert das Interimsabkommen (Taba-Abkommen oder Oslo II) die Selbstverwaltung in West-Bank und Gaza-Streifen und schafft die Grundlage für eine gewählte Instanz, den Palästinensischen Rat. Viele Palästinenser kehren aus dem Exil in den Gazastreifen und das Westjordanland zurück. Auch die Wirtschaft entwickelte sich, u.a. durch umfangreiche Hilfe aus Europa.

1995 wird Yitzak Rabin ermordet, nachdem wenige Tage zuvor die Siedler-Lobby gegen ihn eine bösartige Kampagne eröffnet hatte, weil er es als einziger Ministerpräsident gewagt hatte, sich ernsthaft mit ihnen anzulegen. 1996 wird Netanjahu Ministerpräsident und macht Scharon zum Außenminister. Im Gespräch mit Clintons Sicherheitsberater gesteht er einem Palästinenserstaat etwa die Hälfte des Westjordanlands zu.

Im Oktober 1998 wird bei Washington über die überfällige Implementierung von Oslo II verhandelt. Israel sagt Abzug aus weiteren 13% des Westjordanlands und Freilassung von 750 Palästinensern zu. Die PA verpflichtet sich, Anschläge zu verhindern.

1999 wird Barak Ministerpräsident, bald gefolgt von Scharon. Beide wirkten bei den Wahlen zusammen, um zivile Kandidaten zu verhindern. Beide verbreiten die Überzeugung, daß die Palästinenser nicht bereit seien, in Frieden zu leben, und Israels Existenz bedrohten. Barak hinterläßt Scharon die höchste Anzahl von Wohnungsgründungen in den besetzten Gebieten seit der Zeit, als dieser 20 Jahre vorher Siedlungsminister war. Die Palästinenser im Westjordanland sind in über 200 verstreuten Siedlungen eingesperrt.

Im Juli 2000 kommt es zum Gipfel von Camp David zwischen Clinton, Arafat und Barak. Clinton und Barak bieten den Palästinensern einen kleinen Teil von Ostjerusalem und im Westjordanland drei voneinander getrennte Kantone unter israelischer Kontrolle an, das Schicksal des Gazastreifens blieb vorläufig offen. Nach zwei Wochen werden die Verhandlungen ergebnislos abgebrochen. Der Weltöffentlichkeit erzählt Barak, er habe Arafat 95% der besetzten Territorien angeboten. In Israel verbreitete er die Überzeugung, er habe alles versucht, doch Arafat habe alle Angebote zurückgewiesen. Es entstand der Mythos, es gebe keinen Partner für den Frieden. Tatsächlich sollten die Palästinenser ein staatliches Gebilde aus vier durch Siedlungsblöcke voneinander getrennte Gebiete akzeptieren.

In dem siebenjährigen „Friedensprozeß“ zwischen Oslo und Camp David war ein Zustand entstanden, der schlimmer war als die uneingeschränkte militärische Okkupation zuvor. Vor Oslo hatte Außenminister Peres versprochen, die Besiedlung einzufrieren, worauf Arafat sie nicht zum Verhandlungsthema machte. Nach Oslo verdoppelte sich die Zahl der Siedlungen, es entstanden großzügige Umgehungsstraßen, die die Autonomiege­biete in zahllose Enklaven zerschnitten.

Mehrere Wochen später werden von der Polizei sieben Demonstranten erschossen, worauf sich täglich blutige Zusammenstöße ereignen. Im September kommt es am selben Tag, als zwei Israelis umgebracht werden, zu Scharons provozierendem, bewaffnetem Besuch auf dem Tempelberg. Es folgen wochenlangen Straßenkämpfe in den besetzten Gebieten. Mitte Oktober treffen sich in Taba (Ägypten) Clinton, An­nan, Solana und Mubarak mit Barak und Arafat. Beide Seiten vereinbaren ein Ende der Gewalt, Israel stellt einen Armeeabzug in Aussicht. Im übrigen behauptete Barak, Arafat habe die Gespräche abgebrochen. Der EU-Friedensbotschafter Miguel Angel Moratinus jedoch bezeugt, daß sich beide Parteien dramatisch angenähert hatten und Barak es war, der abbrach.

Die Eskalation des Konfliktes seit Ende 2001

Zunächst sah es im Herbst so aus, als würde sich die Lage beruhigen. Anfang September stellte die Hamas auf Druck der PA die Anschläge in Israel ein. Israel zog sich aus Hebron zurück. Dann aber kommt es Mitte Oktober zur Ermordung des israelischen Tourismusministers Seevi durch die PFLP.[3] Obwohl die PA das Attentat verurteilt, bricht die Regierung Scharon den politischen Kontakt ab und verhängt eine Blockade des Westjordanlands. Die Aktionen der israelischen Seite folgten in den nächsten Monaten zumeist auf entsprechende Attentate einzel­ner Palästinenser. Doch liefen die Reaktionen Israels zunehmen darauf hinaus, mit aller Gewalt der überlegenen Militärmaschinerie den Widerstand der unterdrückten Palästinenser zu brechen.

Am 18.10. tötet ein israelischer Anschlag einen gesuchten Milizenführer, dessen Anhänger eine jüdische Siedlung am Rand von Ost-Jerusalem beschießen. Darauf rücken israelische Panzer in Bethlehem ein. Am 21.10. verbietet die PA die PFLP offiziell. Anfang November spricht sich Arafat erneut für internationale Beobachter aus, was Israel ablehnt. Mitte November ruft der UN-Sicherheitsrat Israel zum Abzug aus allen Städten des Autonomiegebietes auf. Scharon macht deutlich, daß vor einem Verhandlungsbeginn die Gewalt ein Ende haben müßte (unterdessen drang die Armee erneut vor). Der UNICEF-Gesandte und Amnesty International werfen Israel massive Mißhandlungen palästinensischer Minderjähriger in israelischen Gefängnissen bzw. zunehmenden Gebrauch von Folter vor.

Die folgende Entwicklung kann hier nur an ihren wichtigsten Stationen skizziert werden. Ende November wirft Außenminister Peres Scharon eine einseitige Konzentration auf Sicherheitsfragen vor. Seit Beginn der zweiten Intifada starben bis dahin innerhalb von 14 Monaten fast 1.000 Menschen, davon 782 Palästinenser (weitere 25.000 wurden verletzt). Anfang Dezember sterben 26 Israelis bei Attentaten in Jerusalem in Haifa. Die israelische Armee zerstört den Hubschrauberlandeplatz am Wohnsitz von Arafat in Gaza. Bush betont das Recht Israels auf Selbstverteidigung. Im Westjordanland wird die Nutzung der Straßen verboten. Am 4.12. wird die PA zu einer den Terrorismus unterstützenden Organisation erklärt. Das Hauptquartier in Ramallah und Polizeistationen in Gaza werden beschossen. Die UN-Generalversammlung kritisiert die Angriffe, Frankreichs Außenminister Védrine wirft Israel eine zielgerichtete Eskalationspolitik vor. Am 13.12. untersagt Israel Arafat das Verlassen Ramallahs. Die USA legen ihr Veto gegen eine UN-Sicherheitsrats-Resolution ein, die sich für Verwirklichung des Mitchell-Plans und Entsendung internationaler Beobachter aussprach (sie ziele darauf, Israel politisch zu isolieren; das Veto fällt in eine dreiwöchige Periode, in der nur ein israelischer Soldat und 21 Palästinenser getötet wurden). Die Yediot Aharonot bringt ein Interview mit Peres: Über einige von Scharons Militäroperationen bin ich entsetzt... Eine am 20.12. von der UN-Vollversammlung verabschiedete Resolution zur Entsendung internationaler Beobachter wird von Israel zurückgewiesen.

Am 11.1. zerstört Israel über 70 Wohnhäuser, beschießt den Hafen von Gaza und zerstört die Landebahn, nachdem ein Kommando des Islamischen Dschihad drei israelische Soldaten erschossen hatte. Spaniens Außenminister und EU-Ratspräsident Piqué kritisiert die israelischen „Vergeltungsmaßnahmen“. Mitte Januar werden bei einer Familienfeier sechs Israelis getötet, am 19.1. wird der Radiosender „Stimme Palästinas“ in Ramallah gesprengt, Arafat bittet um internationale Hilfe. Die EU prüft Schadensersatzforderungen an Israel für Schäden von rund 17 Mio € durch die Zerstörung von mit EU-Mitteln subventionierten Einrichtungen. Ende Januar demonstrieren auf Aufruf von „Frieden Jetzt“ Tausende Israelis in Tel Aviv gegen Scharon. 50 junge Reserveoffiziere kündigen an, künftig keinen Dienst mehr in den besetzten Gebieten zu tun.[4] Mitte Februar feuert die Hamas erstmals eine selbstgebaute Rakete auf israelisches Gebiet, ein aus Düngemitteln gebastelter Sprengsatz zerstört den ersten Panzer. Als sechs israelische Soldaten bei einem Anschlag sterben, folgt erneut eine schwere Vergeltung und erstmals der Beschuß von Arafats Hauptquartier in Gaza. Anfang März liegt die Zahl der Todesopfer schon bei 1.360 (davon 1.028 Palästinenser), darunter laut UNICEF 40 israelische und 205 palästinensische Kinder (von denen weitere 7.000 verletzt wurden). Am 7.3. wird ein UN-Mitarbeiter der UNRWA (Hilfsorganisaiton für palästinensische Flüchtlinge) in einem Krankenwagen erschossen. Die Krankenhäuser müssen mittlerweile „normale Kranke“ zurückweisen um die vielen Verletzten zu behandeln.

Ende März werden bei einem Anschlag 20 Israelis getötet, worauf am 29.3. Panzer in Ramallah einrücken und Arafats Hauptquartier belagern. Das Kabinett beschließt die „Operation Schutzwall“. Bush kommentiert die Angriffe als „wenig hilfeich“. In Jordanien, Bahrein und Libyen demonstrieren 10.000e. Am 3.4. rückt die Armee im Flüchtlingslager Dschenin ein. Italienische Friedensaktivisten werden schon auf dem Flughafen wieder ausgewiesen. Der UN-Sicherheitsrat fordert erneut den Rückzug Israels. Bush tut dies ebenfalls, sagt aber zugleich, Arafat habe seine Chancen verpaßt und die Hoffnungen der Menschen verraten. Der EU-Ratsvorsitzende Piqué spricht von einer „humanitären Katastrophe“ in den Autonomiegebieten und fordert den sofortigen Abzug. In Dschenin geben die letzten Palästinenser nach einer Woche den Widerstand auf, das Zentrum wurde völlig dem Erdboden gleichgemacht, Schätzungen sprechen von mindestens 500 Toten. Mitte April bleibt ein Einreiseantrag der UN-Menschenrechtskommissarin Robertson unbehandelt. Die New York Times berichtet, wie die Menschen in Dschenin als Schutzschilde benutzt wurden und wie Verhaftete in den ersten 18 Tagen keinen Anwalt konsultieren dürfen (beides Verstöße gegen die Genfer Konventionen und daher Kriegsverbrechen). UNRWA berichtet über die Verhinderung von Wasser- und Lebensmittellieferungen. Am 19.4. beschließt eine UN-Resolution die Entsendung einer Untersuchungskommission nach Dschenin. Israel protestiert wenig später gegen deren Zusammensetzung. Ende April empfiehlt Kofi Annan die Auflösung aufgrund Israels Forderungen (Interviews nur mit Soldaten, denen Israel die Aussage genehmigt. Die Aussagen sollten für ein internationales Gericht nicht verwendbar sein. Die Kommission sollte aus ihren Ermittlungen keine Schlüsse ziehen).

Anfang Mai sichert der US-Kongreß Scharon „uneingeschränkte Unterstützung“ zu. Mitte Mai demonstrieren in Tel Aviv rund 100.000 Israelis für den Rückzug der Armee. US-Vizepräsident Cheney gibt zu, daß es anti-israelische Attentate gibt, die sich Arafats Kontrolle entzögen. Anfang Juni sterben bei einem Anschlag 17 Israelis, der Islamische Dschihad bekennt sich. Arafat dringt auf eine baldige Nahostkonferenz, die palästinensische Polizei nimmt den Chef des Islamischen Dschihad im Gazastreifen fest. Scharon bekräftigt, es werde keinen Frieden geben, bis die Terroranschläge aufhörten und Arafat ersetzt sei. Mitte Juni sterben erneut 20 Israelis in einem Linienbus. Tony Blair sagt in London: „Solange es junge Leute gibt, die keine andere Hoffnung haben, als sich in die Luft zu jagen, kann es keinen Fortschritt geben“. Nach einem weiteren Anschlag rückt die israelische Armee wieder in Bethlehem und Tulkarem ein, Tausende Reservisten werden einberufen. Am 24.6. fordert Bush in seiner zunächst verschobenen Nahost-Rede die Palästinenser auf, sich „eine neue Führung zu wählen“, die nicht durch ihre „Beteiligung am Terrorismus“ kompromittiert sei. Die Palästinenserführung kündigt Wahlen für Mitte Januar 2003 an. Ende Juni sprengt die Armee das palästinensische Hauptquartier in Hebron, von den dort vermuteten 15 Fatah-Mitgliedern fehlt jede Spur.

Ein Schlüssel zu dem Konflikt: Die Siedlungen

Im Gazastreifen leben 1,2 Mio Palästinenser - meist in Flüchtlingslagern - und etwa 7.000 jüdische Siedler. Dennoch beanspruchen letztere etwa ein Drittel der rund 224 Quadratkilometer. Die Siedlungen befinden sich in den Gebieten mit den besten Wasserquellen, viel Wasser wird nach Israel abgepumpt, vieles anderes wird teuer an die Palästinenser verkauft. Im Westjordanland leben rund 200.000 Siedler. Die rund 200 Siedlungen nehmen nur 2% der Fläche in Anspruch, doch 40% unterstehen ihrer Verfügungsgewalt. Die Landverteilung ähnelt einem Schweizer Käse, nur daß nicht die Israelis, sondern die Palästinenser in rund 200 voneinander getrennte Löcher eingesperrt sind. Auf jedem Siedlerhaus steht eine Gefechtstation, doch schon längst wurden die Enklaven der Palästinenser immer hermetischer abgeriegelt.

Nach internationalem Völkerrecht handelt es sich eindeutig um besetzte Gebiete. Die Genfer Konventionen gestehen der Bevölkerung in solchen Fällen das Recht auf militärischen Widerstand zu. Die Siedlungen sind bereits ein Kriegsverbrechen (Art. 49 der IV. Genfer Konvention besagt: Weiterhin darf die Besatzungsmacht keine Zivilisten ihres eigenen Landes in die besetzten Gebiete verschleppen oder verschicken).

Warum kamen die Siedler in die palästinensischen Gebiete? Ein kleinerer Teil kam von vornherein wegen der Anschauung, daß ganz Palästina den Juden zustehe. Einige andere kamen, weil sie gerade einen israelischen Staat vor der Ankunft des Messias ablehnen. Ein ganz beträchtlicher Teil aber kam - oft aus mittleren und unte­ren Einkommensschichten -, weil die Regierung verlockende Finanzierungsange­bote für Eigenheime in den besetzten Gebieten machte (was u.a. dank der Subventionen aus den USA möglich war). Vor Ort verwandelten sich ihre Hoffnungen auf ein besseres Leben in einen Albtraum, und fast alle reagierten mit einem politischen Rechtsruck.

Die überwältigende Mehrheit der Siedler wählte Scharon. Dieser hatte seinerseits schon 1977 die Siedlungen vorangetrieben und nun als Minsterpräsident erneut den Bau von 35 Erweiterungen genehmigt. Obwohl sogar die Armee ihm die Aufgabe einiger abgelegener Siedlungen empfahl, erklärte er, solange er im Amt sei, werde keine einzige aufgelöst und nahm zwei neue Minister aus der Nationalreligiösen Partei in sein Sicherheitskabi­nett auf. Die Siedlungen sind die Brutstätte eines „großisraelischen“ Nationalismus. Im Siedlerrat, der erheblichen Einfluß auf die Kabinettsentscheidungen hat, geben die Fundamentalisten heute den Ton an.

Umgekehrt zwingen die Siedlungen immer mehr der gesamten israelischen Politik ihre Logik auf. Die Realität in den besetzten Gebieten hat schon lange jedes friedliche Zusammenleben unmöglich gemacht. Israel hat zu lange das oberste Ziel verfolgt, die Siedlungen zu fördern und zugleich ihre Sicherheit ständig zu erhöhen, ohne sich einen einzigen Augenblick auch nur um die grundlegendsten Menschenrechte der Palästi­nenser zu kümmern. Israel kann weder vor noch zurück, solange es nicht die Siedler zurückruft. Es ist die israelische Besatzungsrealität selbst, die die Selbstmordattentäter hervorbringt. Da macht es keinen Unterschied, daß auch Arafat im März auf die Gewalt hoffte, als er rief, man brauche „tausend Schahids (Selbst­mordatten­tä­ter)“. Er hätte dies gar nicht tun brauchen.

Schlimmer als Apartheid

Für den Beginn der zweiten Intifada waren weder das Scheitern der Verhandlungen, noch der Besuch auf dem Tempelberg der eigentliche Grund, sondern der tägliche Alltag in den besetzten Gebieten: Die Arbeitslosigkeit (60%), die Ausgangsverbote, Straßensperren. Krankenwagen mit Schwangeren wurden stundenlang aufgehalten; Lebensmittel verrotteten in gestoppten Lastwagen; die Konfiszierung und Zerstörung des Landes zugun­sten der Siedlungen und der Umgehungsstraßen geht endlos weiter... Christian Salmon, Gründer und Geschäfts­führer des Internationalen Schriftstellerparlaments, schreibt nach einer Reise Ende März 2002:

Was in Palästina auffällt, ist die Gewalt gegen das Land, gegen das Territorium. Ruinen, so weit das Auge reicht, verwüstete Hügel, abgeholzte Bäume. Zerfetzte Landschaften. ... Längst haben Beton und Asphalt diese Kulturlandschaft verschandelt, die zu den schönsten der Welt gehörte. Die Hügel sind zerschnitten durch „Umgehungsstraßen“, die den sicheren Zugang zu den israelischen Siedlungen gewährleisten sollen; rechts und links dieser Trassen wurden Häuser abgerissen, Olivenhaine abgeholzt, Orangenplantagen zerstört, nur um das Sichtfeld zu verbessern. Nun erstreckt sich hier ein Niemandsland, von Wachtürmen überragt. Und die Planierraupen am Straßenrand erscheinen plötzlich kriegswichtig wie die Panzer. Nie zuvor ist mir eine einfache Baumaschine derart als Symbol eines umfassenden Zerstörungswillens vorgekommen. ...

Kürzlich hat die Europäische Kommission eine Schadensliste erstellt, die nur die von der EU und ihren Mitgliedsstaaten finanzierten Infrastruktureinrichtungen einbezog. Dennoch eine umfangreiche...Liste, die unter anderem den Hafen und den internationalen Flughafen von Gaza, den Radiosender „Stimme Palästinas“ in Ramallah, das Hotel Intercontinental in Bethlehem und ein gerichtsmedizinisches Institut verzeichnete, außerdem zahlreiche kommunale Einrichtungen: Schulen, Wohnhäuser, Straßen, Kanalisation, Müllverbrennungsanlagen, aber auch das Büro eines Projekts für Friedenszusammenarbeit (in Dschenin), die Wiederaufforstung in Beit Lahia, das Amt für Statistik in Ramallah und Bewässerungsanlagen in Jericho. Soll man ernsthaft glauben, die siebzehn Einrichtungen, aus deren Zerstörung die Kommission eine Schadensbilanz von 17,29 Millionen Euro errechnet, seien allesamt Schlupfwinkel der Terroristen gewesen?

Bei Rafah haben wir ein Dorf direkt an der Grenze zu Ägypten besucht, das dem Erdboden gleichgemacht war. Wir liefen über die Grundmauern der eingestürzten Häuser. Unter unseren Füßen: Schulhefte, Küchengeräte, eine Zahnbürste. ... Eine Frau erzählte, dass den Bewohnern nur fünf Minuten Zeit gegeben wurde, den Ort zu verlassen. Und das mitten in der Nacht. Dann kamen die Planierraupen, ... Auf den Wachtürmen sitzen keine Soldaten. Dort sind Maschinengewehre installiert, die mit Infrarotzielfernrohren das Gelände überwachen und nachts, wenn irgendwo ein Licht angeht, zu schießen beginnen. Automatisch. ...

Jedes Mal wenn ein Siedler im Auto unterwegs ist, kommt es auf den Straßen in der Umgegend zu kilometerlangen Staus, weil an de israelischen Checkpoints der Verkehr blockiert wird. In Gaza sahen wir durch meterhohe Mauern gesicherte Straßen und eine noch im Bau befindliche Brücke, die eines Tages weit über das besetzte Gebiet hinwegführen soll. ... Von Ramallah nach Gaza führt ohnehin kein Weg mehr, aber auch innerhalb des Gaza-Streifens dauert eine Fahrt von einem Ort zum anderen mitunter länger als eine Reise von Tel Aviv nach New York. ... Innerhalb weniger Jahrzehnte sind die Israelis von der Utopie der Kibbuzim zur Atopoie der Siedlungen übergegangen. Die Wüste zum Blühen zu bringen war die Parole der 60er Jahre, als die Kibbuz-Bewegung noch überzeugend wirkte. Inzwischen hat sich das biblische Land in eine Wüste, ein Niemandsland, ein Schlachtfeld verwandelt.

Am 29. April 2002 vergleicht Südafrikas Erzbischof Desmond Tutu die Demütigung der Palästinenser mit der früheren Apartheid und bedauert, daß sich diejenigen dem Verdacht des Antisemitismus ausgesetzt sehen, die es wagen, „das Falsche als falsch zu bezeichnen.

Scharon, die Attentäter und das israelische Volk

Eine nach dem Beginn der neuen Intifada eingesetzte internationale Kommission unter US-Senator George Mitchell bezeichnet in ihrem Abschlußbericht den Siedlungsstopp ausdrücklich als Vorbedingung für ein Ende der Gewalt und die Rückkehr an den Verhandlungstisch. Scharon, der im Februar 2001 zum neuen Ministerpräsidenten gewählt wurde, bewilligte weitere 400 Mio $ für den Ausbau der Siedlungen...

Viele der Selbstmordattentäter sind in einem der elenden Flücht­lings­lager am Rand der Städte aufgewachsen. Der Antrieb eines solchen jungen Menschen ist vor allem Wut und Ohnmacht. Vielleicht wurden Vater oder Mutter an einem Checkpoint gedemütigt, vielleicht hat er einen Onkel, dessen Land enteignet wurde oder der im Gefängnis ums Leben kam, vielleicht wurde sein Cousin erschossen. Als die Israelis 1967 das Westjordanland besetzten, wurden die Israelis nicht mit Wut begrüßt, eher mit „Have a cup of coffee“, kleine Jungen rannten hinter den Panzern her: „Schalom, Schalom“. Es hat 20 Jahre gedauert, bis die Jungen dann 1982 Steine warfen.

Heute fordert Scharon ein Ende der Attentate als Vorbedingung für neue Verhandlungen. Er fordert, daß die Attentate aufhören, bevor er darüber verhandelt, vielleicht dasjenige zu beenden, was die Attentate erst hervorbringt: Die menschenunwürdiger Realität der Besetzung.

Wenn in Umfragen ein großer Teil der israelischen Bevölkerung Scharon und seine Strafexpeditionen unterstützt, muß man sich vor allem darüber klar sein, daß seit Jahren an dem Mythos gewirkt wurde, ein Friede mit den Palästinensern sei unmöglich. Ein übergroßer Teil der Bevölkerung ist des jahrzehntelangen Konfliktes müde, und eine Mehrheit unterstützt ebenso den saudischen Friedensvorschlag, der mit einem Rückzug aus den besetzten Gebieten verbunden wäre. Schon vor 20 Jahren befürwortete eine Mehrheit sowohl die Vertreibung aller Palästinenser als auch den Rückzug. Die Erklärung dieses Paradoxons liegt eben in jenem Mythos, der von Menschen wie Barak und Scharon aufgebaut wurde. Die Mehrheit der Israelis will den Rückzug, wenn es dann Frieden gibt; sie will den Frieden, glaubt aber nicht, daß er möglich ist. Und deswegen unterstützt sie Scharon, weil der Krieg führen kann.

Das Verhalten der USA

Die USA unter Bush unterstützen vorbehaltlos die Politik Scharons. Im Januar 2001 wurde George W. Bush als neuer US-Präsident vereidigt, nachdem er in den Monaten zuvor unter zweifelhaften Umständen und mit Hilfe einer denkbar knappen Entscheidung des Obersten Gerichts die Präsidentschaftswahlen für sich entscheiden hatte. Eine seiner ersten Amtshandlungen betraf eine Lieferung von Apache-Militärhubschraubern an Israel. Arafat ist für Bush einerseits in Hindernis, weil sein Name mit den Oslo-Verträgen verbunden ist, andererseits war er bisher der Garant dafür gewesen, daß der Konflikt nicht eskalierte - ohne ihn besteht die Gefahr, daß ein Chaos ausbricht. Für die USA ist Israel maßgeblicher Bundesgenosse im Antiterrorkrieg. Umgekehrt versucht Israel seit 20 Jahren die USA zu überzeugen, daß Iran und Irak durch ihre ABC-Waffen eine Bedrohung darstellen. Für Palästina interessieren sich die USA überhaupt nur, weil sie fürchten, der Konflikt könne auch Irak und Jordanien, Syrien und Libanon hineinziehen. Ende 2001 gibt sich Bush gegenüber Scharon mit der Forderung zufrieden, daß Arafat nicht getötet werde. Israel erklärt die Autonomiebehörde für eine Terrororganisation und zerstört nach und nach wichtige Teile der Infrastruktur. Als Ende März Ramallah besetzt und Arafats Zentrale belagert wird, kommt es innerhalb von zwei oder drei Tagen zu großen Demonstrationen in den arabischen Ländern (in kleinerem Ausmaße sogar in Saudi-Arabien, Bahrain etc.), und Powell bricht plötzlich zu einer Nahostreise auf, jedoch nicht ohne Israel selbst noch eine Woche Zeit für die Zerstörungen im Flüchtlingslager Dschenin zu lassen.

Ein wichtiger Faktor ist auch Saudi-Arabien, zugleich arabischer Staat und Verbündeter der USA. Kronprinz Abdallah hat 2001 mehrmals die rein proisraelische Haltung der USA scharf und wirkungsvoll kritisiert, worauf Bush ihm versprach, sich nach wie vor für eine Nahost-Lösung durch Gründung eines Palästinenserstaats einzusetzen. Andererseits will der Clan der Al-Sauds auf die rund 5.000 US-Soldaten in seinem Land nicht verzichten. Die Mehrheit der Bevölkerung jedoch verabscheut die USA, zumeist wegen des Palästinakonflikts (1995-96 starben US-Soldaten bei Anschlägen).

Interessant ist, daß Bush verschiedene Regime zu Schurkenstaaten stempelt, die Massenvernichtungswaffen entwickeln würden, daß aber sowohl die USA als auch - in der Region - Israel die uneinholbar hochgerüstetsten Staaten sind. Israel erhielt unter Nixon bis Reagan Atomtechnologie. Bis Mitte der 80er Jahre schätzten Geheimdienste Israels Kernwaffenbestand auf etwa 25, nach Enthüllungen eines Atomtechnikers kam man auf 200. Nach Angaben der Sunday Times hat Israel auch B- und C-Waffen mit hochentwickelten Trägersystemen produziert und arbeitet sogar an einer Ethnobombe, bei der Mikroben nur Menschen mit einem Gen befallen, das manche Araber haben.

Fußnoten

 


[1] Das Abkommen sieht den Rückzug der israelischen Armee auf Sicherheitspositionen, das Ende der Militärverwaltung in West-Bank und Gaza-Streifen, eine palästinensische Selbstverwaltung für fünf Jahre und Verhandlungen über eine endgültige Regelung nach drei Jahren vor. Dennoch lehnen die Palästinenser die Vereinbarungen kompromißlos ab, da sie weder das Recht auf Selbstbestimmung, noch die PLO oder Verhandlungen über Ost-Jerusalem erwähnen.

 

[2] Scharon hatte schon bei der ersten Invasion das Kabinett getäuscht, indem er am 4.6. versicherte, man werde nur eine 40km-Sicherheits­zone schaffen. Als am 20.8. auf Druck der US-Regierung der Abzug der Palästinenser ausgehandelt wurde, hatte man Arafat auch zugesichert, daß den Flüchtlingslagern keine Gefahr drohe.

 

[3] Die Tat war eine „Vergeltung“ für die Tötung des PFLP-Vorsitzenden durch israelische Raketen Ende August. Seevi hatte zwei Tage zuvor aus Protest gegen den Abzug aus Hebron seinen Rücktritt eingereicht. Er war zugleich Chef der rechtsradikalen Nationalen Union und hatte Palästinenser wiederholt als Läuse und Krebsgeschwür bezeichnet.

 

[4] Auf einer Demonstration linker Friedenstruppen am 9.2. sagt ein Reservist: Erst wenn wir die besetzten Gebiete betreten, werden wir mit der schrecklichen Realität konfrontiert. Wir sehen Menschen, die frustriert und arm sind und manchmal kaum etwas zu essen haben. Dann bekommen wir unsere Befehle, was bedeutet, daß wir sie weiter in die Würdelosigkeit und ins Elend stoßen.