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28.07.2002

Korruption, Dreigliederung und die Anthroposophen

am Beispiel des Bankenskandals in Berlin

Am 9. April übernahm das Bundesland Berlin Risiken in zweistelliger Milliardenhöhe für die Bankgesellschaft Berlin, ein juristisch höchst zweifelhaftes Konstrukt aus privatwirtschaftlicher Holding mit öffentlich-rechtlichen Teilen. Die Bankgesellschaft hatte mit dubiosen Immobilienfonds Traumrenditen garantiert und entsprechende Verluste gemacht. Die Verantwortung tragen führende Politiker der beiden großen Parteien. Was ist der Hintergrund des Skandals?


Berlin hatte insbesondere vor der Wiedervereinigung Deutschlands eine Sonderrolle durch riesige Subventionen (über 50% der Gesamtausgaben der Stadt). Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund entstand u.a. im Bereich des sozialen Wohnungsbaus ein unglaublicher Korruptionssumpf in Zusammenhang mit Auftragsvergabe, Subventionen etc. - Zunächst waren insbesondere führende Köpfe der Sozialdemokraten (SPD) als stärkste Partei verwickelt, Mitte der 70er Jahre wurden die Christdemokraten (CDU) eingebunden, und es entstand der sogenannte „Große Filz“. Finanzsenator Riebschläger und CDU-„Partner“ Landowsky lenkten ab 1978 gemeinsam als Vorstand der Wohnungsbaukreditanstalt die Subventionsströme. 1985 wurde z.B. bekannt, daß Riebschläger rund 65.000 € Barspenden von einem Bauunternehmer angenommen hatte. Anfang der 90er wurde der neue SPD-Landesvorsitzende Staffelt die tragende Säule im SPD-Filz, Riebschläger übernahm einen Aufsichtsratsposten in einer der kommunalen Wohnungsbaugesellschaften (auch diese gut dotierten Posten teilten die Spitzenpolitiker unter sich auf, Staffelt wurde z.B. Aufsichtsrat der Landesbank; weitere Einnahmen ergaben sich z.B. für Riebschläger durch lukrative Beurkundungen oder Gutachten seiner privaten Antwaltskanzlei für „seine“ Wohnungsbaugesellschaft). 

1989 hatten führende SPD-Politiker die „Vision“ eines Finanzakteurs von europäischem Format. Der Wirtschaftssenator drang auf eine Fusion der öffentlichen, kapitalstarken Sparkasse und der Berliner Bank (mit ihren privatwirtschaftlichen Möglichkeiten). 1990 wurde die Sparkasse der neuen Landesbank Berlin (LBB) unterstellt. Durch Gesetz wurden alle Anstalten öffentlichen Rechts in die Gewährträgerhaftung des Landes Berlin einbezogen. 1992 wurde die Wohnungsbaukreditanstalt (jetzt: „Investitionsbank“) eine weitere Abteilung der LBB. Schließlich wurde eine Banken-Holding gegründet, die durch eine „stille Einlage“ zu 100% am LBB-Kapital beteiligt wurde. Damit war die öffentlich-rechtliche Anstalt LBB der gewinnorientierten Holding „Bankgesellschaft Berlin AG“ und ihrem Weisungsrecht untergeordnet. Die Konstruktion rettete z.B. die unter Eigenkapitalproblemen leidende Berliner Bank und ihre Tochter BerlinHyp (Vorstand: Landowsky) vor dem Konkurs. Die Bankgesellschaft (BGB) wurde schnell zur Drehscheibe des Berliner Klüngels aus Selbstbedienung, Patronage und Schmiergeldern. 1995 erhielt Landowsky z.B. eine Parteispende über 20.000 € von den beiden Geschäftsführern (und CDU-Kollegen) der Immobiliengesellschaft Aubis, die in unmittelbarem Zusammenhang damit von der BerlinHyp einen Kredit von etwa 270 Mio € bekam. Als die damit gekauften Plattenbauten nach der Sanierung leer standen, übernahm die BerlinHyp diese und verzichtete sowohl auf die 270 Mio € als auch auf zwei private Millionen-Darlehen an die beiden Geschäftsführer.

Sittenwidrige Immobilienfonds

Im Zentrum der dubiosen Geschäftspraktiken der BGB stehen „todsichere“ Immobilienfonds mit Mietgarantien von 25-30 Jahren und Rückgaberecht zum Ausgabepreis nach Ablauf dieser Frist. Die Anleger können außerdem drastisch Steuern sparen, was bei einigen Fonds eine garantierte Verzinsung bis zu 15% ergibt, bei den internen Fonds (nur für Banker und Prominente) noch deutlich mehr: teilweise erhielt man nach nur drei Jahren die angelegte Summe vom Finanzamt voll zurück. In der Realität aber war Mitte der 90er Jahre der Immobilienmarkt bereits gesättigt, es gab Leerstand usw.; dennoch wurde auf dem Höhepunkt der Spekulationsblase in großem Stil überteuert eingekauft (massiv wurde z.B. in eine Bau­marktgruppe investiert, bei der BGB-Chef Rupf vorher Manager gewesen war). Als die Blase platz­te und die Gebäude oft nicht einmal mehr die Hälfte wert waren, wurden immer neue und größere Fonds aufgelegt und mit dem frischen Kapital die alten Schulden gedeckt. Systematisch wurden gerade verlustbringende Immobilienobjekte in die Fonds verschoben. Erst 2001 handelt die Bankenaufsicht, gegen über 20 Geschäftsführer und leitende Mitarbeiter werden strafrechtliche Ermittlungen beantragt. Landowsky tritt als BerlinHyp-Vorstand, dann als CDU-Fraktionschef zurück. Noch nach Bekanntwerden des Bankenskandals werden neue Fonds aufgelegt.

Ende Mai 2001 werden Verluste der BGB von über 2 Mrd € bestätigt. Im Juli rügt die EU-Kommission, daß der Senat ohne Meldung der BGB Kapital zugeführt hatte. Später billigt sie die unzulässige Beihilfe als „Rettungshilfe“ und fordert ein Sanierungskonzept. Im Februar 2002 legt der Senat den Entwurf eines Risikoübernahmegesetzes vor. Der Beschlußtermin wird zweimal verschoben. Zuerst durften die Abgeordneten nicht einmal die Detailvereinbarungen lesen. Nachdem innerhalb der Parteien großer politischer Druck aufgebaut worden war (es gebe keine Alternative) wird das Gesetz am 9.4. verabschiedet. Offiziell werden Risiken von 3,7 Mrd € genannt, intern kursiert allein für den Wert der Immobilien der Betrag 16 Mrd €, dazu kommen laut ATTAC je 8 Mrd € für die Rückzahlungen nach Auslaufen der Fonds und für Risiken im übrigen Bankgeschäft.

Auf diese Weise addiert sich das Risiko auf einen Wert, der dem Jahresbudget Berlins entspricht. Schon zuvor hatte der Senat angesichts von 38 Mrd € Schulden (6 Mio € Zinsen täglich) Kürzungen beschlossen. Für die neuen Risiken sind nun im Haushalt 2003 bereits 300 Mio € eingeplant, während z.B. im Sozialbereich 150 € gestrichen werden, bei den Kindertagesstätten durch Mehrarbeit und Entlassungen 69 Mio €. - Eine nennenswerte Medienresonanz gab es erst, als ATTAC eine Auswahl der Fonds­zeichner bekanntmachte. Dabei ist die Tatsache, daß 3,5 Millionen Berliner für die Traumrenditen von 70.000 Anlegern zu haften haben, selbst für den Vorstandssprecher der Deutschen Bank „unglaublich“. Die wirklichen Risiken könnten durchaus ausgelagert werden. Der Senat jedoch will die BGB schnell als Ganzes verkaufen (insbesondere eine US-Investmentgesellschaft ist im Gespräch). Eine unabhängige Expertenkommission wird abgelehnt, im parlamentarischen Untersuchungsausschuß sitzen überwiegend „Mittäter“. Die Risikoübernahme wurde von der SPD offenbar vor allem deshalb so nachdrücklich verfolgt, weil ein Konkurs den gesamten Skandal ans Licht brächte.

Dreigliederung als Aufgabe

Die Dreigliederungsidee der Anthroposophie kann einen zu der Einsicht führen, daß nur die strikte Trennung von Politik und Rechtssphäre einerseits und Wirtschaftsleben andererseits heilsam ist. Es ist unglaublich, daß staatliche Renditegarantien für Immobilienfonds bzw. allgemeiner für den sozialen Wohnungsbau gegeben werden, so daß die Steuerzahler reichen Fondsanlegern ihre Profite zahlen bzw. Mieten zahlen müssen, die letztlich drei- bis viermal über den eigentlichen Baukosten liegen (vom zusätzlichen „Bodenpreis“ ganz zu schweigen). Ebenso unglaublich ist es, mit welchem marktideologischen Fundamentalismus immer „Privatisierung“ gefordert wird. Zum einen ist das reine Heuchelei, wenn die Risiken durchaus weiterhin auf der Allgemeinheit lasten sollen, zum anderen sind die Strukturen nach der Privatisierung teilweise noch korrupter als vorher. Dies liegt daran, daß (insbesondere eine vorher schon vorhandene) Korruption in privaten Rechtsformen nicht einmal mehr offiziell einer öffentlich-demokrati­schen Kontrolle unterliegt. Selbst wenn eine Aktiengesellschaft noch vollständig in öffentlicher Hand ist, ist z.B. der Aufsichtsrat plötzlich zur Verschwiegenheit sogar gegenüber Mitgliedern der eigenen Partei verpflichtet.

Im Grunde haben Politiker in Wirtschaftsunternehmen überhaupt nichts zu suchen. Umgekehrt aber hat der reine Markt auf allen Gebieten der Daseinsvorsorge erst recht nichts zu suchen. Marktlösungen können effizienter sein, doch allzuoft entstehen neue, private Monopolstrukturen. Vor allem aber führt der reine Markt ohne ergänzende Regelungen zur Diskriminierung entsprechend dem Einkommen, während bestimmte Leistungen funktionell gar nicht ins Wirtschaftsleben gehören, sondern gemeinschaftliche Aufgaben sind, die allen gleichermaßen zur Verfügung stehen müssen. Das aber wird immer weniger erkannt werden, solange die Marktwirtschaft weiterhin nicht nur die Illusion, sondern auch die Realität erzeugt, daß jeder Mensch für sich arbeitet. Dies und die Vermischung von Wirtschafts- und Rechts­sphäre sind die wesentlichen Gründe für Korruption, die nichts anderes als die Steigerung des heute „normalen“ Egoismus ist.

Diese Zusammenhänge werden im allgemeinen deutlich geahnt, doch die konsequente Alternative ergibt sich erst mit der Idee der Dreigliederung. Das Versäumnis, diese zu ergreifen, liegt nicht unbedingt bei der Politik. Selbst unter den Menschen, die mit der Anthroposophie in Berührung gekommen sind, messen nur die wenigsten der Dreigliederungs­idee im Sozialen eine solche Bedeutung zu, daß sie sich selbst vertieft mit ihr beschäftigen oder sich sogar für sie einsetzen. Für Rudolf Steiner war diese Idee eine absolut zentrale, weil von ihr die künftige Entwicklung der menschlichen Gesellschaft abhängt. Insofern ist allen Anthroposophen hier eine schwerwiegende Verantwortung auferlegt. Heute sucht eine große Bewegung von Menschen, die die gegenwärtige, ideologisch-neoliberale Form der Globalisierung kritisieren (weil sie nicht mit einer entsprechenden Globalisierung sozialer - und ökologischer - Mindestnormen einhergeht, die die ganze Menschheit betreffen) nach sachgemäßen - und das heißt menschengemäßen - Alternativen. Diese Bewegung kann nur in dem Maße Erfolg haben, wie es ihr gelingt, reale soziale Gesetzmäßigkeiten aufzudecken und wirklich konsistente Ideen zu entwickeln. Nur so ist es denkbar, daß allmählich immer mehr Menschen sich von diesen Fragen berührt fühlen. Auch Anthroposophen haben keine Patentrezepte, schon gar nicht im Detail. Sie stehen vor der Aufgabe, sich mit anderen Menschen zu verbinden, die sich von dem gleichen Motiv und Ziel leiten lassen: eine menschliche Welt - im umfassenden Sinne des Wortes.

Sobald man sich dafür praktisch - also im Handeln und nicht nur im Denken - einsetzt, wird es politisch. Das liegt aber nur daran, daß die Politik heute das ganze Leben durchdringt. Viele Anthroposophen glauben, Anthroposophie und Politik hätten nichts miteinander zu tun, weil Steiner formuliert hat, daß die Anthroposophische Gesellschaft die Politik als nicht in ihren Aufgaben liegend betrachtet. Insofern ist dies richtig, denn natürlich würde die Anthroposophische Gesellschaft sofort Elemente einer Partei annehmen, wenn sie sich politisch engagierte. Dies kann sie gar nicht, weil es ihre Aufgabe ist, gleichsam nach innen hin die Anthroposophie zu pflegen und den Raum zu schaffen, daß jeder Mensch sie individuell ergreifen kann. Die Gesellschaft ist aber nicht identisch mit den Menschen. Sie ist sowohl mehr, als auch weniger. Was sie als Ganzes niemals tun könnte, könnte gerade die Aufgabe jedes einzelnen sein! Wenn Anthroposophen politisch aktiv werden, tun sie dies nicht als „Abgeordnete“ oder Delegierte der Gesellschaft!

Was der Einzelne als richtig erkannt hat, dafür kann er sich individuell einsetzen. Aus der Anthroposophie heraus kann hier niemals eine äußere Verpflichtung kommen, sehr wohl aber eine innere. Was der Einzelne tut, geschieht immer auf eigene Verantwortung. Dennoch kann er sich im Geiste mit anderen Menschen verbunden fühlen, weil er sich in den Dienst der gleichen Sache stellt. Im Extrem könnten alle Anthroposophen für die soziale Dreigliederung politisch aktiv werden, ohne daß dies mit der Anthroposophischen Gesellschaft irgendetwas zu tun hätte! Man darf nur nicht erwarten, daß Außenstehende dies begreifen, wenn selbst uns diese Unterscheidung oft noch nicht klar ist. Anthroposophie und Politik haben tatsächlich nichts miteinander zu tun. Anthroposophie verwandelt den Menschen, und insofern er von ihr verwandelt ist, handelt er uneigennützig und frei aus moralischen Intuitionen. Er wird dort handeln, wo gehandelt werden muß. Und so kann es sein, daß er auch der politischen Ebene nicht fern bleibt und sich hier insbesondere für Strukturen einsetzt, die der Dreigliederungsidee oder seinen sonstigen Intuitionen entsprechen.